DIE WALKÜRE
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Wiener Staatsoper
Premiere
2.12.2007

Dirigent: Franz Welser-Möst

Inszenierung: Sven-Eric Bechtolf
Bühne: Rolf Glittenberg
Kostüme: Marianne Glittenberg
Video: fettFilm

Siegmund - Johan Botha
Hundig - Ain Anger
Wotan - Juha Uusitalo / Oskar Hillebrandt (3. Aufzug)
Sieglinde - Nina Stemme
Brünnhilde - Eva Johansson

Fricka - Michaela Schuster
Helmwige - Amanda Mace
Gerhilde - Caroline Wenborne

Ortlinde - Alexandra Reinprecht
Waltraute - Aura Twarowska
Siegrune - Sophie Marilley
Roßweiße - Cornelia Salje
Grimgerde - Daniela Denschlag
Schwertleite - Zoryana Kushpler


Fehlstart
(Dominik Troger)

Warum beginnt man ein neues „Ring“-Projekt mit der „Walküre“? Damit sich die Regie nicht schon am „Rheingold“ die Zähne ausbeißt … Insofern war es ein taktisch kluger Schachzug, dem allerdings das stimmliche k. o. Wotans am Ende des zweiten Aufzugs einen Strich durch die Rechnung machte. Somit fällt eine Beurteilung schwer – und eigentlich müsste es heißen: „Zurück an den Start!“

Unbestritten an diesem Abend: das umjubelte Wälsungen-Paar. Johan Botha mit schier unerschöpflichen stimmlichen Reserven und Nina Stemme, als mitreißende, leidende, liebeshungrige und verweifelt-verlassene Frau, die letztlich aus ihrer Mutterschaft noch einmal neue, wunderbare Hoffnung schöpft. Stemme hat die Sieglinde bereits in Wien gesungen und sie bringt alle Voraussetzungen mit: ein warmes, nicht zu helles Timbre, dass sich seelenvoll verbreitern kann, genug Stimmvolumen, um in der Staatsoper bestehen zu können, viel körperlichen Einsatz und behende Agilität. Zudem hat man bei Stemme immer das Gefühl, dass sie weiß, was sie singt. Dementsprechend tauchte sie die Wagner’schen Stabreime in das wechselnde Gefühlsbad ihrer Emotionen und gewann hier jene zusätzliche und für das dramatische Wirken entscheidende Dimension, die ihr an diesem Abend als „zeitgemäße“ Singschauspielerin unikaten Stellenwert verlieh.

Nun wird man derzeit kaum einen Siegmund finden, der diese Partie dermaßen souverän und im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte umzusetzen vermag wie Johan Botha. Selbst bei den Wälserufen hatte man keine Sekunde das Gefühl einer stimmlichen Anspannung, kraftvoll und doch locker sang er sie, ein unbesiegbarer Gott der Opernbühne, der sich so weit über die Untiefen eines Wagner’schen Heldenlebens hinaushebt, dass man seinen Siegmund schon fast als Festkantante zur höheren Ehre des „Meisters“ durchgehen lassen könnte. Die Bewunderung kennt hier keine Grenzen und niemand wird Botha diese Anerkennung versagen. Aber genauso wie ihm der Stolzing behagt, als Meistersinger-Apoll, mit der Möglichkeit auch ein wenig selbstironisch seine prachtvolle Gesangeskunst zur Geltung zu bringen, so schwierig wird es, wenn das Göttliche in der Gestalt eines eifersuchtsbesessenen Othellos oder eines abgekämpften, verwundeten, nach Wasser schmachtenden Heroen zu erscheinen hat. Man bewundert ihn, aber findet sich ein Schlüssel zum leidgeprüften Seelenleben dieser Helden? Zudem scheint Botha – im zweiten Aufzug mit Textunsicherheiten konfrontiert – sich den Stabreim noch nicht so ganz verinnerlicht zu haben. Durch die bedeutungsgewichtende Betonung der Anlaute entwickelt dieser einen eigenen Rhythmus, der, wenn man ihn beachtet, sozusagen von selbst das Wichtige vom weniger Wichtigen scheidet. Botha sang mir hier zu sehr legato, es fehlten die Konturen – und egal ob Liebe oder Leid – alles löste sich bei ihm in Wohlklang auf. Gewisse schauspielerische Risiken – wenn die Regie Botha gar mittels Sessel (!) auf das seltsame Tischarrangement in Hundings Hütte steigen lässt – seien nur ganz dezent erwähnt.

