DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
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Volksoper
9. März 2019
Premiere

Dirigent: Marc Piollet

Regie: Aron Stiehl
Bühnenbild: Frank Philipp Schlößmann
Kostüme: Franziska Jacobsen
Choreinstudierung: Holger Kristen

Daland - Stefan Cerny 
Senta - Meagan Miller
Erik -
Tomislav Muzek
Mary -
Martina Mikelic
Steuermann -
JunHo You
Der Holländer -
Markus Marquardt


„Seelenlandschaft mit wenig Tiefgang
(Dominik Troger)

1998 hat sich die Volksoper zum 100. Geburtstag eine Neuproduktion der „Meistersinger von Nürnberg“ gegönnt, 20 Jahre später ist man mit dem „Fliegenden Holländer“ nicht ganz so ambitioniert unterwegs.

In den Anfangsjahrzehnten der Volksoper wurde eifrig Wagner gespielt, vom „Rienzi“ bis zum „Parsifal“ hat man nichts ausgelassen. „Der fliegende Holländer“ – wie das Programmheft zur Neuproduktion weiß – wurde von 1908 bis 1938 146 Mal gegeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wagner an der Volksoper aber rasch kein Thema mehr. Erst die erwähnte „Meistersinger“-Produktion zum 100-Jahr-Jubiläum des Hauses (Regie: Christine Mielitz, der unvergessene Johan Botha als überragender Stolzing) machte der Staatsoper wieder Wagner-Konkurrenz. Sie stand bis zum Jahr 2006 auf dem Spielplan

Aber die Staatsoper spielt inzwischen so wenig Wagner, dass man das „Zusatzangebot“ im Haus am Währinger Gürtel als Marktbelebung begrüßen kann. „Der fliegende Holländer“ ist an der Wiener Staatsoper das letzte Mal im Jahr 2015 erklungen, dass die Volksoper jetzt eine „unzulässige Repertoire-Verdoppelung“ betreiben würde, kann man ihr also nicht vorwerfen. Aber natürlich wäre es besser gewesen, würde sich diese Neuproduktion künstlerisch stärker profiliert haben, als es nach dem Premierenabend den Anschein hat.

Das heißt jetzt nicht, dass man in die Fußstapfen der Staatsopern-Inszenierung von Christine Mielitz hätte treten müssen, die aus Senta eine durch politische Ideologien fehlgeleitete Selbstmörderin macht (die Selbstverbrennung Sentas war und ist nach wie vor umstrittenes Detail dieser Produktion), aber mit dem Verweis auf „Seelenräume“ und einem quasi offenen Schluss macht es sich die Volksoper doch etwas leicht. Nicht einmal die Inhaltsangabe im Programmheft verrät, was mit Senta im Finale passiert. Dort heißt es nur, sie habe „(...) bereits eine eigene Entscheidung getroffen“.

Der Abend beginnt auch gleich mit einem Seelenraum: Zur Ouvertüre marschiert der Holländer im Zeitlupentempo auf einem hellen, sich verschmälernden Bühnenelement dem Hintergrunde zu, wo eine dunkelblaue Meeresprojektion lockt. Dann fällt der Vorhang und der erste Akt spielt in einem recht handfesten Bühnenbild: ein Lagerraum, gestapelte Kisten und der schmucklose Schreibtisch des Kapitäns links im Vordergrund.

Es lohnt, sich wieder einmal die Szenenanweisung Wagners vor Augen zu halten, der die Bühne für den ersten Akt detailliert beschreibt: Sein Komponistenauge sah ein steiles Felsufer vor sich, ein stürmisches Meer, das einen großen Teil der Bühne einnimmt, er erwähnt sogar das Echo (!) das die Felsen zurückwerfen. Dieses Bild hat etwas „Filmisches“ an sich, ist über die Darstellungsmöglichkeiten des Theaters „hinausgedacht“, aber komponierter Bestandteil der Musik. Heutzutage ist man schon dankbar, wenn – wie in dieser Inszenierung – durch eine Projektion zumindest das Meer erinnert wird, wenn in diesem Fall auch mehr „metaphorisch“ als „real“: ein Seelenraum für Sentas Sehnsüchte und für die psychischen Qualen der Sagenfigur.

Szenisch vermittelte der erste Akt den Charme, den das abgeschmackte Geldköfferchen verbreitete, mit dem der Holländer Daland den Mund wässrig macht: eine merkantile Sachlichkeit, die auf der Bühne wenig „Stimmung“ erzeugte, mit der man aber „leben“ konnte. Ein Lagerraum, wie ihn die Volksoper vorstellt, ist nur ein matter Abglanz der von Wagner beschworenen Sturmesgewalten. Die Angst des Steuermanns vor dem eintreffenden Holländerschiff war auch nicht gerade spektakulär: Er starrt in das Publikum und flüchtet dann hinter die Kisten, wo er endlich dem Schlaf anheim fallen darf. Die Kisten erwiesen sich überhaupt als praktisch, sie schränkten den Bewegungsraum des Chores ein, man musste ihn also erst gar nicht führen (aber er durfte am Schluss des ersten Aktes, warum auch immer, den Steuermann verprügeln).

Doch der Fehlgriff folgte auf dem Fuß: Der Spinnstubenchor wurde in eine spinnradlose Chorprobe umfunktioniert, von einer dominanten Mary (sadistischer Gouvernantentyp) überwacht, die auch mal eine Choristin ins „Winkerl“ stellt oder mit Schlägen droht. Warum sich Senta gegenüber dieser Mary soviel „herausnehmen“ darf, bleibt unklar – ebenso, warum die Mädchen sie auffordern dürfen, doch „still“ zu sein. Fazit: Die Figur der Mary wurde durch Regisseur Aron Stiehl bis zur Unkenntlichkeit verzeichnet.

