DIE WALKÜRE
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Wiener Staatsoper
27.4.2003

Dirigent: Peter Schneider

Siegmund - Christian Franz
Hundig - Matti Salminen
Wotan - Alan Titus
Sieglinde - Deborah Voigt
Brünnhilde -
Luana DeVol
Fricka - Jane Henschel
Helmwige - Donna Ellen
Gerhilde - Ricarda Merbeth

Ortlinde - Arona Bogdan
Waltraute - Mihaela Ungureanu
Siegrune - Stella Grigorian
Roßweiße - Waltraud Winsauer
Grimgerde - Svetlana Serdar
Schwertleite - Nadia Krasteva


Kein Speck für Hunding?
(Dominik Troger)

Die wahre Kunst ist es ja, im Auf und Ab des Alltags zu bestehen. Das kann nicht immer gut gehen, aber an der Staatsoper geht es doch sehr oft ganz gut. Nach dem „Parsifal“ bot jetzt auch die „Walküre“ Wagner-Repertoire auf hohem Niveau.

Beginnen wir einmal mit den weniger wichtigen Dingen: Matti Salminen mag keinen Speck – zumindest als Hunding. Das habe ich schon letztens einmal angedeutet. Während andere Germanenhäuptlinge pflichtbewusst eine Speckscheibe herunterfitzeln, würdigt Salminen dem von Sieglinde liebevoll aus einem Stofftuch auf den Tisch gestülpten Mahle nur bedingte Aufmerksamkeit. Ihn interessiert nur das Brot, von dem er wohlerzogen ein Stück abbricht und daran kaut, während er Siegmunds Erzählung lauscht. Dieses „vegetarische Verhalten“ ist bei Salminens Hunding aber kein Ausdruck von Kraftlosigkeit. Den Tisch, den Sieglinde vorher unter patriachalischem Joche leidend, eigenhändig aufstellen musste, samt den zwei Sitzbänken, schleudert Salminen – nachdem sich dank Siegmunds eifriger Mithilfe die Situation zugespitzt hat – dermaßen eindrucksvoll zur Seite, dass dem Requisiteur dabei Angst und bange werden muss. Aber diese Möbel scheinen gut gebaut, ungefähr so wie Salminen auch. Dieser Hunding weiß sich in allen Situationen Respekt zu verschaffen. Sein unterschwellig drohend georgeltes „Du labtest ihn?“ tönt mir eben jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, noch immer anregend schaurig im Ohr.

Dabei ist mir noch etwas Anderes aufgefallen, was beweist, wie eng sich Christian Franz (Siegmund) an den Text hält. Es handelt sich ja scheinbar um eine Lappalie, aber es ist doch interessant, mit welchem Tonfall Siegmund Hunding begrüßt, nachdem dieser bei der Tür hereingepoltert ist und sein „Du labtest ihn?“ in den Raum geworfen hat. Sieglinde antwortet: „Den Gaumen letzt' ich ihm, gastlich sorgt' ich sein!“ Und Siegmund fügt hinzu: „Dach und Trank dank ich ihr: willst du dein Weib drum schelten?“ Mir war es immer ein wenig suspekt, wenn Tenöre das zum Anlass genommen haben, um Hunding ein herausforderndes „Willst du dein Weib drum schelten?!!!“ entgegenzuhalten. Franz singt das mit einer leicht ironisierenden Hintergründigkeit, die Hunding den Wind aus den Segeln nimmt. Dieser fährt ja auch gleich fort: „Heilig ist mein Herd: heilig sei dir mein Haus! Rüst uns Männern das Mahl!“ Erst dann fällt ihm die Ähnlichkeit zwischen Siegmund und Sieglinde auf. Ein zu aggressives Auftreten von Siegmund würde wohl nicht diese fast beschwichtigende Reaktion Hundings zur Folge haben, die auch gleich einen Konnex zwischen ihm und dem Fremden herstellt: „Rüst uns Männern (!!!) das Mahl.“ Es scheint sich da ja fast eine frühgermanische Gemütlichkeit breit zu machen. Aber dann kommt schon diese irritierende Beobachtung, die Hunding mit Argwohn erfüllt: „Wie gleicht er dem Weibe usf.“

Natürlich soll man das nicht überbewerten, aber die Art von Franz, Wagner zu singen, ist voller solcher Nuancen. Dadurch wirkt seine Rolleninterpretation sehr schlüssig, glaubwürdig, und sie wird auch nahezu mühelos vorgetragen. Er verfügt, wie er an diesem Abend deutlich zeigte, über genügend heldische Ressourcen, um einen standfesten Siegmund auf die Bühne zu stellen. Die Wälse-Rufe waren imposant!. Denn diesmal forcierte er seinen Siegmund mehr als bei seinem Debut am 9.2., wo er sich ein wenig zu sehr im Ausdeuten des Stabreimgeflechtes verlor. Da macht es dann auch Sinn, wenn er die ersten Zeilen der Winterstürme von Gefühl überwältigt fast ein wenig säuselt. Warum soll ein Held nicht auch Gefühle haben? Ein paar Punkteabzüge gibt es vielleicht wegen der etwas eingeschränkten schauspielerischen Fähigkeiten. Ich weiß schon, dass anläßlich seines Debüts als Siegmund teilweise die Meinung geäußert wurde, er wäre eigentlich auch kein „richtiger“ Wagner-Tenor. Und dann fielen Namen, die ich hier nicht unbedingt nennen möchte, weil deren Träger ihren Zenit eindeutig schon überschritten haben. Franz ist jung genug, um diesen Zenit noch vor sich zu haben. Ich fand ihn diesmal – ganz speziell im ersten Aufzug – einfach vorzüglich.