Gesanglich weniger überzeugend gelang das Brünnhilden-Debüt von Eva Johansson. Das Auftritts-Hojotoho war hart erkämpft, grell und gefährdet in den Spitzentönen. Es wurde rasch deutlich, dass sich Johansson in den lyrischeren Passagen deutlich wohler fühlt und dass sie (gemessen an den räumlichen Dimensionen der Staatsoper) wohl nicht als genuiner dramatischer Sopran gelten kann. In der Mittellage klingt die Stimme angenehm, nicht ohne Wärme. Wer sich eine Brünnhilde „in klassischem Sinn“ erwartet hatte, wurde womöglich enttäuscht (worauf einige Missfallenskundgebungen beim Solovorhang schließen ließen). Als Bühnenerscheinung machte sie – mit langem Blondhaar – beste Figur, brachte auch Brünnhildes Mädchhaftigkeit und ihr Tochtersein gegenüber Wotan innig zum Ausdruck. Von ihren „Schwestern“ erreichten leider nicht alle Premierenreife, das war kein Aushängeschild.

Ain Anger gab einen noblen Hunding, ohne stimmlich gewalttätig mit „schwarzer Farbe“ zuzupacken. Das klang kultiviert, war mir in Summe aber zu blass. Was ist Hunding anderes, als ein Bösewicht? Anger erschien schon zahm und domestiziert. Drückt das ihm zugeordnete Leitmotiv seine brutale, grobe Natur nicht allzudeutlich aus? Michaela Schuster brachte als mit Pfauenfedernkleid (!) „betuchte“ Fricka ihren Wotansgemahl stark ins Schwitzen. Schön, dass es hier einmal nicht nur eine böse Geiferin zu hören gab, sondern eine Frau, die durchaus mit zwiespältigen Gefühlen ihrem Mann gegenübertritt, um dessen „Verfehlungen“ sie weiß, den sie aber auch nicht verlieren und deshalb zurückerobern möchte.

Dieser Gemahl, Göttervater Wotan, gesungen vom Finnen Juha Uusitalo, hatte freilich einen rabenschwarzen Tag erwischt. Schon während der Wotanserzählung wurde die Stimme brüchig, das herbeigewünschte „Ende“ verkam zu einem Säuseln und das wutenbrannte Schlussstatement am Ende des zweiten Aufzugs verschwand in einem akustischen schwarzen Loch, dass sich wie eine Schockwelle auf das Publikum übertrug. Gleich nach Schweigen des Orchesters ging es mit einigen Buhrufen los, die dann rasch von aufbrandenden Solidaritätskundgebungen für Uusitalo unterbrochen wurden. Was jetzt? Einen dritten Aufzug „Walküre“ kann man sich schwer ohne Wotan vorstellen?!

