IL TROVATORE
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Theater an der Wien
26. Mai 2013
Premiere

Dirigent: Omer Meir Wellber
Regie: Philipp Stölzl
Co-Regie: Mara Kurotschka
Bühnenbild: Conrad Moritz Reinhardt und Philipp Stölzl
Kostüme: Ursula Kudrna
Licht: Olaf Frees

Video fettFilm (Momme Hinrichs, Torge Møller)

Koproduktion von Wiener Festwochen und Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Conte di Luna - Artur Rucinski
Leonora - Carmen Giannattasio
Azucena - Marina Prudenskaya
Manrico - Yonghoon Lee
Ferrando - Gábor Bretz
Inez - Mara Mastalir
Ruiz - Tomáš Juhás
Un vecchio zingaro - Karl Huml
Un messo - Nenad Marinkovic



Gar nicht lustig
(Dominik Troger
)

Die Wiener Festwochen haben ihren insgesamt wenig erquicklichen, 2011 begonnenen „Verdi-Zyklus” mit einer Parodie auf Giuseppes Verdis „Il trovatore” abgeschlossen. Dem Schlussjubel im Theater an der Wien nach zu schließen war es eine ganz „coole” Aufführung.

Die Devise war offenbar, Verdis romantische Schauergeschichte für eine Generation von Comic-Lesern aufzubereiten, die sich aus dem Opernbesuch einen lustigen Event machen wollen. Über die Figuren wurden eine Commedia dell'arte-ähnliche Komik und teils eine „Trippleschritt-Choreographie” gestülpt, die beide sehr gut zu einer Opera buffa von Gioachino Rossini gepasst hätten. Die Szenen wurden für eine Aneinanderreihung von grellen, teils schon skurril anmutenden Bilderfolgen genützt. Die phantasievollen Kostüme und die „Masken“ waren auch danach: absurde Frisuren, Röcke mit Riesenrüschen, wagenradgroße Halskrausen, Azucena mit dick rot umrandeten, verweinten Augen et cetera.

Als Argument für diese „Verfremdungen” wird von Jan Dvorak, dem Dramaturgen der Produktion, im Programmheft angemerkt, dass die Handlung des „Troubadurs“ „keine Kontinuität“ besitze und „nicht die leiseste Spur von Plausibilität“. Überhaupt sei die Verwechslungsgeschichte von einer „kaum zu überbietenden Unsinnigkeit“.

Diese Aussagen sollen nicht unwidersprochen bleiben. Ulrich Schreibers „Opernführer für Fortgeschrittene“ (Band 2. S. 611, 5. Auflage. Kassel 2010) meint etwa süffisant zum „Troubadur“: „Die Gewohnheit, das Libretto zum unfreiwillig lächerlichen hin abzuwerten, entspringt mangelnder Kenntnis.“ Ähnlich urteilt Christian Springer in seinem umfangreichen Buch über „Verdi und die Interpreten seiner Zeit“ (S. 205, Wien 2000):„Keine andere Verdi-Oper (...), hat eine derartig unmittelbare Wirkung auf die Hörerschaft, und dies trotz eines Librettos, das als kompliziert und verwirrend verschrien ist, obwohl es, wenn man die Vorgeschichte zur Kenntnis genommen hat, einfach, logisch und durchschaubar ist (...).“

Wenn man das Libretto mit einigem psychologischen Spürsinn untersucht, wird einem auch die Verwechslungsgeschichte gar nicht mehr so unsinnig vorkommen – sondern sie wird sich als zentraler Bestandteil des Werkes erweisen, der auch das Schicksal und das Leiden von Azucena plausibel erklärt. Was hat aber diese Inszenierung, für die Philipp Stölzl als Regisseur verantwortlich zeichnet, aus dieser tragischen Figur gemacht? Im Aussehen eine fast grotesk anmutende „Struwwelpeter-Columbine“, mit wirrer rotbrauner Haarpracht, die in dieses Commedia dell'arte-Konzept gepresst, ihre traumatischen Erlebnisse und ihre Verzweiflung der Lächerlichkeit preisgeben musste.

Noch eine Anmerkung: Fast alle Szenen von „Il trovatore“ spielen in der Nacht, sei es mit oder ohne Mond. Die geheimnisvoll erhellende, aber auch bedrohliche Macht des Feuers wird dadurch besonders herausgestrichen. Dieser düsteren Stimmung, die natürlich auf einen schaurigromantischen Effekt abzielt, aber genauso die abgrundtiefe Seelenlandschaft verdeutlicht, in der sich die Figuren bewegen, wurde in dieser Produktion nicht Rechnung getragen: Auf die Bühne des Theaters an der Wien hat man einen nach vorne offenen Kubus gestellt, der so ausgerichtet war, dass er mit einer Ecke seiner Grundfläche bühnenmittig ein wenig über den Orchestergraben reichte. Er bestand aus einer weiß(!)gefärbten, holzartigen Täfelung und war meist hell (!) ausgeleuchtet. Requisiten gab es wenige, aber immerhin eine große Kanone für den dritten Akt, mit der auch „slapstickmäßig“ herumgezündelt wurde, um die Festung Castellor zu beschießen.

