DIE GÖTTERDÄMMERUNG
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Wiener Staatsoper
9.12.2001

Dirigentin: Georg Alexander Albrecht

Siegfried - Christian Franz
Gunther - Peter Weber
Hagen - Roland Bracht
Alberich - Georg Tichy
Brünnhilde - Deborah Polaski
Gutrune - Ricarda Merbeth
Waltraute - Margaretha Hintermeier

"Orchester-Dämmerung"
(Dominik Troger)

Da ist an der Staatsoper endlich mal ein wirklich guter Siegfried zu hören und dann verhaut das Orchester blamabel den Abend.

Vor allem die Bläser - und das hört man halt besonders gut - zeichneten sich durch unsauberen Ansatz und jede Menge falscher Töne aus. Die Hörner torkelten in der Überleitung zu Siegfrieds Rheinfahrt wie ein vom Sturm gebeutelter Kahn hilflos durch die Orchesterwogen, und später wurde überhaupt versucht, durch Lautstärke die eigene Überforderung zu übertönen. Der Trauermarsch hatte schon das Potential für einen mittleren Gehörschaden. Dabei wird man dem Dirigenten, Georg Alexander Albrecht, wahrscheinlich gar nicht die Schuld daran geben können. Anscheinend hat man gröbere Probleme das Orchester mit an Wagner geschulten Kräften aufzufüllen, die das eben auch gewissermaßen "vom Blatt" spielen können. Dem Repertoire-Gedanken tut man damit freilich nichts Gutes, wenn eine "Solo"-Götterdämmerung sich nur mehr auf einem derart niedrigen Niveau realisieren lässt. Ein Besucher behauptete sogar keck "in Budapest wäre das Orchester besser gewesen".

Doppelt und dreifach schade, weil mit Christian Franz endlich einmal ein wirklich guter Siegfried zu hören war, ein Siegfried im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte, mit wortdeutlichem und ausdeutendem Vortrag, der, man glaubt es kaum, sogar in der Lage war, in durchaus pointierter Akzentsetzung der Wagner'schen Komposition zu folgen. Wo andere - und Namen sollen hier bewusst nicht genannt werden - ihr Heil im letzten Ausschreien herabgearbeiteter stimmlicher Ressourcen suchen - bot Franz eine psychologische Rollenstudie, die trotzdem auf einen markigen, heldischen Kern nicht verzichten musste. Hier hat sich ein Sänger endlich auch mal wieder Wagners Forderungen nach einem Musik-Drama zu Herzen genommen, in dem der Rhetorik mindestens soviel Platz beigemessen werden muss wie dem Gesang.

Bestes Beispiel für diese Art des Vortrags war der Raub Brünnhildens aus ihrer Felsengegend. In dieser an und für sich immer ein wenig abgeschmackt wirkende Szene fand Franz einen zwischen Täuschung und Selbsttäuschung schwebenden Ton, der dieses biedere Betrugsmanöver zu einem fragilen psychischen Vorgang mutierte. Man hatte immer das Gefühl, in Siegfried brodle noch ein letzter Rest Erinnerung, der nur durch diesen bösen Trank niedergehalten, sich ihm nicht mehr richtig bewusst machen könnte. Schließlich saß er selbst, gleichsam bezwungen wie Brünnhilde auf dem Kulissenfelsen, aus seinem Unterbewussten heraus verstört, und die Aufwallung, mit der er letztlich durch Nothung den Trennungsstrich zwischen sich und Brünnhilde zog, wurde ihm zu einer schweren Überwindung. Man mag über diese Wandlung vom "naiven" Helden zum "mit-leidenden" Helden überrascht gewesen sein, weil man das (etwa auch in der langen Erzählung im dritten Aufzug, wenn Siegfried seine Erinnerung zurückerlangt) eigentlich nie so vermittelt bekommt. Vor dem Hintergrund Wagner'scher Weltanschauung, die sich zum Zeitpunkt der Komposition der Götterdämmerung schon stark unter Schopenhauerischem Einfluss zeigte, erkennt man plötzlich, dass Siegfried hier in gewisser Parallelität Wotans Schicksal nachvollzieht. Was kann es bei einer Götterdämmerung - die ihre Existenzberechtigung ja hauptsächlich daraus bezieht, Wagner's Weltentwurf in eine (vermeintlich) abschließende Form gebracht zu haben - Besseres geben, als wenn ein Sänger hier diese psychologisch-philosophische Ebene verdeutlicht, ohne dass diese Verdeutlichung als Ausrede für mangelnde stimmliche Kapazitäten herhalten muss.

Leider war außer Deborah Polaski, deren Brünnhild'ische Stärken und Schwächen hinreichend bekannt sind, kein(e) ProtagonistIn mehr in der Lage, annähernd an die Stimmkultur und psychologische Feinfühligkeit eines Christian Franz aufzuschließen. Roland Bracht als Hagen war eine glatte Fehlbesetzung, bar jeder drohendtönenden Tiefe, ein harmloser Intrigant. Der Gunther von Peter Weber wird von Mal zu Mal farbloser und irgendwann ist der Punkt erreicht, wo selbst diese rollenimanente Farblosigkeit einem Publikum nicht mehr zugemutet werden sollte. Weil auch der Rest der Beteiligten nicht sonderlich reüssieren konnte, sei gar nicht näher darauf eingegangen. Vor diesem Hintergrund waren der Applaus für Franz und Polsaki nur Recht, einige Buhs für Bracht nur angebracht und die Buhs für den Dirigenten (bereits zu Beginn des dritten Aufzugs und bei seinem Solo-Vorhang am Schluss) nur Ausdruck der Hilflosigkeit eines Publikums, dass den Glauben an das "beste Opernorchester der Welt" nicht so schnell verlieren möchte.