DIE GÖTTERDÄMMERUNG
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Wiener Staatsoper
Premiere
8.12.2008

Dirigent: Franz Welser-Möst

Inszenierung: Sven-Eric Bechtolf
Bühnenbild: Rolf Glittenberg
Kostüme: Marianne Glittenberg
Choreinstudierung: Thomas Lang

Siegfried - Stephen Gould
Gunther - Boaz Daniel
Hagen - Eric Halfvarson
Alberich
- Tomasz Konieczny
Brünnhilde - Eva Johansson
Gutrune - Caroline Wenborne
Waltraute
- Mihoko Fujimura
Nornen - Zoryana Kushpler, Elisabeth Kulman,
Caroline Wenborne

Rheintöchter - Ileana Tonca, Michaela Selinger, Juliette Mars


„Aufwärtstrend

(Dominik Troger)

Dritter Teil des neuen Staatsopern-„Rings“: die Neuproduktion der „Götterdämmerung“ wirkte gegenüber der „Walküre“ und „Siegfried“ szenisch geschlossener und gefiel vor allem wegen eines packenden zweiten Aufzugs.

Doch der Reihe nach: Die erste Szene geriet wenig verheißungsvoll, denn der deutsche Laubwald voll Eichen und Eschen hatte sich zur nadeligen Christbaumplantage domestiziert und weder Regie noch musikalische Leitung wussten mit dem „Geschichteunterricht“ der Nornen viel anzufangen. Die Nornen hantierten umständlich mit einem weißen Seil, Franz Welser-Möst suchte sein Heil in einem langatmigen Impressionismus, der wie ein deplaziertes Siegfried Idyll den mythisch-bedrohlichen Bodensatz dieser Szene in bedeutungsleere Klangmalereien überführte. Der Riss des Seils verpuffte, ohne allzu große dramatische Nachwirkungen – erst das Verschwinden der Nornen in der Versenkung, aneinandergeklammert und die Köpfe zusammengesteckt, vermittelte deren Erschütterung und zeugte vom Ernst der Situation.

Brünnhildes und Siegfrieds Abschiednehmen – in demselben Ambiente – steigerte sofort merklich die Spannung: Brünnhilde weckte den schlafenden Siegfried, sie brachten noch ein Opfer dar, Feuer züngelte aus zwei metallenen Schalen. Jetzt war auch das Orchester aufgewacht, tauschte den filigranen Beginn gegen sattere Farben und forderte die Bläser zu wuchtigerem Spiel. Jubelnd und mitreißend durcheilte Siegfried die Tannen – und zog von dannen, dem majestätisch rauschenden Rhein entgegen.

Die Gibichungen-Halle, im Hintergrund durch eine halbtransparente grünliche Wand geteilt, wirkte ärmlich, nur mit einem langen, zu einer offenen Spirale gedrehten Sofa bemöbelt. Auf diesem Sofa wurde gesessen, gelegen, gestanden, gehüpft und würdevoll mit einem Speer präsentiert. Schnell wurde klar, dass Bechtolf vor allem Hagen in den Mittelpunkt rückt – einen Hagen, der wie ein Marionettenspieler alle am Fädchen hat, einen Hagen, der sogar Siegfried herbeizitiert, mit großen Gesten ihn herbeilockt, in einem somnambulen Zustand verfallen, bis der hehrste Held der Welt aus der Versenkung (!) fährt – mitten ins Gibichung’sche Familienerbe.

Hagen scheint überhaupt ein seltsamer Mann zu sein, fast lausbübisch probiert er den Tarnhelm aus (der aber bei ihm nicht funktioniert?) und mit Heldenpose – und bestens in die musikalische Attacke geschmiegt – dreht er seinen Speer über dem Kopf, bevor er sich zur Wacht „setzt“. Trotz stockenden Blutes wirkt er beweglich – ein gealterter Loge, ein unglücklicher Mensch, selbst von Alberich gegängelt, gängelt er die anderen, ein bisschen Showstar und doch ein hinterhältiger Falott. Sven-Eric Bechtolf Konzept, die Dinge ernst, aber nicht zu ernst zu nehmen, findet in der Zeichnung Hagens seine deutlichste Ausprägung: Bechtolf bricht den Wagner’schen Mythos nicht, in dem er ihn brutal in die Gegenwart verfrachtet, sondern in dem er die Märchenhandlung immer wieder aus der Perspektive eines frühreifen Buben hinterfrägt: eine kindliche Lust liegt in diesem Hagen, eine Lust zu Sadismen und zur Selbstdarstellung. So formt er einen jüngeren, ränkeschmiedenden Hagen, kein alten, grimmigen, erstarrten Recken, der als Schicksalserfüller dient.

