DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
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Wiener Staatsoper
Premiere
5.12.2003

Dirigent: Seiji Ozawa

Inszenierung: Christine Mielitz
Ausstattung: Stefan Mayer
Chorleitung: Ernst Dunshirn

Daland - Franz Hawlata
Senta - Nina Stemme
Erik - Torsten Kerl
Mary - Mihaela Ungureanu
Steuermann - John Dickie
Der Holländer - Falk Struckmann


Wasser und Feuer oder die Mielitz'sche Lehre von den elementaren Gegensätzen
(Dominik Troger)

Über den Schluss dieser „Holländer“-Inszenierung soll man wahrscheinlich streiten – darüber, dass diese Inszenierung insgesamt einen sehr guten Eindruck hinterlässt, sollte man nicht streiten. Ob musikalisch bei dieser Neuproduktion wirklich das Bestmögliche realisiert wurde, darüber muss man streiten.

(Manchmal packt einen der Ehrgeiz. Nun, hier ist die Aufführungsbesprechung. Fertiggestellt keine drei Stunden nach Fallen des Vorhangs. Gewisse Ungenauigkeiten möge man mir verzeihen. Vielleicht kommen noch nächsttäglich ein paar Ergänzungen, eventuell mit dem Pressespiegel.)

Wenn man da so einfach hinschreibt „Christine Mielitz versteht ihr Handwerk", dann meint das zuerst einmal gar nichts Anderes. Sie hat die Matrosen und Spinnmädchen fest im Griff, schaukelt sie hin und her im Meeresgewoge oder in jungdmädchenhafter Freude. Sie lässt es auch orgiastisch hergehen, im Nebel von Alkoholdunst und Schiffgespenstern. Kurzum sie kann Menschmassen zu beredeten Bildern formen – und einzelne Sänger zu sprechenden Charakteren. Man kauft ihr die Bühnengestalten ab – auch wenn man nicht immer über die Art und Weise des zugeordneten Charakters einer Meinung ist.

Wenn man nach der Interpretation fragt, so ist selbige – durch die Heranziehung der Erstfassung ohne den harmonisierenden „Erlösungsschluss“ – natürlich kantiger, und da ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden. Durch den Wegfall der Pause besteht immerhin auch die Chance, dass die Wirkung eine ununterbrochene ist – und vom zweiten Aufzug an, begann sich dann auch wirklich eine Spannung aufzubauen, vor allem inszenatorisch, die mit kleinen Untiefen da und dort, die Handlung wirklich fast bis zum Schluss trug. Und dann kam die Selbstverbrennung Sentas. Das war der wunde Punkt, wo vielleicht so manche neutrale Zuseher-Position in das „Buh“ kippte, dass man dann auch eingermaßen reichlich zu hören bekam.

Dabei ist das in diesem Fall gar keine Frage mutwilliger Interpretation. Der Fanatismus, der in dieser Todesart zum Ausdruck kommt, ist der Senta nicht abzusprechen. Mielitz begeht hier, wenn man das so sagen kann, keinen Sinnbruch. Aber sie begeht einen groben Stilbruch. Die Welt des Wassers und des Meeres, zwei Stunden lang beschworen und aufgewühlt, wird plötzlich mit ein paar läppischen Flämmchen und einem, man muss es leider so schreiben, lächerlich gestikulierenden Bühnentod zu Ende gebracht. Dabei wäre der Schluss so einfach gewesen: Senta springt irgendwo von den reichlich vorhandenen Schiffsbauteilen – und verschwindet. Schluss und aus. Manchmal möchte man eben zuviel des Guten.

Dass Senta eine Getriebene ist und auch der „Holländer“ ein Getriebener, der Daland auch stark dazu nötig, sich seiner anzunehmen, das hat man auch ohne Schlussfeurioso längst mitbekommen. Mielitz bringt die Holländer-Senta-Beziehung sehr intensiv, sie schaukelt auch den blassen Erik im Verbund mit Senta zu einer fordernden, aber auch zweifelgeplagten Persönlichkeit auf. Dazu kam das geschickte Einsetzen eines schiffsplankengelegten Bühnenbodens, durch dessen Ritzen die Holländer-Welt in weißen oder rötlichen Lichtern grellte, um durch den sonst abgedunkelten Bühnenraum mit einer visionären Geisterhaftigkeit streuen. Sie tat schon viel dazu, auch von der bühnenbildlichen Gesamtkonzeption (Ausstattung Stefan Mayer), um dem Holländer nicht seine Fremdartigkeit zu nehmen. Eindeutig missglückt ist ihr die Charakterisierung des Daland, der im ersten Aufzug seine Matrosen fast zu Galeerensklaven degradiert, und der sich als besserwisserischer Handelsmann verdingt, Fuchspelz um den Hals etc. Eine Haltung, die dem Text und auch der musikalischen Zeichnung durch Wagner eindeutig widerspricht. Daland ist ein jovialer Seemann und Händler, mit viel schlitzohrigem Humor und viel Geschäftssinn. Aber der ganze erste Aufzug wirkte wenig durchwachsen, auch von den Accessoires: Tageszeitung, Bauklotzgoldbarren u.a. Und nach einem – um das hier gleich einzufügen – ziemlich verschleppten Vorspiel, da hatte ich noch wenig Hoffnung, dass mir der Abend „gefallen“ könnte.

