I VESPRI SICILIANI
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Wiener Staatsoper
13.1.2024
Wiederaufnahme

Dirigent: Carlo Rizzi

Guido di Monforte - Igor Golovatenko
Arrigo -
John Osborn
Giovanni da Procida - Erwin Schrott
Elena - Rachel Willis-Sørensen
Sire de Bethune - Simonas Strazdas
Vaudemont - Hans Peter Kammerer
Ninetta - Szilvia Vörös
Danieli - Norbert Ernst
Tebaldo -Ted Black
Roberto - Michael Arivony


„Keine Treppe ins Himmelreich“

(Dominik Troger)

Raritäten stehen in dieser Saison an der Wiener Staatsoper hoch im Kurs: Herbert Wernickes „I vespri Siciliani“-Inszenierung wurde nach zwölf Jahren Absenz wieder in den Spielplan aufgenommen. Damit hat auch Wernickes umstrittene, bühnenbreite Treppenkonstruktion wieder Konjunktur, die für ein semikonzertantes Ambiente sorgt.

„Daß die Pariser Opern-Direction – obendrein zur Verherrlichung der ersten Weltausstellung 1855 – einem Italiener die Composition eines Librettos auftrug, welches die französische Thyrannei in Italien und die Niedermetzelung der Franzosen durch die Italiener schildert, wurde von beiden Nationen als Tactlosigkeit empfunden.“ Soweit Eduard Hanslick in seiner Besprechung der Erstaufführung des Werks an der neuerbauten Wiener Hofoper im Jahre 1878 (Neue Freie Presse, 26.11.1878). Heutzutage sieht man das in Paris und Rom wahrscheinlich entspannter.

Hanslick vermutet außerdem, dass Meyerbeer dem Libretto „packendere dramatische Gewalt“ entlockt hätte als Verdi – aus heutiger Sicht eine vielleicht nicht mehr ganz so leicht nachvollziehbare Anmerkung. Hanslick weiter: „Verdi spricht in der „Sicilianischen Vesper“ ein gebrochenes Meyerbeerisch, das uns weit weniger zusagt, als sein derbes geläufiges Italienisch in „Ernani“ oder „Trovatore“. (...) Verdi’s „Sicilianische Vesper“ ist, um es rund herauszusagen, langweilig.“

Mit diesem Befund kann man übereinstimmen – oder auch nicht, aber zum großen Publikumsliebling ist „I vespri Siciliani“ fast 150 Jahre später immer noch nicht mutiert. Erfolgreiche Aufführungen des Werks sind eng mit großen Sängernamen verknüpft. An der Wiener Staatsoper muss außerdem noch die Inszenierung in Rechnung gestellt werden: Das Bühnenbild ist ein lähmender Faktor, durch eine bühnenbreite und -hohe Treppe gerät die Vorstellung zur semikonzertanten Aufführung in schlichtem Kostüm (schwarz gekleidete Sizilianer, blaue französische Uniformen, Herbert Wernicke hat die Handlung ins 19. Jahrhundert verlegt).

Die aktuelle Staatsoperproduktion ist bekanntlich ein Erbstück aus den ersten zehn Jahren der Ära Ioan Holender. Die Premiere im Februar 1998 mit Renato Bruson, Johan Botha, Feruccio Furlanetto und Carol Vaness ist längst Staatsoperngeschichte. Das Bühnenbild soll, wie Holender in seiner Autobiographie „Ich bin noch nicht fertig“ (Wien 2010, S. 187) angemerkt hat, „einerseits Palermo, den Ort des Geschehens, illustrieren und andererseits die Enge des politischen Geschehens erklären“. Und es ist eine nette Fußnote der Rezeptionsgeschichte, dass der ehemalige und nach wie vor rüstig das Kultur- und Operngeschehen verfolgende Staatsoperndirektor i.R. bei dieser Wiederaufnahme im Haus am Ring gesichtet wurde, mit Logenblick auf die „Wernicke-Treppe“, 26 Jahre nach der Premiere.

