LA TRAVIATA
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Theater an der Wien
27. Mai 2012
Premiere

Dirigent: Omer Meir Wellber
Regie: Deborah Warner
Bühnenbild: Jeremy Herbert
Kostüme: Rudy Sabounghi
Licht: Jean Kalman
Choreographie: Kim Brandstrup

Violetta Valery - Irina Lungu
Alfredo Germont - Saimir Pirgu
Giorgio Germont - Gabriele Viviani
Flora Bervoix -
Karine Ohanyan
Annina -
Dshamilja Kaiser

Gastone - Tomás Juhas
Baron Douphol -
Günter Haumer
Marquis d'Obigny - Krzysztof Borysiewicz
Dottore Grenvil - Günes Gürle
Giuseppe - Nenad Marinkovic
Kommissionär - Marcell Krokovay
Domestico - Stefan Dolinarr



Ein modernes Frauenschicksal
(Dominik Troger
)

Die Wiener Festwochen luden am Pfingstsonntag zu „La Traviata“ ins Theater an der Wien. Die Violetta von Irina Lungu kam gut beim Publikum an – und die Inszenierung von Deborah Warner bewies, dass man das Werk „modern“ und „geschmackvoll“ auf die Bühne stellen kann.

Nach dem ziemlich durchwachsenen „Rigoletto“ im letzten Jahr hätte man nicht mehr viele „Cent“ auf den „Verdi-Zyklus“ gewettet, den sich die Wiener Festwochen angesichts des 200.-Geburtstages des Komponisten im Jahre 2013 vorgenommen haben. Und noch dazu „La Traviata“! Das Werk zählt zu den meistaufgeführten Opern überhaupt und ist an der Staatsoper und an der Volksoper im Repertoire. Doch die Staatsoper hat mit ihrer Neuproduktion des Werkes im Oktober 2011 einen veritablen Flop gebaut – und so rückte diese Festwochenproduktion wieder stärker in das Blickfeld.

Im Zentrum des Abends standen zweifelsohne Irina Lungu als Violetta und Deborah Warner, die um diese jugendlich und unbekümmert wirkende Sängerin ein passendes szenischen Umfeld „geschneidert“ hat. Zwischen lebendiger, manchmal ein wenig frivoler Ausgelassenheit und kühler Todesnähe pendelte dieser Abend, der gleich zum musikalischen Vorspiel das Ende der Geschichte inszenierte: das klinisch saubere Krankenzimmer nach Violettas Tod. Doch aus dem mit grünem Baumwerk abgeschlossenen Hintergrunde trat bald die lebende Violetta auf und rasch verwandelte sich der Ort des Sterbens in einen Ort des Festes. Voller Energie und gut choreographiert stürzte die Festgesellschaft auf die Bühne. Weiße Sofas und ein Klavier in der Mitte boten genug Ambiente. Mitgebrachte Blumen verliehen dem Fest sogar einen romantischen Touch, drapiert auf dem schwarzen Flügel waren sie Mosaiksteinchen eines geschmackvoll visualisierten emotionalen Hintergrundrauschens, das Violettas Leben und Lieben begleitete.

Im zweiten Bild züngelten romantisch Flammen in einem etwas kühl designten Kamin. Im Hintergrund der offenen Bühne fiel Schnee zwischen schwarzen Stämmen. Das Kuschellager aus Decken und modisch-orangen Polstern am Boden: ein gemütliches Ambiente, das Liebesnest im „Landhausstil“. Hier konnte sich Violettas und Alfredos Liebe richtig erwärmen – und man spürte den Gegensatz, als „Papa“ Germont, aus der Winterkühle kommend, sich in den wohlig mit Holzofenfeuer erwärmten Raum begab. Auch hier wurde das Bühnenbild (vom Bühnenbildner Jeremy Herbert einfach, aber überzeugend umgesetzt!) als subtile Gefühlstapete arrangiert, ebenso wie mit den plastikgrünen, glatten Spieltischen bei Floras Fest– und ganz besonders im Schlussbild, als die Klinikatmosphäre und die sachgerechte Betreuung durch eine Krankenschwester und einen Krankenhelfer die sterbende Violetta in die unaufgeregte Kühle einer modernen medizinischen Versorgung betteten.

