LA TRAVIATA
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Wiener Staatsoper
4.5.2009

Dirigent: Marco Armiliato

Violetta Valery- Anna Netrebko
Alfredo Germont -
Joseph Calleja
Giorgio Germont -
Vladimir Stoyanov
Flora Bervoix -
Zoryana Kushpler
Annina -
Donna Elle
n
Gastone - Marian Talaba
Baron Douphol -
Clemens Unterreiner
Marquis d'Obigny - Hans Peter Kammerer
Dottore Grenvil - Alfred Šramek


„Tolstoi’sche Schwermut“

Als „Violetta“ hat Anna Netrebko 2003 an der Wiener Staatsoper debütiert. Seither sind sechs Jahre vergangen. Violetta hat an Lebenserfahrung gewonnen – und die Stimme blüht noch goldgesättigter in der Mittellage mit betörendem Wohlklang.

Zwischen 2003 und heute liegt natürlich noch die große Salzburger Festspiel-Hype um „Traviata“, in der Netrebko lebenslustig die „Violetta“ ins 21. Jahrhundert „sang“. Doch wer sich an der Salzburger Produktion orientiert, wird hier in Wien auf eine andere „Traviata“ stoßen – schließlich bietet die Wiener „Traviata“-Inszenierung den Sängern und einem festlich gestimmten Publikum noch „richtiges“ Opernambiente: ein 19. Jahrhundert mit entsprechenden Kulissen, Kristalllustern und Kostümen. So gab man schon die 274. Aufführung dieser Produktion, für die einst Otto Schenk die Regie, Günther Schneider-Siemssen das Bühnenbild und Hill Reihs-Gromes die Kostüme beigesteuert haben.

Anna Netrebko schien sich dieses Unterschieds bewusst – suchte mehr die romantische Sinnlichkeit im kurzen Liebesglück, war bestrebt ihre Gefühle auszubreiten und auszusingen in einem adagiohaften Ausströmenlassen von Violettas Sehnsüchten und Verzweiflungen. Die Stimme ist zudem, wie auch andernorts schon festgestellt, breiter geworden, ein wenig auf Kosten ihrer Flexibilität. So richtig ins Perlen kam der Koloratur-Champagner des ersten Aktes nicht, der ahnte schon zuviel vom „Sterben“ und war – trotz eines eingelegten hohen und länger gehaltenen Tons – nicht ganz ohne Risiko.

Dass sich dadurch der „cocotte“ Figurencharakter Richtung „Seriosität“ verschob, machte vor allem Violettas Opferbereitschaft im zweiten Akt um einiges glaubwürdiger. Verglichen mit solch ernsthafter, menschlicher Größe wirkte das Begehren von Papa Germont ziemlich blass und entlarvend in seinem egoistischen und von Standesdünkeln geprägtem Begehren. So formte Netrebko die „Traviata“ im Laufe des Abends zum romanhaften Frauenschicksal und vermehrte die Figur um „tolstoi’sche Schwermut“.

Das „Schellack-Timbre“ von Joseph Calleja passte mit nostalgischem Flair bestens in diesen Rahmen. Callejas Stimme unterscheidet sich wohltuend vom Mainstream, fest, hellgetönt, mit nasalem Hauch, erinnert sie an frühere Epochen. Das „De' miei bollenti spiriti“ sang er locker, mit einigem stilistischen Feinschliff, ohne dabei zu übertreiben, und gut gesetzten Höhen. Die „Stretta“ zündete weniger, da fehlte die Impulsivität – und an ihrem Schluss das „hohe C“. Der Ton ist zwar „optional“, aber wichtig für ein applausgewinnendes Finale. So folgte auf den Schlusston eine kurze, seltsame Stille, ehe ein paar Klatscher verloren durch das Haus hallten. Dem Erfolg, den Calleja an diesem Abend erzielte, tat das jedoch keinen Abbruch. Außerdem wusste er darstellerisch einiges beizusteuern. Leidenschaftlich kümmerte er sich um „Anna“ und suchte ihre Nähe, trug er sie im vierten Akt sogar quer über die Bühne zu ihrem Traviata-Bette.

Vladimir Stoyanov geriet in diesem Umfeld als Papa Germont ein wenig ins Hintertreffen – die väterliche Autorität kochte auf kleinerer Flamme. Seine Stimme ist leicht rauhbeinig, und hätte etwas fülliger klingen können. Möglicherweise eignen sich für ihn dramatischere Partien besser? Der dezent um Violettas Schicksal besorgte Doktor von Alfred Sramek erfreute einen ebenso wie der selbstbewusste Baron von Clemens Unterreiner. Das Ensemble, dem hier ja keine so großen Rollen zukommen, war insgesamt mit bewährten Hauskräften besetzt.

Marco Armiliato bewies wieder viel Gespür für die Sänger und Anna Netrebko. Zudem bewahrt er immer eine gestalterische Note, die den Abend ein wenig aus dem üblichen Repertoire heraushebt. Ein gutes Beispiel dafür gab schon das Vorspiel zum ersten Akt, mit schönstimmigen Streichern und einem prinzipiellen Gefühl für Struktur.

Der Schlussapplaus dauerte zehn Minuten. Alle Mitwirkenden wurden mit viel Beifall bedacht, besonders stark Netrebko aber auch Calleja.