Vor Beginn des dritten Aufzugs trat Direktor Holender persönlich vor den Vorhang. Einige Buhrufe wurden von ihm in gekonnter Weise mit einem süffisanten Statement pariert (sinngemäß: er habe den Wotan nicht gesungen und er werde ihn auch nicht singen). Dann wurde dem Publikum eine humoristisch eingefärbte Geschichte erzählt: Juha Uusitalo sei ein hervorragender Wotan und er habe die Hauptprobe und die Generalprobe ausgesungen, allerdings auf seinen (Holenders) Rat sich zu schonen, nicht gehört. Er habe sich wenige Stunden vor der Vorstellungen plötzlich schlecht gefühlt, sei zum HNO-Arzt geeilt und dieser habe nichts feststellen können. Man habe es geschafft („ohne Handy hätten wir jetzt keinen Wotan“), Herrn Oskar Hillebrandt beim Pizzakaufen am Westbahnhof zu erreichen – und dieser habe sich bereit erklärt, im dritten Aufzug einzuspringen. Er werde aber von der Seite des Orchestergrabens singen, während Uusitalo den Wotan auf der Bühne mimen werde (das sei der Wunsch des Regisseurs). Hillebrandt entledigte sich der Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit und Uusitalo mimte mehr oder weniger erfolgreich seinen Part. So blieben eigentlich nur zwei Fragen offen: Warum wurde Uusitalo nicht angesagt und warum gab es keine Zweitbesetzung als Cover?

Franz Welser-Möst hielt unter diesen schwierigen Umständen das Schiff auf Kurs. Aber schon im zweiten Aufzug machte sich Nervosität breit (Bläserpatzer) und der dritte zeigte ohnehin eine gänzlich neue Situation. Dass er im zweiten Aufzug die Lautstärke stark zurückgefahren hat, konnte Uusitalo auch nicht mehr retten. Der Beginn war verheißungsvoll, ein Vorspiel von starker, drängender Wucht, ein packendes Dahinjagen. Man sah Siegmund förmlich durch Wald und Feld hasten, das Gewand von Schwerthieben und Dornen zerfetzt, mit blutigen Wunden und vielleicht noch einem schön drapierten Cut auf der Stirn. (Ein Eindruck, den die Inszenierung dann freilich Lügen strafte.) Doch bald zeigte sich, dass Welser-Möst die Partitur analytisch durchgerechnet und nach Verhältnismäßigkeiten aufgeteilt zu haben schien – einem mathematischen Verfahren folgend und keinem dramatischen. Die verinnerlichende Tiefenstruktur der Motive erhielt kaum Entfaltungsspielraum, der Orchesterklang blieb zudem meist schlank und etwas unterkühlt, ohne romantischem Schwelgen. Wer konnte sich bei dieser homogenen Ausgeglichenheit noch vor dem hörnerbegleiteten Herannahen der Hunding’schen „Jagdgesellschaft“ fürchten, wer entdeckte im aufblühenden Wallhall-Motiv ein tröstende archetypische Gewissheit? Vieles wirkte sehr flott dirigiert, und im ersten Aufzug beispielsweise zu einheitlich im Wechselspiel von Innehalten und nach Erfüllung gierender Liebesglut, im zweiten – aber hier war ja Wotan schon gezeichnet – plätscherte im Orchester die Wotanserzählung mehr dahin, als dass sie in narrativem Sinn den sachlichen und emotionalen Gehalt der Motive transportiert hätte. Für ein abschließendes Urteil ist es freilich zu früh – außerdem hat in Anbetracht der Hausdebüts und der Entwicklung, die der Abend nahm, dieses sehr strukturiere Vorgehen sicher Schlimmeres verhindert.

Bleibt noch von der Inszenierung zu berichten, deren deutliche Ablehnung von Teilen des Publikums beim Schlussvorhang mich ein wenig überrascht hat. Freilich muss man sich hier auch selbst die Frage stellen: Mit welchen hochgespannten Erwartungen besucht man eine solche Premiere, welche Sensationsgier wünscht man befriedigt? Denn das Ergebnis war in Anbetracht der hochgestochenen Ankündigungen: „Der Ring einer neuen Generation!“ doch etwas dürftig. Während Sven-Eric Bechtolf die Personenführung mit psychologischer Feinzeichnung zum Teil ganz gut gelang (etwa in der Szene Wotan Fricka oder die Trauer Wotans um einen weißen Wolf, der sozusagen als Ankündigung von Siegmunds Tod, auf die Bühne getragen wird) versagte in anderen (die lächerlichen heldenhaschenden Walküren) sein Theaterinstinkt völlig. Man könnte aber auch ganz blasphemisch die Frage stellen, ob Wien nach 15 Jahren wirklich schon einen neuen „Ring“ gebraucht hat. Denn irgendwie lag über dieser „Walküre“ das bedrückende Gefühl einer allgemeinen kreativen Schaffenspause, die für das Neuninszenierungskarussel, dass dieselben Werke beständig in neue Gewänder zu kleiden sucht, längst symptomatisch ist.