Ob dieses keimfreie Ambiente und Dottore Grenvil mit Schutzmaske vor den Lippen dem Stück gerecht werden? Warner gelang es dadurch zumindest, die Fremdheit einzufangen, die der Prozess des Sterbens bei den Lebenden auslöst, die unüberbrückbare Distanz, die Violetta in diesen letzten Minuten ihres Lebens bereits von Alfredo und allen anderen trennt. Die Szene war von der Personenführung sehr gut gelöst, sogar die Beruhigungsspritze für Violetta piekste im Gleichklang mit der Musik. Auf diese Weise zeigte Warner dem Stück gegenüber viel psychologisches Feingefühl, im Kern sachlich bleibend und ohne überfrachtend wirkende „existentielle Possen“. Violettas Schicksal wurde in eine moderne, entschlackte Fassung gebracht, von der aller Kitsch mit scharfem Skalpell feinsäuberlich abgetrennt worden war.

Die russische Sopranistin Irina Lungu passte vorzüglich in dieses Setting: Violetta als junges und gutaussehendes Mädchen, ausgestattet mit einer im Kern festen und leicht unterkühlt klingenden, in der Mittellage aber dann im Laufe des Abends recht angenehm „auftauenden“ lyrischen Sopranstimme, die die Partie von „A“ bis „Z“ sicher umsetzte. Diese Violetta zeigte keine primadonnenhaften Züge, sondern eigentlich recht einfache, nachvollziehbare Gefühle, den Notwendigkeiten ihres Bühnenschicksals gemäß. Das wirkte sehr natürlich, und weckte Sympathie, weil man als Zuseher emotional direkt und ungekünstelt angesprochen wurde.

Saimir Pirgu gab einen dazu passenden Alfredo – entflammt in Liebe und ebenso mit natürlicher Jugendlichkeit in Spiel und Gesang. Sein Tenor brauchte ein wenig Zeit, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Die Stimme scheint mir doch noch stark lyrisch bestimmt, und ein wenig Gefahr zu laufen, über ihren kraftvolleren Gebrauch die Nuancierungsfähigkeit zu verlieren. So ganz scheint sie beim „Alfredo“ noch nicht angekommen zu sein.

Gabriele Viviani hat sich vor einigen Jahren schon an der Staatsoper als vielversprechender junger italienischer Bariton präsentiert. Die Stimme ist seither dramatischer“ geworden. Als energisch auftretender Vater Germont hinterließ er eine guten Eindruck, die subtileren Facetten der Rolle kamen wenig heraus, wie etwa die väterliche Würde und ein farbschattierter Hauch von Ich-bezogener Larmoyanz. Von der übrigen Besetzung ist vor allem Karine Ohanyan zu nennen, vor vielen Jahren an der Volksoper engagiert, die sich als Flora profilierte.

Das RSO Wien unter der Stabführung von Omer Meir Wellber, der auswendig dirigierte, klang unsensibel und des öfteren knallig-laut. Bei aller Kritik, die man der neuen Staatsopern-„Traviata“ berechtigterweise vorhalten kann, die Festwochen müssten schon ein bisserl mehr aufbieten, wenn man im „Kernrepertoire“ auch orchesterseitig musikalisch mithalten wollte. Aber vielleicht kann man die Inszenierung an die Staatsoper weiterverkaufen, die hätte diesbezüglich einen dringenden Bedarf?!

Der Schlussapplaus war stark, viele Bravo-Rufe gab es für Lungu. Die Regie wurde freundlich beklatscht. Keine einzige Missfallensäußerung ließ sich hören. Übrigens: Das Publikumsgeschenk eines bekannten Sponsors der Wiener Festwochen ist heuer ein Kugelschreiber. Das ist zumindest praktisch.