Die beiden Seitenwände wurden für Projektionen genützt, die geschickt aus dem Hintergrund der Täfelung entwickelt wurden oder mit ihr verschmolzen. Das öffnete sich wie kleine oder größere Fenster in einen scheinbar dahinter liegenden Raum. Was man allerdings zu sehen bekam, wirkte in diesem Zusammenhang oft sinnentstellt, unter anderem Bildzitate von René Magritte und Salvador Dali. Immerhin wurde dem Publikum auch ein kleiner Mond spendiert. Diese Projektionen – bis auf das die Wände herabfließende Blut – waren nicht überdeutlich in Szene gesetzt, man konnte sie auch „übersehen“, wenn man wollte. Für die Figuren öffneten sich da und dort überraschend Türen, Fenster, Versenkungen – und es kann nicht geleugnet werden, dass der rein „technische“ Aspekt des Personen- und Chorarrangements, der Auf- und Abtritte, der Ablauf der Bewegungen, gut gelöst war und vom Ensemble akribisch umgesetzt wurde.

Musikalisch bot der Abend die erwartete, sich an Verdis Rhythmik entlanghantelnde, wenig differenzierende Orchesterleistung – denn es stand wie 2011 beim „Rigoletto“ und 2012 bei der „La Traviata“ wieder Omer Meir Wellber am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters. Allerdings hat an diesem Abend die Inszenierung die musikalische Wiedergabe stark beeinflusst. So musste sich beispielsweise der Chor übertrieben zu Verdis „Umtata“ bewegen, dann wieder innehalten wie bei einem Standbild. Dadurch verschob sich auch gesanglich ein wenig der Akzent und nahm der Musik einiges an Wirkung.

Besonders übel wurde Azucena im zweiten Akt mitgespielt, als sie umringt von einem sich wild gebärdenen Chor plus einem Tanzbären (!) ihre traumatischen Erinnerungen erzählen musste. Das „Stride la vampa“ wurde zu einer Art Showeinlage und Azucena posierte mit zwei Krummsäbeln. (Keine Spur von Ambossschlägen, sondern es wurden Trommel und Töpfe (!) geschlagen.) Im nachfolgenden Duett mit Manrico war sie dazu angehalten, die betuliche Mutter zu spielen oder gestisch übertrieben ihren existentiellen Nöten Ausdruck zu verleihen. Immerhin ging es nach der Pause ein wenig seriöser zu.

Marina Prudenskaya sang die Azucena mit einem – für meinen Geschmack – im Timbre zu hellen Mezzo, den eigentlich ist Azucena eine alte Frau, die ein schweres, aber auch geheimnisvolles Schicksal umgibt. Sie kam erst im Laufe des Abends in Fahrt, ihre Leistung vor der Pause gewann dieser Figur zu wenig Individualität ab, später fand sie trotz der störenden Rahmenbedingungen zu einigen sängerisch starken und auch emotional berührenden Momenten.

Yonghoon Lee brachte viel Pathos in die Rolle mit ein. Was möglicherweise vom Regieteam ironisierend gemeint war, hatte in diesem Ambiente einen positiven Effekt: Wenigstens Manrico musste mit seinen Leidenschaften nicht geizen und konnte seinen lodernden Gefühlen freien Lauf lassen. Lees schon etwas „schwerere“ Tenorstimme sitzt dort „im Sattel“, wo viele andere Nachwuchstenöre noch zu lyrisch klingen. Aber das vielversprechende Potential dieser Stimme wirkte an diesem Abend etwas ungezügelt. Was Lee an stimmlichem Feingefühl abging, machte er vor allem mit Lautstärke wett. Leider gelang ihm die „Stretta“ nicht optimal.

Carmen Giannattasio hat die Leonora 2012 schon an der New Yorker Met gesungen. Die Sängerin ist mit viel Vorschusslorbeeren nach Wien gekommen. Mir persönlich sagte ihr Timbre allerdings nicht wirklich zu, es schien mir eine Spur zu hart und monochrom, gerade für einen Verdi-Sopran. Bedenklicher stimmten mich allerdings die nicht mehr wirklich stimmschönen Spitzentöne und einige (Koloratur-)Passagen hätten delikater ausgestaltet werden können.

Artur Rucinski ließ als Graf Luna ein schönes, durchaus nobles Timbre hören, ob er die Partie von der Persönlichkeit schon so richtig auszufüllen vermag, diese Frage bleibt nach diesem Abend offen. Möglicherweise geht der Luna noch eine Spur über seine Verhältnisse. Gábor Bretz sang eine guten Ferrando, und Ines, Mara Mastalir, wurde von der Regie völlig zum Rossini-Püppchen stilisiert. Das sicherte dieser kleinen Rolle einiges an Aufmerksamkeit.

Das Regieteam musste zwar deutliche Buhrufe hinnehmen, aber das hat die allgemeine Jubelstimmung wenig beeinflusst. Bei einem großen Teil des Premierenpublikums ist die Produktion gut angekommen.