DIE WALKÜRE
Aktuelle Spielpläne & Tipps
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Wagner-Portal

Wiener Staatsoper
7.4.2002

Dirigentin: Donald Runnicles

Siegmund - Siegfried Jerusalem
Hundig - Kurt Rydl
Wotan - James Morris
Sieglinde - Cheryl Studer
Brünnhilde -
Luana DeVol
Fricka - Marjana Lipovsek
Helmwige - Margaret Medlyn
Gerhilde - Ildiko Raimondi

Ortlinde - Ingrid Kaiserfeld
Waltraute - Nelly Boschkowa
Siegrune - Stella Grigorian
Roßweiße - Mihaela Ungureanu
Grimgerde - Svetlana Serdar
Schwertleite - Helene Ranada


Déjà-vu-Erlebnis?!
(Dominik Troger)

Hin und wieder beschert einem der Opernalltag Déjà-vu-Erlebnisse, die man so eigentlich gar nicht wahrhaben möchte...

Ein zufälliger Blick in alte Notizkalender hatte mir da vor wenigen Tagen folgende Zeitreise "gewährt": "Ein mühsamer Siegfried Jerusalem als Siegmund (von dem alle behaupten, es wäre sein bester Abend seit langem gewesen.)" lese ich und denke mir, dass könnte auch eine Anmerkung zur heutigen Aufführung gewesen sein. (Allerdings mit der Einschränkung, dass man statt "alle" nur mehr "einige" einsetzen dürfte - zumindest den Publikumsreaktionen entsprechend.) Offenbar war ich schon damals - denn diese zitierte Notiz bezog sich auf eine "Walküre" vom 13.12.1988 (!!!) - von Jerusalem's Siegmund-Verkörperung nicht so ganz überzeugt. Damals kämpfte er - wenn ich mich recht erinnere - hauptsächlich mit dem "Wonnemond"- inzwischen kämpft er sich quer durch die Partie. Aber er kämpft. Ein Siegmund als Kraftakt, manchmal schon an der Grenze zur Deklamation, höhenlos und im Stimmumfang arg zusammengeschmolzen, aber immer noch ausdrucksstark, zweifelsohne.

Einige Besucher meinten, das wäre zuwenig und wollten sich partout nicht überzeugen lassen. Sie taten ihren Frust lautstark - und entsprechend übertrieben - kund, was in der Pause nach dem zweiten Aufzug zu emotional-gehässigen Diskussionen führte. Bereits nach dem Ende des ersten Aufzugs tönte ein Buh-Ruf in die kurze "Kluft" zwischen verstummendem Orchester und beginnendem Applaus - der dann natürlich umso positiver ausfiel, vom Mißfallenston provoziert...

Ein wenig überdeckte diese leidige Geschichte die eigentlichen Höhenpunkte des Abends: den markigen, souveränen Wotan von James Morris und Donald Runnicles beredte und gleichzeitig so dramatische Umsetzung der "Walküren"-Partitur.

Morris war in sehr guter stimmlicher Verfassung und setzte Akzente, nicht nur bei der langen Erzählung im zweiten Aufzug. Oft bekommt man hier ja einen eher formlosen Brei vorgesetzt, bei dem der Wotan mehr zum Getriebenen von Wagner's fortschreitendem Musikdrama wird, aller gestaltender Kräfte ledig. Aber Morris gab das Ruder nicht aus der Hand, obgleich er sich später, bei Brünnhildens Abschied, für meinen Geschmack zu sehr zurücknahm, in eine fast schon zu leise geratende Innigkeit, die nach dem Zornespoltern etwas Befremdlich wirkte. Vielleicht war es aber auch ein bewusstes Ressourcensparen, denn der Schluss wurde dann noch mal voll ausgefahren zu einem eindrucksvollen Bannspruch. Ein Wotan, der was darstellt, mit aristokratisch angefärbtem Timbre, kräftiger, forcierfähiger Stimme und emotionaler Überzeugungskraft. Hier war sich auch das Publikum völlig einig und bedachte ihn am Schluss mit sehr starkem Applaus.

Donald Runnicles machte diese Repertoire-Walküre wieder zu einem musikalischen Erlebnis, und das Orchester dankte es auch mit nur ganz wenigen Unsauberkeiten bei den Bläsern und einem satten, vollen Streicherklang. Dabei geht über aller Detailverliebtheit der große Zusammenhang nicht verloren - und neben aller kammermusikalischen Transparenz findet Runnicles immer wieder zur großen Wagner'schen Gestik zurück, besonders eindrucksvoll etwa bei der gewaltigen Woge, die einen dann gleich mitnimmt und mitten ins Herz von Wotans Abschied spült. Dazu kommt, wie schon zum Rheingold angemerkt, das Gespür für die erzählerische Funktion des Orchesters im Ring, dass sich - sozusagen - allwissend Takt für Takt aus Erda's Schoß neu gebiert.