Ob man damit nicht schon den Faden für die Bechtholfsche Ring-Exegese in der Hand hält? Bechtolf kümmert sich wenig bis gar nicht um die politischen Implikationen der Ring-Dichtung und Wagners „revolutionärer Biographie“, die Bedeutung des Mythos will er nicht betonen, er lauscht Wagners Geschichten wie ein Märchen, stöbert ein wenig in der großbürgerlichen Psyche und bewahrt sich dabei die Haltung eines neugierigen, mit Mutterwitz gesegneten Kerls, der gerne Theater spielt. Bechtolfs „Ring“ ist keine Deutung im engeren Sinne, sondern er blickt von Außen auf den drachenbehausten Märchenwald: er spielt mit den Figuren wie mit einem Puppentheater. Deshalb ist ihm auch die Kontinuität der Orte im Ring nicht wichtig. Solche erkennbaren Bezugsysteme bedeuten nur Starrheit und die gehört zur Welt der Erwachsenen.

Bechtolf vertraut auf die Wirkung des Theaters und misstraut ihr zugleich – ein seltsamer Kampf scheint da abzulaufen, an Hagens eigenwilligem Gebaren deutlich abzulesen. Heldischer Speerschwinger und zugleich alberner Zeichengeber, der linkisch bemüht ist, Gutrune und Gunther klar zu machen, was sie Siegfried antworten sollen. Dass solche Zwiespältigkeit Protest entfacht, war schon den Pausengesprächen nach dem ersten Aufzug zu entnehmen, es ist nicht einfach, hier klare Konturen herauszuschälen. Dazu wirkte Eric Halfvarson darstellerisch nicht immer kompetent genug, aber man darf ihm nicht anrechnen, was die Regie verlangt. Stimmlich war er präsent und doch schien die Stimme schon ein wenig brüchig und nicht immer von der Souveränität gezeichnet, mit der ein Hagen gerne als „Böses an sich“ durch die „Götterdämmerung“ schreitet. Freilich, es hat irgendwie zum Charakter gepasst, der hier offenbar dargestellt werden sollte.

Doch weiter in der Chronologie: Mihoko Fujimura sorgte als Waltraute mit der Schilderung von Wotans Depressionen überzeugend für die dramatischen Akzente, während das Dirigat in die Lethargie der Nornenszene zurückfiel. Danach lud Brünnhilde Siegfried zum „Hasch-mich-Spiel“ zwischen den inzwischen sattsam bekannten Nadelbäumchen. Siegfried, ein von kindlicher Phantasie mit Tarnhelm-Gold überglänzter Heroe, schnappte sich unbarmherzig den Ring. Mit Brünnhildes Zusammenbruch kam endlich eine neue, psychologisch starke Komponente ins Spiel, die den ganzen zweiten Aufzug beherrschen sollte.

Dieser zweite Aufzug bot spannendes und packendes Musiktheater. Bechtolf setzte die Viereck-Geschichte mit guter Personenführung in Szene, formte eine starke Brünnhilde, zwischen Gebrochenheit und eifersüchtigem, hassgenährtem Liebesfeuer wechselnd. Eva Johansson gestaltete diese Rolle gesanglich und darstellerisch intensiv. Franz Welser-Möst schien sich hier wohler zu fühlen, als bei den Geschichtestunden der Nornen und dirigierte mit klangschönem Biss dieses brutale Spiel um Liebe und Ehre. Hier passte auch das Bühnenbild, die beiden Reihen an Stelen, rechts und links der Bühne, sich dem Hintergrunde zu verjügend, letzte Assoziationen eines Herrschaftsanspruchs der Gibichungen, der in der dramatischen Entwicklung nach Brünnhildens Ankunft sukzessive demontiert wird.

Zu Beginn des dritten Aufzugs enthüllte Bechtolf die wahre Natur der Rheintöchter: neckische, dumme Wasserplantscher. Zwischen verleihmäßig, vertäuten Booten zu denen sich Siegfried seltsamer Weise hin verirrt, tauchen und grundeln sie läppisch herum. Siegfried fühlt sich geschmeichelt, dann bedroht, den Ring wird er dort nicht los. Auf Stephen Gould, der sich bis dahin, abgesehen von ein, zwei verunglückten Höhen im zweiten Aufzug, sehr gut gehalten hat, warteten jetzt aber noch Lebensbeichte und Tod – denen er schon deutlicher hörbar gesanglich Tribut zollen sollte.

