GÖTTERDÄMMERUNG
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Wiener Staatsoper
7. Juni 2015

Dirigent: Simon Rattle

Siegfried - Stephen Gould
Gunther - Boaz Daniel
Hagen - Falk Struckmann
Alberich - Richard Paul Fink
Brünnhilde - Evelyn Herlitzius
Gutrune - Caroline Wenborne
Waltraute
- Anne Sofie von Otter
Nornen - Monika Bohinec, Stephanie Houtzeel, Ildikó Raimondi
Rheintöchter - Ileana Tonca, Ulrike Helzel, Juliette Mars


„Brünnhildes Seelenqualen

(Dominik Troger)

An der Staatsoper eilten am Sonntag dem Ende zu, die so stark im Bestehen sich wähnten. Bei hochsommerlichen Temperaturen und einer Beginnzeit um 16 Uhr konnten die Besucher die erste Pause noch für ein Sonnenbad auf der operngassenseitigen Terrasse nützen.

Aber es soll niemand behaupten, dass diese „Götterdämmerung“ kein Sommerflair geboten habe. Wenn sich die Rheintöchter Anfang des dritten Aufzugs im Wasser vergnügen und Siegfried in dieser Produktion offenbar bei einem Ruderboot-Verleih Pause macht, dann ist das Gänsehäufel* nicht weit. Sehr hemdsärmelig war auch der Besucher unterwegs, der am Beginn des dritten Aufzugs nach Abklingen des starken Applauses für Simon Rattle und das Orchester noch ein „Buh” nachschickte. Es folgte ein kleiner Tohuwabohu, mit neuerlichem Applaus, neuerlichem Aufstehen des Orchesters. Als daraufhin immer noch keine Ruhe eintrat, gab es einen derben Zwischenruf aus einem Eck der Galerie, der unter Aufbietung einer analen Umschreibung allgemein zur Ruhe aufforderte. Das derart unhöflich titulierte Publikum wollte auf diesem fragwürdigen Niveau dann offenbar doch nicht weiterdiskutieren und die Aufregung legte sich rasch, nur bei den Bläsern wirkte sie in ein paar gröberen Schnitzern nach.

Der Abend hatte im ersten Aufzug schon mit „Problemchen“ begonnen. Die Versenkung, aus der Siegfried mitten unter die Gibichungen „hochfährt”, hatte versagt. Siegfried hastete von der Seite auf die Bühne – und es dauerte lange, bis die Bühnenarbeiter die bereits offene (!) Versenkung wieder schließen konnten. Gunther äugte manchmal scheel in die Staatsoperntiefe, Hagen, der auch mal das seltsam geschwungenen „Sofa” erstieg, von dem die Versenkung verborgen wird, war zum Glück „schwindelfrei“. Dann und wann tauchte in der Tiefe kurz ein Kopf auf. Schließlich wurde die kleine Plattform langsam nach oben gelassen und wieder platziert. (Gedankt sei es dem bühnennahen Seitenplatz, der mir diese „spannenden“ Einblicke bot.)

Der Aufführung gestaltete sich – wie erwartet. Stephen Gould hatte nach dem Siegfried seine „Batterien” wieder ganz aufgeladen und sang sich unermüdlich und kraftvoll durch den Abend – und ließ sich diesmal auch durch das tückische „Hoi-he” nicht aus der Ruhe bringen. Falk Struckmann versuchte sich erstmals in Wien als schwarzer Bass. Aber dem Rollencharakter des Hagen entspricht es wohl nicht, wenn baritonaler Beiklang die erwartete profunde, markige und raumfüllende Tiefe ersetzt. Struckmann mangelte es wirklich nicht am darstellerischen Profil, böse Kerle sind seine Spezialität, aber in der Tiefe klang dieser Hagen ziemlich flau. Insofern scheint mir diese Mutation von einem ehemaligen Wotan zum Hagen weniger geglückt, als die von Tomasz Koniecznys Alberich zum Wotan.

Die wieder viel umjubelte Evelyn Herlitzius brachte mit der Studie eines fast „lucia-ähnlichen“ Wahnsinns Brünnhildes Seelenqualen im zweiten Aufzug nachdrücklich auf den Punkt. So wie sie sich von Gunther in die Halle führen ließ, den Oberkörper von ihm weggedreht, das Haupt leicht geneigt, gab sie ein erschütterndes Beispiel für Brünnhildes Leiden ab, das dann in eine fast physisch spürbare Verzweiflung und Rache umschlug. Dafür passte der für mich „ausgezehrt“ klingende Sopran der Sängerin ideal, die mit jedem Ton gleichsam Furchen in das erschütterte Herz dieser Frau grub, um alles Blut herauszupressen. Doch bereits bei der Verabschiedung des hehrsten Helden hat die Sängerin bei den „Heil”-Rufen manchen Spitzenton wieder nur kurz angesungen und der Schlussgesang wurde vor allem mit Durchhaltevermögen bewältigt, aber wegen ihrer Emotionen ansprechenden Bühnenwirkung war der Sängerin der Jubel des Publikums gewiss.

Boaz Daniel als verlässlicher durchaus schönstimmiger Gunther und Caroline Wenborne als solide Gudrune vervollständigten die Herrschaftsschicht. Richard Paul Fink beschloss sein Wiener „Ring“-Debüt mit einem soliden Alberich. Und vielleicht ist es ungerecht, sicher aber phantasielos, die Nornen und die Rheintöchter globalisiert unter demselben Eigenschaftswort zusammenzufassen. Die Waltraute von Anne Sofie von Otter erklang zu leise für das Haus, im Timbre schon etwas abgeblüht. Simon Rattle nahm hier das Orchester sehr zurück und die von der Sängerin zu unspannend vorgetragene Erzählung kam fast zum Stillstand.

Oft ließ es Rattle aber auch knallen und fast hätte er den Mannenchor im zweiten Aufzug zugedeckt. Der zweite Aufzug war auch vom Dirigat sehr spannend – aber der funktioniert bei fast jedem Dirigenten. Der Trauermarsch wurde von ihm ebenfalls sehr laut exekutiert, mit eher langsamem Tempo und breit wuchtendem Blech. Die etwas raue Gangart des Blechs ist vielleicht ein Merkmal dieses „Rings“ gewesen; vielleicht wollte Rattle damit die brutale Geschichte verdeutlichen. Und damit wäre ich wieder bei dem starken „narrativen Element“ von Rattles Dirigat, das sich jedenfalls einer Heldenverklärung und einer übermäßigen „Romantisierung“ verweigerte und auch das eigene Dirigentenego nicht übermäßig ins Rampenlicht zu stellen schien. Für das Ausklingenlassen des Finales ließ sich Rattle viel Zeit – und dann begann (zuerst noch verhalten) der stürmische Applaus. Bis der unermüdlichste Klatscher verklungen war, dauerte es an die 20 Minuten.

PS: Rattle hatte auf dem Pult immer eine (wie zum Beispiel im „Rheingold") oder zwei kleine Mineralwasserflaschen stehen (wie etwa in der „Götterdämmerung"), von denen er immer wieder mal an für ihn passender Stelle einen Schluck nahm.


* Bekanntes Wiener Strandbad