Mit dem Auftritt Sentas, dem Spinnen (zwar ohne Rädchen, aber immerhin), mit einer eindringlich aber noch nicht wirklich mitreißend gesungenen und musizierten Ballade, kam das Schiffchen langsam in Fahrt. Ab der ersten Begegnung Sentas mit Erik wurde auch der Beginn eines Spannungsbogens spürbar, der dann, bis zu dieser einen Minute vor Schluss, nicht mehr abreißen sollte.

Interessant auch die Konzeption des Bühnenraumes, praktisch ein Schiffsdeck, rechts und links die gebogenen Sprossen der Wände aufragend, nach hinten in der Mitte diese Schiffsplanken. Der zweite Akt spielt zwar auf diesem Schiff, aber der Hintergrund ist durch eine Wand mit Bullaugen, auch an der rechten Seite, abgeschlossen. Nach links war mir leider die Sicht verstellt. Im ersten Aufzug und im dritten dann auch mehr kubische Schiffskörper, die von rechts und links auf die Bühne gezogen werden – von rechts Schiff Dalands, von links Schiff des Holländer.

Musikalisch war der Eindruck mehr zwiespältig als befriedigend. Als Fehlbesetzungen würde ich den Daland mit Franz Hawlata (seine Stimme ist zu hell und hat zuwenig Tiefe) bezeichnen, den Erik von Torsten Kerl (sang die ganze Zeit überforciert, um seinen „Helden“ zu machen), den Steuermann von John Dickie (viel Müh und Plag). Auch allem Jubel zum Trotz, Falk Struckmann musste bei seinem Holländer sehr viel an Nuancierungsmöglichkeiten ungenutzt lassen, um sich zumindest als stimmkräftig zu erweisen.

Gesanglich überzeugend war nur Nina Stemme als Senta. Dabei hat sie weniger eine strahlende, „unschuldige“ Stimme, als vielmehr mehr eine dunklere Beifärbung, und eine gewisse Breite, die dem ausgelebten Fanatismus eine gute Basis gibt. Letztlich lag hier der Schwerpunkt aber, wie mir schien, mehr auf der Umsetzung des Regiekonzeptes, als darauf, alle gesanglichen Möglichkeiten auf den Punkt zu bringen.

Seiji Ozawa nahm alles ein wenig grell und laut: das mag man ihm ankreiden, hat aber zur Gesamtkonzeption nicht im Gegensatz gestanden. Philharmonischen Kuschelteppich hat er keinen gelegt. Anfangs war eine gewisse Nervosität spürbar, ab dem zweiten Aufzug, wie gesagt, lief das Schiff wirklich vom Stapel. Getragen wurde der Abend aber von der Inszenierung – und vor allem deshalb war er auch erfolgreich oder zumindest heiß umfehdet. Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich der musikalische Teil über die nächsten Aufführungen entwickelt.

Das Publikum im ausverkauften Haus reagierte sehr emotional. Ohne Pause hatten sich alle Gefühle über zwei Stunden lang gestaut. Es brach gleich ein heftiges Pro und Kontra aus. Bald fanden sich vor allem Mielitz, Ozawa und Hawlata unter heftigem, für- und widerstreitendem Meinungsbeschuss des Publikums. Stemme bekam am meisten Jubel ab. Aber wie man weiß, sind „Wagner“-Premieren besonders heikel.

PS: Beim Verbeugen fiel Struckmann rücklinks in eine flache Vertiefung des Bühnenbodens. Der Applaus verstarb im Zeitlupentempo - und Struckmann rappelte sich im Zeitlupentempo wieder auf. Eine Schrecksekunde.

Fazit der Presseschau: Keine negative Meinung fand ich zu Stemme, Struckmann wird meist gelobt, für das restliche Ensemble ist freudiger Zuspruch rar. Die Inszenierung scheidet die Geister, wobei die ablehnenden Meinungen wohl in der Mehrzahl sind und der Schluss fast durchwegs zumindest als "übertrieben"oder "kitschig" empfunden worden ist. Viele Kritiken lehnen die Inszenierung deutlich ab. Nicht sehr wohlgesonnen ist man Ozawa, der kaum wirklich positive Rückmeldungen erfährt, ja mit dem teilweise sehr hart zu Gericht gegangen wird. Nachstehend einige Zitate:

Die ersten Zeitungskritiken klären einen nicht unwichtigen Punkt: Gert Korentschnig im Kurier (7.12.): "Wo sonst ein Bild des Seemanns hängt, gibt es in Sentas Stube Porträts von Che Guevara, Marx etc." Ich selbst habe das von meinem Platz nicht ausmachen können. Diese Tatsache verschärft allerdings den in der ganzen Inszenierung schon latent spürbaren Hang zur "Plakativität". Mit Ozawas Dirigat ist Korentschnig absolut unzufrieden, spricht von einem "undifferenzierten, dröhnenden Einheitsbrei".Hawlata und Kerl stoßen für ihn an ihre "Grenzen". Viel Lob für Struckmann und Stemme.Die Inszenierung hat ihm augenscheinlich nicht gefallen. Die Schiffsmannschaft des Holländers tituliert er als "Zombie". Dass die Chöre "gut geführt" sind, gesteht er Mielitz zu.

