GÖTTERDÄMMERUNG
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Wiener Staatsoper
30. Juni 2023

Dirigent: Franz Welser-Möst

Siegfried - Daniel Frank
Gunther - Clemens Unterreiner
Hagen - Mika Kares
Alberich - Michael Nagy
Brünnhilde - Ricarda Merbeth
Gutrune - Regine Hangler
Waltraute - Monika Bohinec
Nornen - Noa Beinart, Juliette Mars, Regine Hangler
Rheintöchter - Ileana Tonca,
Patricia Nolz , Daria Sushkova


„Abschied vom Ring

(Dominik Troger)

Franz Welser-Möst dirigierte an diesem Abend seine letzte „Götterdämmerung“. Er hatte schon im Vorfeld der beiden „Ring“-Durchgänge an der Wiener Staatsoper angekündigt, von Wagners Tetralogie Abschied zu nehmen und sie als Dirigent zurückzulegen.

In einem Interview für die aktuelle Ausgabe der Publikumszeitschrift der Wiener Staatsoper hat Franz Welser-Möst seinen Schritt näher erläutert. Er sagte, der „Ring“ sei für jeden Dirigenten so etwas wie der „Mount Everest“ für Bergsteiger. Es sei ein bewusstes Abschiednehmen und es würde ihm noch jede Menge an wunderbarem Repertoire übrig bleiben. Franz Welser-Möst hat in den Jahren 2007 bis 2009 die Genese des Staatsopern-„Rings“ in der Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf musikalisch betreut. Er hat am Haus 10 Vorstellungen des „Rheingolds“, 17 Vorstellungen der „Walküre“, 15 „Siegfried“-Aufführungen und 15-mal die „Götterdämmerung“ geleitet.

Wie er in dem erwähnten Interview ausgeführt hat, war ihm dabei wichtig, den „überschauenden Blick“ zu wahren, und das „große Ganze“ im Auge zu behalten. „Wenn ich zum Beispiel ununterbrochen gewaltige Rubati oder Ritardandi mache und dadurch die Form ausfranse, nur um in einzelnen Passagen zu baden, können diese paar Takte im Augenblick jeweils sehr wirkungsvoll sein – im Gesamten stellt sich aber sehr bald unweigerlich das Gefühl der Abgegriffenheit und Langeweile ein.“ (Opernring 2 / Juni 2023).

In diesem Sinne war Franz Welser-Mösts „Ring“-Interpretation nach meinem Eindruck nie „schwanger“ vom Mythos, leuchtete Walhall nicht in huldvoller, erhabener Majestät auf das Publikum herab, zeigten sich die großen, emphatischen Gefühle der um Macht und Liebe ringenden Figuren da und dort doch etwas schaumgebremst. (Zum Beispiel entwickelte sich der erste Aufzug der „Walküre“ oft recht träge, bis Sieglinde und Siegfried endlich Feuer gefangen hatten – stark abhängig von der Bühnenpräsenz der ausführenden Gesangeskräfte.) Seine oben zitierten Aussagen legen nahe, dass er seine „Deutung“ mehr aus einer auf nüchternen, strukturierten Überlegungen beruhenden Gesamtschau entwickelt hat. In diesem Sinne war sein Dirigat kein üppiger, mit Kommentaren und Bildern versehener Reiseführer in Wagners mythische Lande, sondern mehr ein spannende und geradlinige topographische Sichtbarmachung.

In ihren zupackendsten Momenten sprühte die Musik allerdings mit überwältigender Energie und Kraft aus dem Orchestergraben. Das Finale des „Rheingolds“ zählte beispielsweise dazu, das Finale des ersten Aufzugs der „Walküre“ oder der Trauermarsch in der „Götterdämmerung“ als alles übertönende, wuchtige Klangskulptur – der Held in der brutalen Nacktheit seines Todes, jeder Verklärung abhold. Und an besonders gelungenen Abenden packte einen aufzugsweise dieser Sog, der das schicksalshafte Bühnengeschehen seinem unerbittlichen Ende zutrug. Dabei wahrte der Dirigent ein differenziertes Klangbild, sorglich gestaltete Details bestrichen die Topographie mit mancher Farbe, mit manchem sich solistisch herausrankenden Detail zur plastischen Sichtbarmachung. Ein Gespür für den „Ring“ als Konversationsstück belebte die Aufführungen mit Humor und deklamatorischer Gestaltungsgabe.

