IL TROVATORE
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Verdi-Portal

Volksoper
22. November 2013

(Premiere 16.11.13)

Dirigent: Enrico Dovico

Regie: Dietrich W. Hilsdorf
Bühnenbild: Dieter Richter
Co-Regie: Ralf Budde
Kostüme: Renate Schmitzer
Choreinstudierung: Thomas Böttcher

Koproduktion mit dem Theater Bonn

Graf Luna - Tito You
Ferrando - Petar Naydenov
Leonora - Melba Ramos
Ines - Eva Maria Riedl
Manrico - Stuart Neill
Ruiz - Christian Drescher
Azucena - Alexandra Kloose



Hilsdorf’sche Opern-Übertreibung

(Dominik Troger
)

Die Volksoper hat im Rahmen einer Koproduktion mit dem Theater Bonn Giuseppe Verdis „Il trovatore“ neu in den Spielplan aufgenommen. Premiere war am 16. November; folgende Anmerkungen beziehen sich auf die dritte Vorstellung.

Gleich zu Beginn wird in großen Lettern auf den noch geschlossenen Vorhang projiziert, was Sache ist: „Die Hexe“ schreit es einem entgegen – und so setzt es sich bei jedem Zwischenvorhang fort bis zum achten Bild: „Die Hinrichtung“. Dieses Verfahren erinnert an „Stummfilme“. Und der Bonner Volksopern-„Troubadur“ teilt mit diesem Genre den Hang zur Übertreibung, der sich manchmal bis ins Groteske steigert. Überhaupt scheint es, als habe Regisseur Dietrich W. Hilsdorf „teuflischen“ Spaß daran gehabt, die Romantizismen dieser Oper zu demaskieren und daraus eine Persiflage auf die „Abgründe“ sogenannter „bürgerlicher Verhältnisse“ zu zimmern. Slapstick-Momente und „Running-Gags sorgen für „humorvolle“ Einlagen und verwandeln den Abend vor allem bis zur Pause in eine Opern-Parodie.

Im ersten Bild scheint die „Opernwelt“ noch einigermaßen „in Ordnung“: Im „spindgeschmückten“ Mannschaftsraum von Lunas Soldaten heizt Ferrando die Stimmung auf, bis eine aus Besen gebastelte Hexenfigur von den Mannen massakriert wird. Die Kostüme, die Waffen, die Ausstattung deuten auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als Handlungszeit, der ausufernde Hexenwahn erscheint als mittelalterliches Relikt. Nachdem die Handlung laut Libretto eigentlich im 15. Jahrhundert spielen sollte, überrascht es nicht, dass sich hier Anachronismen auftun. (Hilsdorf dürfte den Hexenwahn als Chiffre für die Verfolgung von Außenseitern durch autoritäre Gesellschaftssysteme verwendet haben – und das ist ein nachvollziehbarer Standpunkt.)

Doch wenn Hilsdorf das zweite Bild in das wohlausgeleuchtete Zimmer Leonoras verlegt, anstatt es – wie vorgesehen – in einem dunklen Garten spielen zu lassen, dann beginnt er die Handlung perfide auszuhebeln. Leonoras Verwechslung der Liebhaber wird trotz der „Zorro“-Masken, die sich Graf und Manrico übergeschnallt haben, zur Farce. Ein Nachttopf (!) unter Leonoras Bett drängt optisch die Handlung weiter in Richtung Parodie. Ein Wandschirm, der zwei lüsterne Männer zeigt, die eine nackte Frau verfolgen, spricht nicht gerade für Leonoras Geschmack, und das Gläschen Wein, das Leonora und Ines während ihrer trauten Zwiesprache „zwitschern“, verniedlicht zusätzlich die gefühlsgespannte Situation. Graf Luna und Manrico „fensterln“ sich im Hintergrund über den Balkon zum Zimmer der Geliebten hinauf und duellieren sich in selbigem mit kurzen Schwertern. Immerhin wird der Nachttopf nicht zerschlagen: Er wird nach der Pause noch erleben, wie Leonora ihr Gift schluckt und wie sie vorgibt, Luna vernaschen zu wollen.

Aber selbst bei der Anklage des „Hexenwahns“, also dort, wo man Hilsdorf „aufklärerische Absicht“ zu Gute halten könnte, bleibt die Szene nicht frei von parodistischen Zügen. Graf Luna scheint eine eigene Abteilung für das Ausforschen und Foltern von Hexen beschäftigt zu haben. Die bemitleidenswerten Frauen werden in enge Metallkäfige gesperrt und mit Zangen gequält, allerhand Folterwerkzeuge stehen den Hexenhämmerern zur Auswahl. Dementsprechend werden auch Azucena und Manrico von der Maske für das Finale „aufbereitet“, Azucena mit Blut starrenden, geblendeten Augen, Manrico mit abgesägten Fingern, damit er seine Laute nicht mehr schlagen kann. Diese Details zu den Verstümmelungen können geneigte Besucher im Programmheft nachlesen, weil die Inhaltsangabe praktischer Weise gleich der Regisseur selbst verfasst hat.

