DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
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Theater an der Wien
12. November 2015
Premiere

Dirigent: Marc Minkowski

Inszenierung: Olivier Py
Ausstattung: Pierre-André Weitz
Licht: Bertrand Killy

Les Musiciens du Louvre
Arnold Schönberg Chor

Donald - Lars Woldt
Senta - Ingela Brimberg
Georg -
Bernard Richter
Mary -
Ann-Beth Solvang
Steuermann -
Manuel Günther
Der Holländer -
Samuel Youn
Satan (Tänzer) - Pavel Strasil


„Von Satan umgarnt
(Dominik Troger)

Viel würzig-salzige Meeresluft gibt es beim neuen „Fliegenden Holländer“ im Theater an der Wien nicht zu schnuppern. Die Handlung spielt in drehbühnengetriebenen und verbauten Magazinhallen oder Schiffsbäuchen, deren holzlattenartige Wände die Szene prägen.

Es ist eine seltsame Produktion, dieser neue „Holländer“, den der französische Regisseur Olivier Py gestaltet hat: barocke Totenköpfe und christlich-theologischer Krimskrams baumeln an der Kette Wagner’scher Romantik wie das unübersehbare Schmuckkreuz an Pys Hals. Py hat Theologie studiert – und scheint jetzt die Bühne zum Austragungsort eschatologischer Diskussionen zu machen. Schon zur Ouvertüre schreibt Senta mit weißer Kreide ein großes Blockbuchstaben-„ERLÖSUNG“ auf eine dieser Lagerhallenwände. Im Finale wird dort das Wort „ERWARTUNG“ stehen.

Im Gegensatz zur Wagner’schen Intention, die auf die ERWARTUNG wohl eher die ERLÖSUNG folgen ließ, mündet bei PY die ERLÖSUNG in die ERWARTUNG. Py wird das sicher mit der Urfassung von 1841 begründen, die an diesem Abend gespielt wurde, und die das Libretto mit ein paar schottischen Einsprengseln durchmischt (Daland heißt Donald) und vor allem noch keinen „Erlösungsschluss“ aufweist – den hat Wagner erst Jahre später dazu komponiert. Zwischen Pys ERLÖSUNG und Pys ERWARTUNG steht der Mensch in seiner nackten Existenz, in seiner Verführbarkeit und in seiner Todesnähe.

Der Regisseur lässt schon zu den ersten Takten einen Tänzer (Pavel Strasil) auftreten, der sich an einem Tischchen, das ganz links außen am Bühnenrand platziert ist, das Gesicht schwarz schminkt, um als Satan durch den Abend zu geistern. „Satan“ wird im Libretto einige Male genannt, ihn zu einer eigenen Figur auszuformen, ist allerdings schon etwas mutig. Es handelt sich zudem um einen Satan, der das Publikum noch mit der ganzen nackten Wahrheit seiner Existenz konfrontieren wird – wenn der Geisterchor im Holländerschiff erwacht. Der splitternackte Kerl, der auf einer Schaukel steht und im Toben des Orchesters bedrohlich auf das Publikum zu – und wieder von ihm weg – schwingt, zählt trotzdem zu den nachhaltigsten Bildern dieses Abends, und ist Ausdruck einer sehr „katholischen“ Grundchoreographie, die sich auch an barocken „Memento-mori-Effekten“ erfreut.

Der Holländer darf nicht sterben, er sehnt sich nach dem Tod, er spielt auch während seines berühmten Monologs mit einem Revolver, während plötzlich viele kleine Kreuze aus dem Bühnenboden klappen – und der Bühne das Ansehen eines in abstrakter Einfachheit dargestellten Kirchhofs geben. Am Schluss ihres gesanglichen Gefühlsaustauschs mit dem verfluchten Seemann klettert Senta in die Augenhöhle eines riesigen Totenschädels – und der freudige Umtrunk der Matrosen steigert sich zu einem in rotem Lichte schwelgenden „Krampuskränzchen“, zu dem drei vom Schnürboden herabschwebende Plastikskelette mit ihren dürren Gebeinen schlenkern, und bei dem nur noch ein weißbärtiger Nikolaus vorbeischauen müsste.