"Flammentod der indischen Witwe" schreibt Karlheinz Roschitz in der Kronen Zeitung (7.12.) und notiert, dass die Inszenierung "voll von spannenden Ansätzen" sei, sie aber "leider immer mehr mit politischen und symbolischen Akzenten beladen, bepackt und schwerfällig" werde und schließlich "allzu theatralisch-pathetisch" wirke. Den Schluss - Sentas Selbstverbrennung - findet er "absolut geschmacklos". Struckmann und Stemme sind für ihn ein "sensationell präsentes Paar" aber "rundum bleibt die mit einigen Buhs bedachte Besetzung allzu uninteressant". Ozawa dirigiert für ihn "oft undifferenziert".

Wilhelm Sinkovicz in der Presse vom 9.12. versucht eine „differenziertere Betrachtung“. Er findet, dass es in jüngster Vergangenheit „schlimmere Verfehlungen gegen den Buchstaben und - vor allem - den Sinn von Operntexten gegeben“ habe als diesen – nämlich Sentas Flammentod. Und er findet, diesen Schluss eher deshalb zweifelhaft „weil die Regie das Mädchen zwingt, aus dem Feuerkessel noch zweimal aufzutauchen (...). Das grenzt vielleicht mehr an Kitsch, als dass es die Härte der Aussage mehrte“. Er meint weiters, dass die Aufführung „kein adäquates musikalisches Fundament“ besitzt, dass „die Partitur wohl mehr Zwischentöne, mehr leise, ja flüsternde Aussagen, als in Wien derzeit zu hören sind“ beinhalte. In Summe spricht er aber von „einer konsequent gearbeitete "Holländer"-Inszenierung“.

Peter Vujica im Standard (9.12.) hat bis auf Struckmann und Stemme wenig Gefallen an dieser Neuproduktion gefunden. Er spricht von einem „Flop“ und „einhelligen Publikumsprotesten“ (die, das sei mir erlaubt anzumerken, so einhellig auch wieder nicht gewesen sind. Auch die Wiener Zeitung spricht von einem „unwidersprochener Orkan an Missfallenskundgebungen“ – die deutlich hörbaren Meinungsduelle hat der Rezensent da wohl ebenfalls nicht wahrgenommen.) Vujica nennt Hans Hawlata einen „musikalisch marginalen Daland“. Auch „John Dickie wird als Steuermann still weitersäuseln ebenso wie Torsten Kerl als Erik seine mit ihm verlobte Senta allein schon wegen seiner tenoralen Schwächen in die Arme Falk Struckmanns treiben wird.“ Ozawa fabriziert für ihn „Wagner-Drusch“. Und Mielitz verbreiteet „Binsenwahrheiten“.

„Die Kraftmeierei des Finales täuscht kaum darüber weg, dass Regisseurin wie Dirigent mit diesem undomestizierten Stück kaum fertig werden.“ Meint Reinhard J. Brembeck in der Süddeutschen Zeitung (9.12). Die Ausstattung ist „kaum überzeugend“. Und weiter: „Die Scheinidylle der Bürger wird radikal und drastisch ausgereizt. Sexuell und alkoholisch ausgetrocknete Seefahrer melden dröhnend ihre Bedürfnisse an, und so ist es kaum verwunderlich, dass Regisseurin Christine Mielitz die Situation schon bald in eine (harmlos inszenierte) Massenvergewaltigung umschlagen lässt. Wenn dann die wie Mönche vermummten Holländer-Männer von hinten einmarschieren, gibt es keine Steigerung mehr: musikalischer Notstand.“

Die Wiener Zeitung hatten wir schon, Edwin Baumgartner ist dort mit dem Gesehenen völlig unzufrieden: „Den Schiffbruch der Staatsopern-Neuinszenierung von Richard Wagners "Der fliegende Holländer" überleben nur wenige.“ Es sind für ihn Stemme und Struckmann. „Christine Mielitz also weiß mit dem Werk nichts anzufangen.“

Machen wir noch einen Blick in die Neue Züricher Zeitung vom 8.12.: „Eine gewaltige Masse wird da fast pausenlos bewegt: die gesamte Bühnenarchitektur, die Chöre, die Solisten. Doch wozu eigentlich? Das bleibt im Dunkeln wie die Bühne selbst.“ liest man hier. Struckmann „geht seinem kehligen, ausdrucksmässig wenig flexiblen Bariton die unheimliche Faszinationskraft dieser Figur gänzlich ab.“ Stemme sei ein „Lichtblick“, meint dortselbst Marianne Zelger-Vogt.