Vielleicht ist es genau das, was Runnicles auszeichnet, dass er immer ein wirkungsbedachter Pragmatiker bleibt, bei aller Liebe zur Transparenz und für einzelne Orchesterstimmen, die er durchaus gezielt in den Vordergrund drängt. Er fördert diese "Zwiesprache", die da nicht nur zwischen Orchester und Bühnengeschehen, sondern auch im Orchester zwischen den einzelnen Instrumentengruppen stattfindet und baut daraus eine solide "Spannungs-Brücke", die ihm auch über die mehr "auffüllenden" Teile der Tetralogie hinweghilft, aus denen Wagner beispielsweise den ersten Aufzug der Götterdämmerung "zusammengeclustert" hat. Das erhält die Spannung, weckt Interesse - und wenn Wagner dann voll in seinen musikalischen "Zauberkasten" greift, ist Runnicles auch zur Stelle und illuminiert das zu einem Feuerwerk in grell-prächtigen Farben.

Mit Spannung wurde das Brünnhilden-Debut von Luana DeVol erwartet. Sie singt die Brünnhilde erst seit rund vier Jahren. Aber während James Morris mit "Präsenz" glänzte, war DeVol im zweiten Aufzug kaum zu spüren. Ihr Auftritt hatte wenig von Wagner's Regieanweisung an sich ("Jauchzend von Fels zu Fels die Höhe rechts hinaufspringend") - nicht nur, weil das in dieser Inszenierung so nicht dargestellt wird - sondern auch, weil einem zuerst gleich mal der Gedanke kam: das ist zwar eine einigermaßen dramatische, aber keine hochdramatische Sängerin. Aber auch die Todesverkündigung blieb irgendwo im Ansatz stecken, weckte weder Mitleiden noch große Sympathie. Der dritte Aufzug geriet präsenter, vermochte jedoch auch nicht in jene Brünnhilden-Sphären vorzudringen, die eine Schnaut oder eine Polaski oder eine Behrens (in früheren Jahren) erreicht haben. Es ist die Frage, ob man hier das Debut gröber in Rechnung stellen muss. Surft man ein wenig durchs Web, dann wird vor allem ihre Götterdämmerungs-Brünnhilde gelobt (was aber in Anbetracht des heutigen Abends ein wenig widersprüchlich scheint). Unüberhörbar war das stellenweise starke Flackern in der Stimme, das irritierte und den Zuhörer einen ruhigen, strukturgebenden Pol vermissen ließ. Diese Unstetigkeit färbte auf die gesamte Darstellung ab, und behinderte die Identifikationsfindung stark. Mal sehen, was da noch kommt.

Cheryl Studer sang eine solide Sieglinde, die - vergleicht man sie mit dem Eksaltismus einer Waltraud Meier - die Biederkeit einer braven Bürgerstochter atmete. Das hat auch seine Reize und ist verlässlich, reißt einen aber nicht zu Beifallsstürmen hin. (Ja, in gewisser Weise lag sie da mit der DeVol auf einer Linie.)

Marjana Lipovsek zog als Fricka wieder alle (manchmal schon ein wenig strengen) Gesangesregister - und währenddessen empfahl sich ihr mit Pelzkragen besetzter Umhang in den Orchstergraben, was einige Heiterkeit auslöste. Fricka musste "unbepelz"t von dannen schreiten.

Kurt Rydls Hunding war eindrucksvoll, aber etwas ungeschliffen. (Hundings Mahl - "Rüst und Männern das Mahl!" - mit dem gestaubten runden Anker-Wecken und der wohlproportionierten Speckseite, die wahrscheinlich bis kurz vor ihrem Auftritt in einer Plastikverpackung geschwitzt hat, bot wie immer herzerfrischenden Realismus...)

Wie schon angedeutet war Morris der Matchwinner an diesem Abend, auch beim Publikum; knapp, aber deutlich dahinter, Runnicles und DeVol; dann - mit ebenfalls merkbarem Abstand - Cheryl Studer. Bereits nach dem zweiten Aufzug wurden Rydl und Lipovsek mit viel Applaus und Bravo "verabschiedet". Und die Siegmund betreffenden Kalamitäten wurden schon ausführlich genug dargestellt...