Der Auftritt des Holländers in Dalands Stube war gut, wenn auch konventionell gelöst – ein langer Schatten fällt von der Seite auf die Bühne. Aber ist einem nicht den ganzen zweiten Akt lang schon etwas abgegangen? Richtig: Das Konterfei! Senta steht zwar zwischen einem gefühlten Dutzend an Bildern, die alle dieselbe wogendurchflutete Meereslandschaft zeigen, aber keine Spur von einem Holländer-Portrait! Der Seelenraum wird abgebildet, aber nicht der dämonische Mann, der alle sieben Jahre Frauentreue begehrt. Weil aber das schwärmerisch-pubertäre Verhalten Sentas durch ihren Bezug zum Holländer-Portrait trefflich charakterisiert wird, kann man dieses Bild nicht so einfach durch ein anderes ersetzen – und es fällt sehr schwer, rund um Senta noch eine glaubwürdige Dramaturgie zu entwickeln.

Die Szene zwischen Holländer und Senta geriet statisch und emotional flach, im Hintergrund wurde wieder diese Wellenlandschaft sichtbar. Auch die beiden Darsteller vermochten die Intensität dieser Szene nicht zu vermitteln. Die Szene mit dem Geisterchor lebte von ein paar Lichteffekten, der Chor des Holländerschiffes war virtuell im Zuschauerraum angesiedelt und tönte aus dem Lautsprecher. Auf der Galerie machte das guten Effekt. (Für die letzte Chorstelle im Finale marschierte der Chor sogar auf die Galerie, was für die Galeriebesucher akustisch aber weniger gut verträglich war.) Am Schluss wiederholte sich die Szene aus der Ouvertüre, nur ging dieses Mal Senta ganz langsam in den Hintergrund auf die Projektion zu: ein unspektakuläres, schwächelndes Finale.

Wenn der Regisseur im Programmheft mit der Äußerung zitiert wird, ihm sei ein „Fliegender Holländer“ vorgeschwebt, „der am Abgrund spielt“, dann kann dieser Abgrund nicht sehr tief gewesen sein. Die Inszenierung kann also getrost unter „unbedeutend“ abgelegt werden und sie wird niemanden aufregen. Die Kostüme, die die Handlung etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts verorteten, waren wenig kleidsam, was Senta betrifft, sogar unschick. Die Lichtregie hat nach meinem Dafürhalten am ehesten überzeugt.

Musikalisch haben Holländer und Senta die Erwartungen nicht so recht erfüllt: beide stimmlich ein Spur zu leichtgewichtig, um Wagners Heroik dingfest zu machen. Vor allem mussten sie sich mit dem Daland von Stefan Cerny messen, der eine Stimmpräsenz entwickelte, die die eigentlichen Hauptfiguren des Stücks zu deutlich in den Schatten stellte. (Daland war vor allem Geschäftsmann, mit „leptosomischem“ Bass ausgestattet, kaum Seemann oder Vater, und von der Regie zu eindimensional gezeichnet).

Markus Marquardt ließ als Holländer einen mir schon zu hellen Bassbariton hören, der nicht unbedingt den gravitätischen Machtanspruch vermittelte, der diese Wagner Figuren bei aller Erlösungssehnsucht treibt. Marquardts Organ trug vor allem in den lyrischeren Passagen wenig auf, verflachte dann zusehends, was schon dem Monolog nicht gut tat und dem langen Gespräch mit Senta schon gar nicht.

Meagen Millers (Senta) Sopran war ähnlich gestrickt, von der Farbe wenig leidenschaftlich, aber auch ohne den metallischen Schliff, um Sentas Ballade zum existentiellen Aufschrei auszuformen. Miller war vor zehn Jahren bei Richard Strauss (als Ariadne an der Volksoper) noch sehr gut aufgehoben, hat inzwischen aber eifrig Wagner gesungen (u.a. Sieglinde, Siegfried-Brünnhilde) und sich schon eine unruhig oszillierende Stimme eingehandelt. Das limitierte ihre Gestaltungsmöglichkeiten (und von der Regie wurde auch wenig beigesteuert, um Senta mehr Profil zu verleihen).

Tomislav Muzek brachte den Erik gut über die Rampe, sein etwas heller Tenor hätte ein bisschen fülliger sein dürfen, sich in der Höhe mehr öffnen können. JunHo Yuns lyrischer Tenor färbte mir hingegen beim Lied des Steuermanns manchmal zu grell. Martina Mikelics breiter Mezzo hat schon eindringlicher getönt, aber der Unfug, den die Regie mit Mary getrieben hat, kann sich einem schon auf die Stimme schlagen.

Der Volksopernchor schlug sich prächtig und war eine – wie man so sagt – tragende Säule der Aufführung, und die Mannen ließen beeindruckend „segelschifftakelagenerprobte“ Stimmen hören. Marc Piollet sorgte im Graben für ein ansprechendes Tempo – bis auf die erwähnte Holländer-Senta-Szene im zweiten Akt kam keine Langeweile auf. Das Klangbild hätte differenzierter sein können, war recht kompakt, die Streicher etwas unterrepräsentiert, aber der akustische Eindruck ist in der Volksoper stark platzabhängig.

Der Schlussapplaus dauerte rund zehn Minuten lang und war von vielen Bravorufen durchsetzt. Auf der Galerie habe ich nur undeutlich zwei Buhrufe vernommen, deren Ziel ich aber nicht zuordnen konnte, weil mir durch aufstehende, mühsam aus der Reihe drängende Besucher der Blick auf die Bühne verstellt wurde.