Insofern litt die Szene nicht unter übertriebener Ausschöpfung vorhandener Mittel, sondern in der erschöpfenden Nichtnutzung selbiger. Bis auf den Feuerzauber, den ich davon ausdrücklich ausnehmen möchte, weil er es dank geschickter Projektionen endlich einmal so richtig „wabern“ ließ, blieb wenig übrig. Der „Wonnemond“ fand nicht statt, es sei denn, man rechnet einen schwachen Beleuchtungswechsel als Effekt, der Kampf zwischen Siegmund und Hundig wirkte in der Figurenkoordination chaotisch, die beiden mussten auch viel zu lange lautsprecherverstärkt aus der Hinterbühne singen. Dass Siegmund auf einem Tisch steht, wenn er das Schwert aus der Esche Stamm zieht, behindert die Interaktion mit Sieglinde (und das Botha ihr stürmisch in die Arme springt, will man ihm und ihr lieber nicht zumuten). Völlig daneben ging der Walkürenritt: Die Helden, in weiße Kapuzenbademäntel gehüllt, wollen von den Schlachtjungfrauen nicht gefangen werden, tappsen hilflos über die Bühne. Die Walküren haben blutverschmierte Hände und seltsam bemalte Gesichter. Beäugt wird die Szenerie von lebensgroßen Pferdestatuen, die wie in einem Museum herumstehen – sie bleiben bis zum Aktschluss am Ort. Ob Siegfried Brünnhilde in diesem Ambiente wird aufwecken müssen?

Wenn Sieglinde den Männern vor dem Mahle in Hundings Hütte eine Schüssel zum Händewaschen reicht, kommen offenbar großbürgerliche Verhaltensweisen ins Spiel, die mit dem Bühnenraum korrespondieren, der ein klassizistisches Zimmer darstellt. In diesem Punkt hatte die alte Inszenierung unbestrittene Vorteile: der Lenzeinbruch war deutlich mit einem Überraschungseffekt markiert, die weiße, kahle Schneefläche im zweiten Aufzug machte das Leid und die Ausgesetztheit Sieglindes und Siegmunds viel deutlicher. Hier muss Sieglinde in Brünnhildes Kinderzimmer (?) mit einem Stahlrohrbett Vorliebe nehmen. Und warum umringen im ersten Aufzug vier Tische die Esche? Eine ganz absonderliche Möblierung. Soll das seltsame Arrangement nur für Kletterübungen sorgen, damit die SängerInnen in Bewegung bleiben? Kinderspielzeug spielt auch eine Rolle, Erinnerungen an die gemeinsame Wälsungenzeit (erster Aufzug) oder Brünnhildes Kindheit im zweiten.

Insgesamt finden sich noch viele weiße Flecken auf dieser „Ring“-Landkarte und man wird sehen, wie sich die Sache entwickelt. Trotzdem – und das mag jetzt angesichts obiger Aufzählung überraschend wirken – der Gesamteindruck war bei weitem nicht so provokant oder desaströs wie es einige Publikumsreaktionen vermuten lassen. Man wird in Zukunft damit leben können, denke ich. Freilich würde man – in Anbetracht dessen – auch mit der „Karajan“-Inszenierung von 1957 immer noch gut gelebt haben ...