Die Wiederaufnahme selbst ließ mich an diesem Samstagabend allerdings zu oft an die von Hanslick polemisch zitierte „Langeweile“ denken, wobei Solisten und Dirigent nicht ganz von der Verantwortung freizusprechen sind. (Erfahrungsgemäß ist davon auszugehen, dass die Reprisen noch in positivem Sinne zulegen werden.) Die Sängerin der Elena zum Beispiel müsste ihre Gustostückerl wie den bekannten Bolero mit mehr „Feuer“ präsentieren. Überhaupt benötigen die Bühnencharaktere der „Sizilanischen Vesper“ Saft und Kraft, müssen sie ein Pathos beschwören, dass die von Verdi etwas „gekünstelt“ ausmusizierte Referenz an die französische Oper mit italienischer Glut erfüllt – noch dazu wenn wie an der Staatsoper die italienische Fassung gespielt wird. Und viel Glut war weder bei Rachel Willis-Sørensens Elena auszumachen noch bei John Osbornes Arrigo, als ihrem unglücklichen Liebhaber. Zwar hatte Willis- Sørensens (bis auf ihre flache Tiefe) die nicht unerheblichen gesanglichen Tücken der Partie gut im Griff, als Bühnencharakter erschien mir diese Elena aber mehr bieder als mitreißend gestaltet.

John Osborne, letzten Herbst als überzeugender Glaubenseiferer in der Donizetti-Rarität „Les Martyrs“ im Museumsquartier (Theater an der Wien) zu Gast, hat mit dem Arrigo seine tenoralen Möglichkeiten etwas überdehnt. Die Stimme klang mir für die Partie zu trocken, im Forte leicht grell färbend, die Spitzentöne zu gepreßt und trotz seiner bei Rossini, Donizetti, Bellini demonstrierten Höhensicherheit etwas gefährdet (Arie im vierten Akt). Osborne scheint sich langsam in ein stimmlich „schwereres“ Fach vortasten zu wollen, mit dem Arrigo dürfte sein Tenor derzeit allerdings noch nicht optimal bedient sein.

Immerhin war Igor Golovatenko als Montfort seinem Sohn Arrigo ein, wenn auch stilistisch etwas gröber gestrickter, stimmkräftiger Vater, der als „Tyrann“ starke Bühnenpräsenz entwickelte. Nicht nur den Szenen mit seinem Sohn gab er autoritäres Gewicht, Golovatenko war der Aufführung der dringend benötigte, belebende Faktor. Erwin Schrott kam im Laufe des Abends immer besser in Fahrt, je mehr er seine radikale patriotische „Gesinnung“ ausleben durfte. Die berühmte Huldigung an Palermo, mit der er sich am Beginn des zweiten Aktes in die Handlung einführt, sang er sehr diszipliniert, mehr nüchtern als mit pathetischem Leuchten in Heimatliebe schwelgend – und es war vielleicht ein Spur zu langsam genommen, wobei wir bei Carlo Rizzi, dem Dirigenten des Abends wären. Rizzi schien mir zeitweise etwas langatmig zu agieren. Nur dort, wo die Musik an sich schon für Belebung sorgt, wie im Finale des dritten Aktes, agierte das Orchester mit viel Verve und hielt die Spannung.

Eine Hauptrolle spielte natürlich der gut einstudierte Chor, der glücklicher Weise ohne Unfall die Treppe bewältigte. Als Zuschauer wird man ohnehin den ganzen Abend die Sorge nicht los, dass vielleicht jemand fataler Weise straucheln könnte. Die Bühnenkonstruktion ist außerdem akustisch unausgewogen, die Stimmen kommen am Fuß der Treppe besser zur Geltung als von weiter oben. Vor allem der Sopran von Rachel Willis-Sørensen wurde dadurch benachteiligt (noch dazu muss sie beim Bolero die Treppe abwärtsschreiten, mit einer Unterbrechung auf einer breiter ausgelegten Stufe in halber Höhe).

Die Aufführung war um 22.35h nach rund dreieinhalb Stunden – zwei Pausen eingerechnet – zu Ende. (Das lange Ballett im dritten Akt ist gestrichen.) Der nachfolgende Schlussapplaus kam auf immerhin acht Minuten, klang dann aber schon recht dünn.

PS: Bis auf Hans-Peter Kammerer gaben alle Solisten ihr Rollendebüt am Haus.