Fragen darf man natürlich, ob Siegfried auch in der Götterdämmerung noch wie ein bäriges Plüschtier wirken soll, das mit einem Schwert in der Hand herumläuft. Da kamen weder von Gould noch von der Regie Impulse, um hier charakterfördernd zu wirken. Der Trauermarsch wurde zum klangschönen, aber brutal exekutierten, überlauten Fanal, erschütternd in seiner aufpolierten Gewalttätigkeit – und in der überzeichneten Wucht doch schon fast wieder eine Karikatur seiner selbst. Nur Trauer evozierend fand ich ihn nicht.

Für Brünnhildens Schlussgesang ist Bechtholf bis auf eine praktikable Rampenplatzierung nichts mehr eingefallen. (Pragmatisch hat man den toten Siegfried gleich mit einem der Miets-Boote abtransportiert und nach Gibichung verfrachtet. Dort taucht er dann aus einer Versenkung (!) auf …) Eva Johansson stößt mit schrillen Höhen an die Grenzen ihres eben doch nicht hochdramatischen Soprans – da fehlte es nicht nur an stimmlichem, sondern auch an interpretatorischem Format. Zu alledem hat Bechtolf zusammen mit seinem Bühnenbildner Rolf Glittenberg den Schluss ins hybrid-chaotische verzogen. Es ist kaum mehr auszumachen, was da wirklich passiert, so in Rage gerät die Bühnenmaschinerie. Aber wenigstens helfen Feuer- und Wasserprojektionen aus, um die Quintessenz zu wahren: den flutenden Rhein und Walhalls Brand. Dann „erfreut“ sich Wotan mit zerbrochenem Speer kurz am Feuer, und irgendwo im Hintergrund taucht noch ein Paar auf, Brünnhilde und Siegfried in Umarmung? Der Sieg der Liebe über den Tod? Aber das war schwer auszumachen, mehr eine Silhouette im Toben der Untergangsmusik. Dass Franz Welser-Möst darauf verzichtet hat, dem Liebesmotiv – dem krönenden Abschluss des Rings – die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen, war ein großer Wermutstropfen, aber insgesamt nur konsequent.

Das Orchester glänzte in vielen instrumentellen Details, mit in den Orchesterzwischenspielen fein herausgearbeiteten Übergängen. Insgesamt wurde ein etwas trockener Klang bevorzugt, der vor allem den Bläsern ihre charakteristische weiche Tönung nahm. Die interpretatorischen Qualitäten versagten aber gerade dort, wo das Erzählen im Vordergrund steht, wo es auf das Verflechten der Motivketten zu sinnvollen „Klangsätzen“ ankommt. Da wirkte der musikalische Vortrag schnell flach und langatmig (Nornenszene, Waltrautenszene und Brünnhildens Schlussgesang). Die erzählende Symbolik der Motive, die demgemäß zum „Sprechen" gebracht werden sollte, stand für meinen Geschmack trotz technisch perfekter, artifizieller Umsetzung zu stark im Hintergrund. Der Schicksalszusammenhang, in den die „Götterdämmerung“ verflochten ist, wurde mir zu wenig deutlich herausgearbeitet.

Einen sehr guten stimmlichen Eindruck hinterließ der Gunther von Boaz Daniel, schön und kraftvoll gesungen – szenisch blieb die Figur ein wenig unterbelichtet. Seine Schwester Gutrune, Caroline Wenborne, konnte da nicht nacheifern. Auffallend war, wie Bechtolf versuchte, Gutrune einen positiveren Anstrich zu verpassen und sie in eine Opferrolle zu drängen. Die Nornen und die Rheintöchter waren soweit präpariert, dass sie nicht unangenehm auffielen, sondern da und dort durchaus Akzente setzten.

Die Regie erhielt weniger Ablehnung als nach den beiden vorhergegangenen „Ring“-Premieren, die Bravo-Rufe waren deutlich in der Überzahl. Neben viel Jubel für alle Mitwirkenden und insbesondere auch für Franz Welser-Möst, mischten sich ein paar Buhrufe für Eva Johansson in ihren ersten Solovorhang.

Fazit: Eigentlich ist der neue „Wiener Ring“ mit dieser Premiere gelaufen. Was soll man für das im Frühjahr versprochene „Rheingold“ jetzt noch erwarten dürfen? Eventuell einen exzellenten Alberich? Denn der böse Albe (Tomasz Konieczny) machte auch an diesem Abend in seinem Kurzauftritt auf Lust nach mehr.