In solchen Momenten beginnt dieser „Fliegende Holländer“ einer Ansammlung von Traumbildern zu ähneln, die über Wagners Musik und Libretto sehr weit hinauszielen. Dass Py schon am Beginn des ersten Aktes die Träumereien des Steuermanns szenisch (!) darstellt und selbiger sein Mädel mit einer attraktiven „Südseemaske“ beschenkt, passt ebenfalls in diesen Rahmen. Die ersehnte Heimat der Seemänner wird als kleines Häuschen „personifiziert“, das am Schluss des ersten Aktes Donald offenbar unter großer Anstrengung von der Bühne trägt. Py erzählt wahrscheinlich zu viel an diesem Abend, Unnotwendiges und Notwendiges, verwirbelt den „Fliegenden Holländer“ im Kaleidoskop seiner ganz persönlichen Ansichten.

Und die Drehbühne des Theaters an der Wien wird zum ganz „angreifbaren“ Gegenstand dieser Py’schen Kaleidoskopwelt. Sie machte ihrem Namen alle Ehre, und Donald und Senta hechelten gefühlte Kilometer durch diese Speicherareale, während der seefahrtbewährte Handelsmann seiner Tochter erklärt, dass er einen Gemahl für sie gefunden hat. Immerhin findet Py im Finale zu einer sehr einfachen, aber auch sehr schlüssigen Lösung: eine schwarze, per Hand in Bewegung versetzte Plane, deren Wellen nach vorne laufen und derart ein Meer vorstellen – während der Holländer und Senta langsam nach dem Bühnenhintergrunde gehen.

Die musikalische Umsetzung war – wie die szenische – zwiespältiger Natur. Les Musiciens du Louvre firmieren als „Originalklangorchester“, und man ist es in Wien doch gewöhnt, Wagners Musik mit mehr akustischer Brillanz serviert zu bekommen. Der etwas abgedämpfte Klang und Abstriche bei der Perfektion mussten wohl in Kauf genommen werden. Die etwas eigenwillige Temporegie von Marc Minkowski hat mir phasenweise (etwa im Holländer-Monolog) zu viel Spannung abgezogen – und dort wo Wagner mehr im Spieloperngenre „fischt“, fehlte es an der leichteren Muse. Die erwartete bühnendramatische „Sogwirkung“ stellte sich dann aber doch ein. Diesbezüglich bietet die Urfassung, die ohne Pause gespielt wird, Vorteile. Und Minkowsiki ließ recht laut spielen und die Sänger hielten sich auch „kein Blatt vor den Mund“. (Vielleicht hat die Bühnenkonstruktion dabei als Verstärkung mitgeholfen?) Die Akustik hätte insgesamt ausgewogener sein können, das Theater an der Wien ist nicht so groß.

Lars Woldt hat schon weit eindrücklichere Vorstellungen geboten: Sein Donald vulgo Daland war ein nach Reichtum gierender, eher farblose Typ, in dem kaum ein schlitzohriger Seebär zu erkennen war: In der Tiefe fehlte es an sonorer „Brummigkeit“ und im Spiel an der patriachalen Gemütlichkeit. Samuel Youn ließ als Holländer nichts anbrennen: eine raue, etwas eindimensionale Stimme, im Charakter mehr einem Piraten zugehörig, als einem weltschmerzversessenen Schiffskapitän mit romantisch-adeliger Ader. Dazu gesellte sich sprachlich manch seltsame vokale „Lautverschiebung“. Ich schätze es sehr, wenn der Sänger dieser Partie im Timbre über eine gewisse Noblesse verfügt, wenn die Härte seines Seemannslebens sich in einer weichen Nuance abfedert, an der sich die Liebe Sentas entzünden kann. Youn hat mich diesbezüglich nicht verwöhnt.

