GÖTTERDÄMMERUNG
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Wiener Staatsoper
19. Mai 2022

Dirigent: Axel Kober

Siegfried - Michael Weinius
Gunther - Clemens Unterreiner
Hagen - Albert Dohmen
Alberich - Jochen Schmeckenbecher
Brünnhilde - Nina Stemme
Gutrune - Regine Hangler
Waltraute - Szilvia Vörös
Nornen - Noa Beinart, Stephanie Houtzeel, Regine Hangler
Rheintöchter - Joanna Kedzior,
Patricia Nolz, Stephanie Meitland


„Umjubelte Brünnhilde

(Dominik Troger)

„Götterdämmerung“ an einem Werktag? Oder hat man sich bei der Planung vertan? Es kann nicht an jedem Donnerstag im Mai Christi Himmelfahrt oder Fronleichnam sein. Vielleicht war es auch nur eine Konzession an die etwas „werktägige“ Besetzung dieser Vorstellung, die ohne Nina Stemme und dem Staatsopernorchester unter Axel Kober eher bescheidenes Wagnerglück geboten hätte.

Nina Stemme hat zuletzt 2014 an der Staatsoper als Brünnhilde das Ende Götter befeuert. Die „Götterdämmerung“ liegt ihrer Stimme – und jetzt, wo die Sängerin langsam in neue Rollen hineinwächst (wie unlängst die Küsterin im Theater an der Wien) – kann sie daraus Vorteile ziehen. In der „Walküre“ vor eineinhalb Wochen haben sich die vielen Jahre hochdramatischen Singens deutlicher bemerkbar gemacht als an diesem Abend, wirkte ihr Gesang ein wenig zu schwerfällig für das jugendliche Wotanskind. Einer „Götterdämmerung“ ist diese Reife angemessener, die katapultartig sattlodernde Sopranfackeln in das Auditorium schleudert, beginnend mit dem „Heil“ zu Siegfrieds Abschied, der sich vom feurigen Liebesnest des Walkürenfelsens auf in die Welt macht, bis zur Erlösung heischenden Scheiterhaufen-Extase des Finales.

Stemme verleiht der Partie eine starke Intensität. Es ist keine schauspielerische Intensität, die sich zum Beispiel an einer ausgefeilten Gestik, an detailverliebt ausformulierten seelischen Regungen ergötzt, sondern es ist eine Art von innerem Erglühen: Ihre Seele wendet sich nach außen, einerseits unterstützt von archetypischen Posen – etwa das gedemütigte zu Boden stürzen im zweiten Aufzug – andererseits durch eine menschlich-heroische Gefasstheit des Leidens. Stemme psychologisiert nicht, ihre Brünnhilde erlebt ihr Schicksal intuitiv. Von der Liebe über die rasende Eifersucht bis zur Selbstaufgabe wappnet sie sich im Finale mit einer menschlichen Größe, in der sich Gefühlsabgründe mit göttlicher Gewissheit vermählen.

Mit diesem festem Glauben an die Zukunft der Menschheit wird von ihr das Ende der Götter besiegelt – und dank ihrer breiten, warmtimbrierten Stimme gelingt das auf eine charaktervolle, zu Herzen sprechenden Weise. In Stemmes Brünnhilde versöhnen sich die beiden großen, einander widerstrebenden Gedankenstränge des „Ring“, Siegfrieds Revolution und Wotans Weltverneinung, versöhnen sich in ihrer mitfühlenden Seele als Geliebte des einen und Tochter des anderen. Und dann erreicht das Wagnersche Musikdrama jene Größe, die ihm gebührt.

Leider hatte Nina Stemme an diesem Donnerstag keinen Stephen Gould als Siegfried an ihrer Seite, so wie vor acht Jahren. Denn dem Siegfried von Michael Weinius fehlte ein großzügiger heldentenoraler Zuschnitt. Immer wieder etwas eng geführt, mangelte es der Stimme an jener bezwingenden Durchschlagskraft, die dem hehrsten Helden der Welt angemessen gewesen wäre. Die baritonale Grundlage seines Tenors kam nicht so recht zum Tragen, verschob sich manchmal fast ein wenig in Richtung Charaktertenor, so als würde in Siegfried der Ziehvater noch „mimisch“ nachhallen. Gegenüber der sattstrahlenden Brünnhilde einer Nina Stemme hatte er einen schweren Stand. Dort wo Siegfried nicht unbedingt den Kraftlackel spielen musste, ging es besser, entwickelte sich trotz mancher Textschwäche ein naiver Charme: beim Herumschäkern mit den Rheintöchtern etwa. Einen Feiertag hat Weinius aus diesem Werktag also nicht gemacht. (Das „hohe C“ vor der Ankunft Hagens im dritten Aufzug hat er nicht riskiert, aber das ist schon fast ein „Luxusproblem“.)

Der Hagen von Albert Dohmen bestand mehr in der Konversation, ohne schwarzalberische Bassbedrohung. Dohmen ist ein Wotan, der sein spätes Glück beim Hagen sucht – und damit nicht überzeugt. Der stimmkräftigste unter den Wagnerhelden ist er zudem nie gewesen: ein zu blasses Rollenporträt. Clemens Unterreiner war ein fescher Gunther, stimmlich wie in der Darstellung, ohne sich dabei zum Helden zu machen, denn der Waffenrock wäre seiner Stimme womöglich zu schwer geworden. Regine Hangler vermittelte als Gutrune glaubhaft ihre Gefühle und Jochen Schmeckenbecher entledigte sich des Kurzauftritts als Alberich sehr ansprechend. Szilvia Vörös sang eine tadellose Waltraute. Die Rheintöchter schienen mir besser disponiert als die Nornen, beide warfen keine gröberen Schatten auf die Vorstellung. Die Mannen des Staatsopernchores durften wieder ihre silbernen „Kettenhäubchen“ aufsetzten, zum Glück singen sie viel besser, als diese ausschauen.

Wie eingangs erwähnt hatten Axel Kober und das Orchester großen Anteil daran, dass die Vorstellung Format entwickelte. Kober fand zu einem zügigen, aber nicht zu schnellen Tempo, auch das Orchester war in der sprichwörtlichen „Spiellaune“. Nach einem verhaltenen, noch etwas „abgesofteten“ Einstieg, entwickelte sich bald jener mit viel Verständnis für den großen Zusammenhang gesteuerte motivkettengeleitete Sog, der das Publikum mit zunehmender Intensität durch den Abend führte. Dass eine „Götterdämmerung“ meist ab dem zweiten Aufzug erst so richtig an „Fahrt“ aufnimmt, galt auch für diese Vorstellung. Aufwühlend und mit ausschwingender Hoffnungsverklärung erklang das Finale, mit Nina Stemme als Bannerträgerin auf der Bühne. Die Aufführung dauerte inklusive zweier Pausen von 17 Uhr bis gegen 22.15h.

Die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf in den Bühnenbildern von Rolf Glitterberg ist keine Großtat, aber das weiß man seit der Premiere. Doch wer sich unter der derzeitigen Staatsoperndramaturgie eine Neuinszenierung wünscht, ist selber schuld: also dann lieber den Bechtolf-„Ring“ noch ein paar Jahre lang aushalten. Der Schlussapplaus knackte knapp die zehn Minuten Grenze. Nina Stemme wurde gefeiert, viel Applaus gab es auch für Dirigenten und Orchester, der Rest folgte dann mit Abstufungen.

PS: Bis auf Stemme, Schmeckenbecher, Hangler (Gutrune), Houtzeel und Kober feierten alle Mitwirkenden Rollendebüt an der Staatsoper.