DIE WALKÜRE
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Wiener Staatsoper
4. Juni 2023

Dirigent: Franz Welser-Möst

Siegmund - Giorgio Berrugi
Hundig - Ain Anger
Wotan - Eric Owens
Sieglinde - Simone Schneider
Brünnhilde - Ricarda Merbeth
Fricka - Tanja Ariane Baumgartner
Helmwige - Regine Hangler
Gerhilde - Jenni Hietala
Ortlinde - Aurora Marthens
Waltraute - Alma Neuhaus
Siegrune - Isabel Signoret
Grimgerde - Monika Bohinec

Schwertleite - Noa Beinart
Roßweiße - Daria Sushkova



„Zu wenig Wonne“

(Dominik Troger)

Die „Winterstürme“ sind zum Glück schon eine Zeitlang vorbei, aber der „Wonnemond“ ist in dieser Staatsopern-„Walküre“ trotzdem nicht aufgegangen. Bis auf Simone Schneider – wieder einmal als imposante Einspringerin – fehlte es der Aufführung zu deutlich an Überzeugungskraft.

Der Siegmund des Abends, Giorgio Berrugi, soll laut der Kurzbiographie auf dem Programmzettel zu den „gefragtesten Tenören der Gegenwart“ zählen. Als Wagnersänger hat er sich jedenfalls noch keinen Namen gemacht und offenbar hat er an diesem Abend sein internationales (!) Rollendebüt als Siegmund gegeben. Laut Operabase hat er bis dato vor allem im italienischen Fach reüssiert, u. a. hat er an der Volksoper den Rodolfo gesungen.

Diese „Walküre“ war für ihn deshalb sicher eine spannende Herausforderung und vielleicht ist Berrugi in einigen Jahren auch ein formidabler Siegmund. Für das Publikum war es aber weniger spannend, weil man die übergroße Vorsicht des Sängers spürte und stark schaumgebremstes vokales und szenisches Agieren seinen Auftritt bestimmte. Zudem führte er einen wenig durchsetzungsstarken, leicht baritonal timbrierten Tenor ins Feld, der sich in der Höhe zunehmend verengte und kaum heldische Strahlkraft entwickelte. Zwar bewältigte der Sänger den Abend mit Anstand, aber er hätte aus meiner Sicht besser mit „Vittoria!“ statt mit „Wälse!“ an der Staatsoper seinen Einstand gefeiert.

Dass ihm mit Simone Schneider ein stimmlich und emotional überzeugende Sieglinde gegenüberstand, hat außerdem nur zu deutlich gemacht, was Siegmund eigentlich hätte liefern müssen, um sich mit seiner Zwillingsschwester auf Augenhöhe zu befinden. Schneider ist wieder einmal als Sieglinde eingesprungen (dieses Mal für Tamara Wilson). Ihre Sieglinde verband starke Emotionalität mit einem gut durchgebildeten, Wagner-geeichten Sopran, dem das hehrste Wunder mit strahlkräftigem Leuchten ebenso leicht von der Kehle ging wie das Jubeln im Wonnemond oder die Verzweiflungsängste im zweiten Aufzug. Ihr Organ ist zudem kräftig genug, um sich auch an einem großen Haus zu behaupten und das Publikum dankte ihr mit starkem Applaus. Schneider ist selbst schon auf dem Weg zur Brünnhilde, hat unlängst in Stuttgart die „Siegfried“-Brünnhilde in ihr Repertoire aufgenommen.

Ihre Sieglinde klang im direkten Vergleich jedenfalls kompakter und besser fundiert, als die Brünnhilde von Ricarda Merbeth. Einerseits ist es großartig, dass sich Merbeth von der Gerhilde über die Sieglinde bis zur Brünnilde hochgearbeitet hat, andererseits ist ihre Stimme nach wie vor keine hochdramatische, und sowohl ihre Wiener Elektra als auch jetzt ihre Brünnhilde erwiesen sich vor allem als klug gestalteter gesanglicher Kompromiss (der außerdem an einem kleineren Haus besser zur Geltung gekommen wäre). Merbeth sorgte für klare Artikulation, gesangliche Ausdauer und eine gute Rollengestaltung, mit leicht pubertärem Aufbegehren und später mit demütiger Vaterliebe, um eine mildere Strafe feilschend – wobei tiefere Töne zu oft im Orchester untergingen.

Wiener Rollendebüt gab es nicht nur für die Brünnhilde, Eric Owens trat zum ersten mal an der Staatsoper als „Walküren“-Wotan an. Owens ließ einen mehr dunkel getönten, etwas unsteten Bassbariton hören, mit einer schon leicht angerauten „Cremigkeit“ veredelt. Doch der Sänger schien den ganzen Abend lang penibel hauszuhalten. Zwar hatte ich nicht den Eindruck, dass er das wirklich nötig hätte, aber womöglich wollte er bei seinem Wiener Rollendebüt nichts riskieren. So wurde der Abend von einem Phlegma bestimmt, das Richtung Langeweile tendierte. Viel schicksalhaftes Aufbegehren hat diesen Gott nicht mehr angefochten, hatte er schon resigniert? Hat Owens Wotan zwischen „Rheingold“ und „Walküre“ zuviel Schopenhauer gelesen?

Ain Anger gab wieder seinen leicht ironisch gefärbten Hunding, mehr mit Hinterlist garniert, als mit brutaler Offenheit ausgestattet. Tanja Maria Baumgartner sang eine volltönend auf ihre Rechte pochende Ehegenossin, mehr von „Erdafülle“ belebt, als von ehezänkerischem Streit. Und die Walküren hielten sich an diesem Abend recht gut.

Franz Welser-Möst scheinen die Emotionen des ersten Aufzugs nicht wirklich zu behagen, auch wenn er diesen mit einer gewaltigen, „elektrahaften“ Schlussteigerung ausklingen ließ. Insgesamt wirkte sein Dirigat auf mich wieder zu kontrolliert, eher flott, pathoslos darauf bedacht, Wagners Romantik in Klang und Weise ja nicht zu „zelebrieren“. Über weite Strecken dominierte das kunstvolle Pflegen von Wagners Motivgeflecht, wodurch der Abend zwar auf ein belastbares muskalisches Grundgerüst gestellt wurde, das aber mehr den Intellekt befriedigte und weniger das Gemüt. Und so hoffte man denn auch vergeblich auf ein schwelgerisches Auf- und Ausklingen des Feuerzaubers. Natürlich wurde schön musiziert, durfte man sich an vielen Details erfreuen, aber es blieb ein mehr schlanker, aus „technokratischem“ Blickwinkel erzählter Mythos.

Der Schlussbeifall wäre schon nach sechs Minuten verebbt, hätten einen paar Zuschauer nicht weiter geklatscht und das Ensemble noch einmal vor den Vorhang geholt – und so wurden es dann knapp acht Minuten Applaus. Nach dem ersten Aufzug gab es einen Buhruf, der weitere Abend blieb unbeeinsprucht. Für die zweite „Walküre“ Mitte Juni gibt es also noch (viel) Luft nach oben.