Nun, mit Senta ist das so eine Sache. „Eine Frau fühlt sich doch recht wohl, wenn sie für den, den sie liebt, leiden kann!“ Dieser Satz aus Honoré de Balzacs „Vater Goriot“ gibt nicht nur einen Hinweis auf das „männergemachte“ Frauenbild des 19. Jahrhunderts, er enthält auch eine gewisse Ironie, die beim Zeitgenossen Richard Wagner nicht auf fruchtbaren Boden fiel. Senta leidet bedingungslos für einen Mann, den sie nur von einem Bilde her kennt – einem Bild, dass an diesem Abend das Publikum allerdings nicht zu Gesicht bekam. Vielmehr werden während der Ballade hinter einer Trennwand unpassende Schattenspiele aufgeführt, Männer mit Hüten, mit Stehleiter, mit Sesseln, immer wieder bedrohlich groß und eine Unruhe im Hintergrund erzeugend, die in Py nicht gerade den Musikliebhaber erkennen ließ, der bei diesem Filetstück der Oper alles auf die Sängerin der Titelfigur konzentriert hätte.

Speziell an dieser Szene zeigte sich einmal mehr, dass sich die Kunst moderner Regie oft im Defragmentieren erschöpft, anstatt alle Kräfte eines Kunstwerks zu bündeln. Ingela Brimberg ist glücklicher Weise eine Sängerin, die ihre Senta schon zu platzieren weiß und die neben solchem Humbug nicht „untergeht“, aber störend war es trotzdem. Brimbergs Senta setzte auf ihren jugendlich-dramatischen Sopran, der mit seiner etwas fahlen, trockenen Farbe die Expressivität des Bühnencharakters betonte, die psychische Gefährdung, und weniger die Leidenschaft eines jungen Mädchens, das in der Schwärmerei von der Realität eingeholt wird. Die Unstetigkeit von Sentas Psyche fand sich in ihrem Sopran gespiegelt – passte aber zur emotionalen Ausnahmesituation der Bühnenfigur. Senta geht während der Vorstellung übrigens zum „Friseur“, das revoltenhafte Langhaar fällt vor der Ehe – zu der es dann bekanntlich doch nicht kommt.

Aber könnte es nicht sein, dass das Leiden Senta zuerst auch Lust bereitet, und dass die bewusste Provokation nicht nur das Resultat engstirniger gesellschaftlicher Verhältnisse oder einer krankhaften Psyche ist? Das düstre Gemälde des Holländers erweckt in Senta vielleicht das wohlige Kopfsausen und Herzflattern eines Schauerromans, gepaart mit einem von der Lektüre romantischer Poeme gestärkten pubertären Weltschmerz. Und so wie sich Teenager heutzutage eine Theraphosa im Terrarium halten, himmelt Senta dieses Gemälde an. Aber ihre psychische Konstitution muss in dem Augenblick völlig umschlagen, in dem ihr der Holländer zum ersten Mal begegnet und sich Traumbild und Wirklichkeit überschneiden. Insofern ist es von vorne herein ein fragwürdiger und noch dazu ganz „unromantischer“ Ansatz, wenn Regisseure die Handlung der Oper als reine Vision Sentas erklären.

Bernard Richter gab mit angenehmem, kräftigem und kultiviertem Tenor einen noch mehr geschmeidiger Lyrik verhafteten Mann, der im dunklen Anzug sehr gute Figur machte. Aber war das in Aussehen und Auftreten der Jäger aus dem „Fliegenden Holländer“? Der Steuermann von Manuel Günther klang etwas beengter im Südwind-Mädchen-Traum und die Mary der Ann-Beth Solvang wirkte frisch und gar nicht „gouvernantenhaft“. Der Arnold Schönberg Chor ist für Wagner’sche Ausmaße gesanglich eine Spur zu feingeistig ausgebildet, da ist der Staatsopernchor wohl der „Schmied“, an den ich mich halten würde.

Das Publikum jubelte eifrig, und die paar Buhrufe, die auf Dirigenten und Regie zielten, konnten sich nur wenig Raum verschaffen. Der Beifall wäre noch länger ertönt, hätte sich nicht nach rund acht Minuten rasch der Vorhang gesenkt.

Fazit: Eine eigenartige Inszenierung und keine musikalische Sternstunde, aber in Summe doch ein von ausreichender Spannung getragener Abend, der bei einer durchgehenden (!) Spieldauer von über zweieinviertel Stunden die unbequeme Bestuhlung im Theater an der Wien schon sehr ausreizt. Es fehlte nicht viel, und der Direktion wäre zu empfehlen, dem Publikum durch den diensthabenden Arzt bei Bedarf die kostenlose Verabreichung von Thrombosespritzen anzubieten.