„Opernsommer in der Heumarkt-Arena“
(Dominik
Troger)
Der
Wiener Opernsommer bestreitet mit „La Traviata“ seine zweite
Saison. Er hat am Heumarkt eine neue Heimstatt gefunden: Auf dem Areal
des Wiener Eislauf-Vereins. Wo im Winter die Schlittschuhe ausgepackt
werden, wird jetzt in der ersten Julihälfte Oper gespielt.
Das
Kulturangebot im Bereich Klassik/Oper ist in Wien in den beiden Sommermonaten
ausgesprochen dürftig. Im letzten Jahr hat der Intendant des Wiener
Opersommers Joji Hattori in den ersten Juliwochen diese Lücke mit einer
Produktion von Mozarts „Don Giovanni“ am Oberen Belvedere
gefüllt – und heuer hat man das Schicksal von Violetta Valérie
auf den Spielplan gesetzt und ist auf den Heumarkt übersiedelt. Zwölf
Vorstellungen stehen im Zeitraum vom 1. bis zum 19. Juli in zum Teil
rotierender Besetzung auf dem Programm. Das Angebot wird seitens des
Publikums offensichtlich angenommen, die Vorstellung am 16. Juli war
gut besucht. Meine sehr grobe Schätzung geht von rund 2000 Plätzen aus,
davon waren etwa dreiviertel belegt.
Die Bühne
hat man vor der Seite des Konzerthauses errichtet, sie zeigt eine breite
klassizistische Fassade mit Doppeltreppe und schmückenden antikisierenden
Figuren versehen, die zu einem mit medaillonartigem Relief geschmückten
Portal hinaufführt. Links (vom Zuschauerraum gesehen) hat man einen
im Stil angepassten Zubau errichtet, in dem das Orchester untergebracht
ist. Dadurch kann die Vorstellung auch bei moderatem Regen stattfinden.
Projektionen auf die Konzerthausfassade verstärken den räumlichen Gesamteindruck
– was aber erst nach Einbruch der Dunkelheit Effekt macht, und
vor allem bei Floras Ball und im Finale für gute Wirkung
sorgt. Die schönen Kostüme spiegeln die Handlungszeit wieder –
also Oper wie anno dazumal.
Mit der Figur
des Giuseppe Verdi, der als Erzähler durch die Handlung führt und
Violettas Kampf um Würde und ihr Recht auf selbstbestimmte Liebe anspricht,
erspart die Inszenierung von Dominik
am Zehnhoff-Söns dem Publikum nicht nur die Lektüre der Inhaltsangabe
(das Programmheft kostet 5 Euro), sondern er hat eine „interpretative
Ebene“ eingezogen, die aber nicht weiter stört (allerdings hätte
man Verdi den Text noch etwas kürzen sollen). Im Finale wird der Komponist
Violetta bei dem erwähnten Portal erwarten, und beide werden, es gemeinsam
durchschreitend, in die „Ewigkeit“ eingehen. Dass die sterbende
Violetta noch singend die Treppe hinaufsteigt, lässt man sich dabei
gerne gefallen.
Der Regisseur hat im Programmheft für sein Regiekonzept nur 19 Zeilen
benötigt, an solch kompakter Kürze könnten sich so manche Berufskolleginnen
und -kollegen ein Vorbild nehmen. Das szenische Arrangement funktionierte
jedenfalls ohne „Irritationen“. Der Versuch, Violettas Freiheitsdrang
im Finale des ersten Aktes durch zudringliche Männer mit nacktem Oberkörper
zu verdeutlichen, die die Kurtisane dann locker wegschubst, wirkte in
szenischer Hinsicht allerdings etwas „bemüht“. Beleuchtungstechnisch
gut gelöst waren Floras Ball und der mit vielen Kerzen drapierte dritte
Akt, der Violettas Tod romantisch verbrämte.
Von der Musik war noch gar nicht die Rede? Die Sängerinnen und Sänger
werden natürlich verstärkt, das Orchester wird vom erwähnten Pavillon
zugespielt. Die Protagonisten können den Dirigenten auf einer Projektionsfläche
sehen, die gegenüber von der Bühne hinter den Publikumsreihen
angebracht ist. Der Klang war gut austariert, nur wenn sich Sänger am
rechten äußeren Bühnenrand befanden (Blickrichtung Bühne) klangen die
Stimmen wie von einem Echo überlagert seltsam „verwaschen“.