Eigenartig verschachtelt wurde das „Zigeunerlager“ konstruiert, eine Mauer mit Tor recht weit an die Rampe vorgerückt, links eine Art Kotter, in dem Azucena – wie eine Wahnsinnige unter Verschluss gehalten – hinter vergittertem Fenster ihr Trauma besingt. Es gibt keine rustikale Metallbearbeitung zu sehen, sondern der Chor scheint sich vielleicht der Marienverehrung wegen hier zu versammeln: eine Madonnenstatue steht bühnenmittig im Vordergrund, das Publikum sieht nur die Rückseite. Dieses Bühnenbild wird später auch die Burg (!) darstellen, die Manrico zu verteidigen hat.

Für die Klosterszene im vierten Bild hat sich Hilsdorf einen besonderen „Leckerbissen“ ausgedacht: Luna versteckt sich nicht einfach „irgendwo“, sondern nimmt an einem liegenden Kruzifix die Stelle des Gekreuzigten ein, mit einem schwarzen Tuch abgedeckt wartet er auf die Nonnen. Schon das Abmontieren des Korpus hat Lunas Soldaten sichtlich Freude bereitet, genussvoll werden dem Publikum die aus dem Holz gezogenen, langen Nägel präsentiert. Die Christusfigur zeigt sich splitternackt, und schließlich drückt sich der Graf noch in maßlosem Selbstmitleid die Dornenkrone aufs eigene Haupt, nachdem sein Unternehmen von Manrico und dessen Mannen durchkreuzt worden ist.

Den vierten Akt hat Hilsdorf etwas verändert: Der Graf nimmt gleich alle gefangen, Leonora und Manrico werden mit verbundenen Augen in Leonoras Zimmer geführt – und der Nachtopf ... aber das hatten wir schon. Vielleicht ist es noch erwähnenswert, dass Ruiz, Manricos Bote, als Spion in schwarzen Nonnenkleidern durch die Gegend läuft, und über solchen Heißhunger verfügt, dass er nach jeder atemlos überbrachten Nachricht gierig sein Jausensackerl auspackt. Manrico stützt sich in der ersten Szene mit Azucena auf eine Krücke, die er nach erfolgter Spontanheilung achtlos zur Seite wirft, als er erfährt, dass Leonora ins Kloster gehen möchte. Seine geballten Energien muss jetzt die Kottertüre fühlen, die unter seinem Ansturm aus den Angeln springt.

Leidtragende dieses „Arrangements“ sind die Sänger, die sich hier ohnehin bedeutenden musikalischen Anforderungen gegenübersehen. Sogar für große Häuser ist es schwierig, eine möglichst ausgewogene und adäquate Besetzung für „Il trovatore“ zu finden. Vor diesem Hintergrund ist es ist sicher von Vorteil, dass an der Volksoper diese Produktion nicht (!) in deutscher Fassung gespielt wird. Zudem hat es Hilsdorf geschickt verstanden, die Ausführenden in sein parodistisches „Troubadur-Bürgerverschreck-Spielchen“ einzubinden – und zumindest an diesem Abend entstand der Eindruck, als wären die Sängerinnen und Sänger zu wenig in der Lage, durch gesangliche Qualitäten dieser Bürde zu entkommen.

So geriet beispielsweise die Duellszene in Leonoras Zimmer zum Zweikampf zwischen lautstarkem, ungeschliffenem Tenor (Stuart Neill) und nicht minder auf die Tube drückendem, noch viel ungeschliffenerem Bariton (Tito You), wobei der Tenor dank seiner resonanzfreudigen üppigen Körperlichkeit im gesanglichen Kräftemessen einen leichten Sieg errang. Stuart Neills Tenor klang überhaupt, als würde ihn der Sänger auf seinen ausladenden breiten Schultern durch die Gegend tragen. Immerhin konnte manchmal erahnt werden, dass diese Stimme auch etwas Feingefühl besitzt, aber wahrscheinlich hat Hilsdorf so ein Kraftlackeltum viel besser ins „Konzept“ gepasst. Bei Tito You herrschte den Abend über ein „Einheitsforte" vor, phasenweise mit starken Vibrationen angereichert. So wird die Volksoper mit Verdi nicht reüssieren.

Alexandra Kloose gab ihr Azucena-Rollendebüt am Haus Sie trat als Einspringerin für die erkrankte Janina Baechle an. Sie legte ebenfalls viel Energie in ihre Partie, wusste aber als Figur zu überzeugen. Einen auch gesanglich nachvollziehbaren Zugang zu Verdis romantischer Seele hat eigentlich nur Melba Ramos als Leonora gefunden, bei den Spitzentönen allerdings mit schon deutlich limitierter Klangschönheit. Ferrando (Petar Naydenov) wurde als indisponiert angesagt und hielt sich wacker. Sogar der Chor wirkte herausgefordert und war nicht immer „sattelfest“. Insgesamt wurde viel zu „veristisch“ gesungen.

Enrico Dovico sorgte im ersten Teil für einen belebt dirigierten Abend, nach der Pause ging die Spannung zunehmend verloren. Die Lautstärke des Orchesters hatte er gut im Griff. Das Publikum applaudierte am Schluss eifrig, es gab sogar vereinzelte Bravorufe.