Dazu gesellte sich jede Menge an Erfahrung, die heikle Momente wie bei kurzfristigen Umbesetzungen in wahre Triumphe verwandeln konnte: So geschehen in der „Walküre“ vom 22. Juni, als das Einspringen von Tomasz Konieczny als Wotan alle Beteiligten zu beflügeln schien – wodurch sich die Vorstellung zum „Filetstück“ dieser zwei „Ring“-Durchgänge der Staatsopernsaison 2022/23 mauserte. Auch haben die allergiebedingten Stimmprobleme von Burkhard Fritz in der „Götterdämmerung“ vom 18. Juni die Beteiligten nicht daran gehindert, für eine insgesamt sehr gute Vorstellung zu sorgen. Unvergessen ist die Premiere der „Walküre“ im Dezember 2007, als Franz Welser-Möst im zweiten Aufzug einem schwer strauchelnden Wotan über die Runden half und sich im dritten Aufzug mit einem zwar erfahrenen, aber kurzfristigst ans Haus geholten Einspringer abstimmen musste.

Auch bei der „Götterdämmerung“ zum Saisonbeschluss gab es wieder eine wichtige Umbesetzung: Für Burkhard Fritz war Daniel Frank, der Siegmund der zweiten „Walküren“-Aufführung, eingesprungen. Solide als Siegmund hatte Frank schlussendlich doch zu wenig Stimme für einen Siegfried an der Wiener Staatsoper, vor allem der dritte Aufzug zehrte an seinem Tenor. Gespielt hat er die Figur mit jenem lockeren Humor, der ihn wahrscheinlich als Zögling moderner Regieideen ausweist (und besser als den Siegmund).

Ricarda Merbeth war als Brünnhilde nicht ganz so gut disponiert wie bei ihrem Wiener Rollendebüt am 18. Juni. Dass man ihr Engagement im hochdramatischen Fach durchaus zwiespältig sehen kann, wurde bereits in früheren Rezensionen angesprochen. Gunther und Gudrune lagen wieder in den bewährten Kehlen von Clemens Unterreiner, dem jüngst ernannten Kammersänger, und von Regine Hangler. Monika Bohinec gab eine stark um Wotans und Brünnhildes Schicksal besorgte Waltraute.

Mit dem Hagen von Mika Kares und dem Alberich von Michael Nagy standen an diesem Abend wieder zwei große „Gewinner“ dieser beiden „Ring“-Durchgänge auf der Bühne, beiden würde man gerne an der Wiener Staatsoper wieder begegnen. Und, um gleich ein Resümee dieser acht Vorstellungen zu wagen: Als gerade sensationell wurden die Wiener Rollendebüts von Michael Laurenz als Loge und von Matthäus Schmidlechner als Mime wahrgenommen. Außerdem hat Klaus Florian Vogt als Jung-Siegfried ein faszinierendes Rollenporträt geboten, das in den Pausenfoyers einige Diskussionen angeregt hat. Weniger glücklich sind die beiden „Ring“-Durchgänge für einen gesundheitlich offenbar etwas angeschlagenen Eric Owens als Wotan verlaufen (nach der Absage der zweiten „Walküre“-Vorstellung hatte er im Siegfried vom 25. Juni nach dem ersten Aufzug aufgeben müssen, wieder war Tomasz Konieczny eingesprungen) – und das Siegmund-Debüt von Giorgi Berrugi an der Wiener Staatsoper hat möglicherweise zu früh in seiner Karriere stattgefunden.

Der Beifall nach dieser die Staatsopernsaison beschließenden „Götterdämmerung“ hielt über zwanzig Minuten lang an, wobei nach Herablassen des Eisernen Vorhangs einige Besucher noch weiter applaudierten, solange bis man begann, das Licht im Zuschauerraum abzuschalten.

PS: Leider wird man in der Kultur-Rubrik der Wiener Zeitung nichts mehr über diese letzte „Ring“-Vorstellung unter der Stabführung von Franz Welser-Möst lesen können. Die Wiener Zeitung hat mit 30. Juni aufgehört, als Tageszeitung zu existieren. Nicht nur der aktuelle Diskurs um Kultur und Kunst ist wieder um ein Sprachrohr ärmer geworden.