Das störte vor der Pause einige Male, weil dort ein Tisch stand, an
dem regiebedingt Violetta, Alfredo und sein Vater mehrmals zu tun hatten.
Joji Hattori, der auch für die musikalische Leitung sorgte, begrüßte
das Publikum bei Vorstellungsbeginn um 20.00 Uhr und beruhigte trotz
beginnenden Regens – und der Regen hielt sich dann auch in Grenzen,
verebbte nach rund einer halben Stunde, um nach der Pause wieder
dezent einzusetzen. (Ausreichenden Regenschutz kann man vor Ort um einen
Euro erstehen.) Die Pause hatte man auf zehn Minuten verkürzt, um die
Wetterlage nicht auszureizen, und die Vorstellung konnte problemlos
zu Ende gespielt werden. Ein Schwarm Mauersegler hat mit seinem Gezwitscher
sogar kurz die ländliche „Idylle“ des zweiten Aktes
untermalt – ein Hubschrauber, der einmal über die Stadt flog,
war in der Lärmerzeugung weniger idyllisch.
Aufgeboten war eine gut ausgewählte Besetzung: Cristina
Pasaroiu als Violetta kann sogar auf Staatsopernerfahrung verweisen,
hat dort im September 2016 einspringender Weise drei Vorstellungen als
Micaëla gesungen. Ihre Violetta geriet selbstbewusst und kraftvoll,
mit kompaktem, flexiblem Sopran. Sie und der von jugendlicher
Liebe getriebene Alfredo des David
Kerber bildeten ein überzeugendes Bühnenpaar. Kerber führte einen
unbekümmerten und effektbewusst geführten Tenor ins Feld, schloss auch
die Cabaletta mit hohem Schlusston, geizte allerdings mit „deutschem“
Timbre an Italianità. Stepan Drobit
lieh dem Vater Germont einen angenehm timbrierten Kavaliersbariton,
in der Ausstrahlung doch etwas zu wenig „Familienpatriarch“.
Ghazal Kazemi und Juliette
Khalil ergänzten passend als Flora bzw. als Annina nebst weiteren
vorwiegend jungen Kräften. Karl Markovics
verkörperte einen präsenten Guiseppe Verdi, im Kostüm alten Aufnahmen
nachempfunden, mit Zylinderhut und Bart ausstaffiert. Das Tanzensemble
und der Philharmonia Chor sorgten für ausreichend Schwung in den Festszenen.
Das Wiener Kammerorchester Orchester unter Joji
Hattori steuerte sicher durch den Abend, nicht immer mit dem
Verve, den man sich vielleicht gewünscht hätte (vor allem Violettas
Landaufenthalt geriet zum Teil etwas langatmig).
Am Schluss gab es für alle Beteiligten viel Applaus und zufriedene Gesichter
für eine optisch geschmackvolle und vom musikalischen Niveau ansprechende
Produktion. Für nächstes Jahr ist am selben Ort „Carmen“
angekündigt. Carmen eignet sich von der Gesamtanlage des Stücks wahrscheinlich
ohnehin besser für einen Freiluftevent als „La Traviata“.
An dem Termin kann man außerdem ablesen, dass das Areal
noch eine Schonfrist hat, bevor die Baumaschinen auffahren. Hoffentlich
bleiben die UNESCO und Denkmalschutzinitiativen hartnäckig, was den
Welterbestatus von Wiens historischer Altstadt betrifft, und verhindern
ein überdimensioniertes Hochhausprojekt.
PS: Wer Oper und Handys für unverträglich hält, bleibe der Produktion
lieber fern. Die Untertitel wurden seitens des Veranstalters sogar zum
Mitlesen auf dem Smartphone eingerichtet (Deutsch / Englisch /
Italienisch). Man musste sich dazu in das zur Verfügung gestellte Gratis-WLAN
einloggen – und die Besucher haben natürlich eifrig gefilmt und
fotografiert.
An der linken Seite des Platzes sind Imbissstände untergebracht. Ein
„La Traviata Kombi-Angebot“ mit dreierlei Brötchen (Lachs
/ Schinken / Käse) inklusive einem Glas Sekt wird mit 20 Euro ausgepreist.
Zur Qualität kann ich nichts sagen, weil ich es nicht verköstigt habe.
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