LA TRAVIATA
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Wiener Staatsoper
16.5.2012

Dirigent: Bertrand de Billy

Violetta Valery - Ermonela Jaho
Alfredo Germont - Francesco Demuro
Giorgio Germont - Zeljko Lucic
Flora Bervoix -
Juliette Mars
Annina -
Donna Elle
n
Gastone - Carlos Osuna
Baron Douphol -
Clemens Unterreiner
Marquis d'Obigny - Il Hong
Dottore Grenvil - Dan Paul Dumitrescu
Giuseppe - Thomas Köber
Kommissionär - Wataru Sano
Diener bei Flora - Franz Gruber
Faktotum - Christoph Nechvatal


„Schmalspurig“
(Dominik Troger)

Ohne eine „La Traviata“ kommt kein Opernhaus aus. Die Wiener Staatsoper hat letzten Oktober ihr Publikum mit einer Neuproduktion des Werkes „beglückt“. Die Besucher der Premiere zeigten sich darüber wenig begeistert. Die aktuelle Aufführungsserie lockte allerdings mit einer neuen Besetzung.

Die Inszenierung von Jean-Francois Sivadier (Bühne: Alexandre de Dardel) hat zwar nicht an optischer Überzeugungskraft gewonnen, aber sie schien mir nachvollziehbarer als in der Premiere: eine Theatertruppe, die Protagonisten schlüpfen in ihre Rollen (da passt es auch, wenn am Beginn der Tenor noch in seine Rolle „eingewiesen“ wird), die Probensituation verselbständigt sich dann mit Fortschreiten der Handlung und die Grenzen zwischen Schauspieler und den dargestellten Persönlichkeiten verschwimmen. Das wäre eine mögliche Konzeption, die man vom Bühnengeschehen ablesen kann.

Die offene, requisitenarme Bühne, die einen Saal vorzugeben scheint, der von dieser Theatertruppe mit „La Traviata“ bespielt werden soll, bietet der Handlung aber kaum eine Stütze. Die Optik ist ganz auf junge, bewegliche SängerInnen mit hübschem Aussehen abgestimmt, die agil die Weite des Bühnenraumes mit Leben erfüllen. Im ersten Akt, bei der Festgesellschaft, funktioniert das besser als im zweiten Bild, wo die Aktion sich stark ins Seelenleben der Protagonisten verlegt. Hier breitet sich rasch Langatmigkeit aus (an diesem Abend ganz besonders stark). Und Sivadier blieb im „Landhaus“ in der Personenführung ziemlich ratlos (außer ein paar plump umgesetzte Affekthandlungen wie ein zornig Polster auf die Erde schmeißender Alfredo). Zudem wird der Status von Giorgio Germont nicht herausgearbeitet. Ein „Vater“ war im 19. Jahrhundert noch eine Autoritätsperson.

Der äußerst ungünstige Eindruck, den ich in der Premiere von der Schlussszene gewonnen habe, hat sich bestätigt. Diese Szene findet keinen Ruhepunkt. Violetta geistert herum, sucht ihre Klamotten zusammen, legt jenes da und dieses dorthin, spult im sprichwörtlichen Sinn „Kilometer“ ab, ehe sie mit dem letzten Takt – und viel zu spät – endlich zu Boden sinken darf. Nun versteht man schon, dass Violetta sich gegen das Sterben wehrt, aber Sivadier quält nicht nur die Sängerin, sondern auch das Publikum mit einer manischen Unruhe, und „überinszeniert“ dieses langsame, in der Musik von Verdi so minutiös geschilderte Sterben Violettas.

In der Titelpartie stellte sich mit Ermonela Jaho in dieser Serie eine neue Violetta dem Wiener Publikum vor: darstellerisch und dem Aussehen nach nicht ohne Reiz, zuerst lebens- und liebeslüstern, dann verhärmt den Tod vor Augen. Die wegen des mühsamen Regiekonzepts heikle Schlussszene meisterte sie gut. Jahos Sopran besitzt aber ein eigenartig ausgezehrt und angespannt klingendes, hartes Timbre, das Violetta keinen Liebreiz verleiht. Nur an wenigen Stellen meinte ich noch einen lyrischen, sanfteren, eher kleinen Stimmkern herauszuhören, der in der Vergangenheit möglicherweise zu rasch und schonungslos „aufgebohrt“ worden ist. Jahos Bekanntheit rührt vor allem von einem erfolgreichen Einspringen für Anna Netrebko als Violetta in Covent Garden vor einigen Jahren. Ihre stimmlichen Qualitäten scheinen sich seither nicht konserviert zu haben. Die Stimme flackerte stark, klang durchwegs angestrengt, und setzte kaum virtuose Akzente.

Francesco Demuro (Jahrgang 1978) hat voriges Jahr den Herzog im Theater an der Wien gesungen und nicht wirklich überzeugt. Warum sollte er sich jetzt als Alfredo an der Staatsoper leichter tun? Er besitzt eine hübsche, nicht sehr große „Nemorino-Stimme“, das hörte man noch allenthalben – aber diese verlor dort, wo er an diesem Abend forcieren musste (und das war viel zu oft der Fall) rasch ihr „nettes Äußeres“ und unterwarf sich dabei einem Stresstest, der manch gequetschten und gestemmten Ton produzierte. Dabei würde er prinzipiell als junger „Lover“ von Violetta sehr gute Figur machen, der Reiz der erste Liebe, diese Naivität und dieses Entflammen – aber schon für dieses Entflammen und noch mehr für diese Eifersucht fehlte es der Stimme an Volumen und Nachhaltigkeit. Dass die Chemie zwischen Violetta und Alfredo prinzipiell funktionierte, spürte man bei den lyrischen Momenten ihrer Beziehung, in denen Demuro überzeugender wirkend, seinen Tenor gut einbringen konnte.

Zeljko Lucic hatte mit dem Vater Germont keine Mühe und bot den Zuhörern einen „gestandenen Bariton“, gar nicht so „slawisch“ wie man erwartet hätte, mit einer weichen Note, die er aber dann nicht wirklich für eine kantable Ausgestaltung nützte. Lucic wirkte auf mich ein wenig wie der „Mann von Nebenan“, das farblose Inszenierungskonzept vermochte er nicht zu unterlaufen.

Einige Nebenrollen präsentierten sich mit gewohnt starker Bühnenpräsenz: wie Dan Paul Dumitrescu als Dottore, und natürlich Clemens Unterreiner als Baron Douphol. Es war auffallend wie umsichtig Bertrand de Billy an diesem Abend mit dem Orchester agierte. Er nahm Jaho und Demuro sozusagen „an der Hand“, und riskierte damit eine gewisse Langatmigkeit. Dem Publikum hat es offenbar gefallen, wie der Schlussbeifall bezeugte. Am Stehplatz befanden sich viele Touristen, Stammpublikum war kaum vertreten. Besprochen wurde die dritte Vorstellung der laufenden Serie.