Ein Punkt ist aber doch noch erklärungsbedürftig, wenn ich das so schreiben darf: Am Schluss, bevor Siegmund das Schwert aus der Esche Stamm zieht, singt er: "Siegmund heiss ich und Siegmund bin ich! Bezeug es dies Schwert, das zaglos ich halte! Wälse verhiess mir, in höchster Not fänd' ich es einst: ich fass es nun! usf." Franz fasst es aber nicht. Er greift erst ganz kurz vor dem Herausziehen nach dem Schwert. Ja, als Zuseher befürchtet man schon, Siegmund habe auf das Schwert vergessen. Natürlich ein widersinniger Gedanke, aber das hat Franz schon bei seinem Debüt so gehalten. Warum?

(Eine mögliche Erklärung lieferte Herr Peter Scholze in einem E-Mail vom 14.5.2003: "ich fass es nun" kann man meiner Meinung in diesem Zusammenhang auch mit erfassen, klar werden deuten, Siegmund versteht in diesem Moment besser die Zusammenhänge seiner Lebensgeschichte" )

Die Sieglinde von Deborah Voigt ist mehr statischer Natur. Ihre Wirkungskraft auf das Publikum schöpft sich stark aus ihrer wohltönenden Stimme, die in mir Assoziationen an eine spätsommerliche Nachmittagsstimmung auslöst, an eine angenehme, milde Helligkeit in der man sich genüsslich austrecken kann, ohne einen Sonnenbrand zu bekommen. Mit solch ansprechender Stimme lässt es sich sehr glaubwürdig von Liebe und Lust singen. Aber Sieglindes Leiden werden bei Voigt immer „schöne Leiden“ sein. Ihre Überzeugungskraft gründet sich auf einer anderen Ebene und entwickelt sich nicht primär aus dem musikadramatischen Fortschreiten der Handlung. Doch wer könnte dieser Stimme, gepackt in eine zarte, weichsamtige Schicht, widerstehen? Bemerkenswert ist, dass diese Schicht auch in der Attacke nicht zerreißt, sondern sich weiter über darunterliegende, festere Konturen spannt, dem Ton seine Schärfe nehmend. Da wartet man mit großer Spannung (und Erwartung?) auf die Tristan-Premiere am 25. Mai.

Alan Titus kam als Wotan kraftvoll über die Runden. In der Wotanserzählung und im „traulichen Zwiegespräch“ mit der bärbeißigen Fricka von Jane Henschel hätte ihm mehr Nuancierungsfreudigkeit und ein schärferes Persönlichkeitsprofil ganz gut getan. Irgendwie ist es nicht so treffend, wenn man von vornherein das Gefühl hat, dass Wotan in diesem Ehestreit keine Chance haben wird. Mir sind die hintergründigeren Charaktere lieber. So bewegte sich Titus ansprechend und wo es geboten ist durchaus effektvoll über die Oberfläche des Wagner'schen Walkürengesteins, ohne tieferliegende Diamanten herauszuschürfen. Sei‘s drum. Zum Diamantenschürfen war diese Aufführung auch nicht gemacht.

Luana DeVol setzte sich diesmal gleich mit gelungenen Walkürenrufen in Szene. Dass sie nicht über die ganze Impact-Fähigkeit höchstdramatischer Soprane verfügt, habe ich ohnehin schon des öfteren angemerkt. Sie brachte sich diesmal auch stärker in das Geschehen ein: und das ergab eine verlässliche Brünnhilde.

Fehlen noch ein paar Anmerkungen zum Orchester: Die Musiker waren – bis auf die philharmonischen Trompeter im zweiten Aufzug – sehr gut disponiert. Der Eindruck war – etwa im Vorspiel zum zweiten Aufzug – etwas grobkörnig; insgesamt ohne ausgetüftelte Klangbalance, dafür aber mit dramatischem Effekt. Peter Schneider dirigiert Wagner gewissermaßen mit etwas „Abstand“, sucht pragmatisch die großen Konturen, die er gut zusammenzubauen weiß. Damit bleibt die Spannung im wesentlichen gewahrt, auch wenn an Klangästhetik manches verloren geht. Man muss eben auch da Realist sein und dem Anlass entsprechend vorgehen.

Das Publikum war zufrieden. Der Stehplatz war nicht ausverkauft, „Einzel-Walküren“ unter das Jahr gestreut sind meistens weniger gut besucht als „Walküren“ im Rahmen eines Ring-Zyklus. Applaus und Bravo für alle Beteiligten waren ziemlich gleichmäßig verstreut.