LA TRAVIATA
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Staatsoper
6. Oktober 2023

Musikalische Leitung: Pier Giorgio Morandi

Violetta Valery - Lisette Oropesa
Alfredo Germont - Juan Diego Flórez
Giorgio Germont - Ludovic Tézier
Flora Bervoix - Alma Neuhaus
Annina -
Noa Beinart
Gaston - Carlos Osuna
Baron Douphol - Michel Arivony
Marquis d'Obigny - Jack Lee
Dottore Grenvil - Ilja Kazakov
Giuseppe - Dritan Luca
Kommissionär - Alejandro Pizarro-Enriquez
Diener bei Flora - Franz Gruber



Ein Abend für Feinschmecker
(Dominik Troger
)

Die aktuelle „La traviata“-Serie ist ausgezeichnet besetzt: Lisette Oropesa, Juan Diego Flórez und Ludovic Tézier bieten kultivierten Verdi-Genuss für Opern-Feinschmecker und alle die es werden wollen.

Die Betonung liegt in diesem Fall wirklich auf „kultiviert“: der Gesang strömt dahin, die Stimmen schmiegen sich an- und ineinander, das Timbre ist ohne Härte, und wer sein Instrument so gut beherrscht, kann sich Emotionen leisten, ohne die Musikalität der Expressivität aufzuopfern.

Lisette Oropesa spielte und sang eine von der Krankheit bereits mit wehmütiger Verletzlichkeit gezeichnete Violetta, die sich auch in der Ausgelassenheit ihrer Liebesgefühle über den wahren Charakter ihres Schicksals nicht mehr hinwegzutrösten vermag. Diese Schicksalshaftigkeit bereicherte die wohlabgemessenen Koloraturen ihres elastischen, schlanken Soprans im ersten Akt mit nachdenklicher Melancholie und beherrschte insgesamt Oropesas sehr konzentriertes, bis in darstellerische Details verfeinertes Rollenporträt einer an einem Tumor erkrankten socialmedia-affinen Influencerin – so wie sich Regisseur Simon Stone in dieser Inszenierung das Schicksal Violettas ausgedacht hat.

Bemerkenswert war, wie es Oropesa gelang, die Figur über alle drei Akte hinweg als gesangliche und darstellerische Einheit zu präsentieren, die Stimme dabei nicht zu „überspannen“ und auch die virtuosen Passagen des ersten Aktes stets im fokussierten Zugriff ihres Soprans zu halten. Sie versagte sich außerdem jeden „veristische“ Extrovertiertheit und pflegte wie schon bei früheren Staatsopernauftritten eine „undivenhaften“ Werkdienlichkeit, die das menschliche Schicksal der jeweiligen Bühnenfigur in den Mittelpunkt ihres Rollenporträts rückt – mit dem „Addio, del passato“ als die Seelen des Publikums erschütterndem Kulminationspunkt.

Juan Diego Floréz gab einen jugendlichen Alfredo, dessen Stimme derzeit als Nonplusultra belcantesken Operngesanges gelten darf. Allein seine Liebeserklärung im ersten Akt mit feinem tenoralen Pinselstrich zu zarter Emotion gemalt, bewies welch wunderbare Lyrismen er zu gestalten vermag. Floréz lieh Alfredo ungestümen Charme und perfekten Gesang. Passender Weise spielte er ihn als jugendlich-unreifen Liebhaber, der seine Angebetete sogar im Krankenbett „bekniet“. Allerdings führt seine Stimme nach wie vor viel von einem „Tenore di grazia“ ins Feld. Dementsprechend hat er es schwer, sich in den Ensembles Gehör zu verschaffen und insgesamt scheint sein Tenor für einen Alfredo an der Wiener Staatsoper dann doch etwas zu leichtgewichtig.

Ludovic Tézier lieh diesem Simon Stonschen „Buchhaltertypen“, der den Vater Germont darstellen soll, seinen sattgefärbten Bariton, den er mit viriler Geschmeidigkeit durch den Abend führte: ein einziger Genuss dahinströmender Gesangeskunst, das Timbre so reich, die Stimme fähig zu feinen Nuancen. Tézier und Oropesa haben an der Staatsoper schon im Frühjahr 2022 als Rigoletto und Gilda sehr gut harmoniert und das findet in dieser „Traviata“-Serie jetzt seine Fortsetzung. Die Besetzung der Nebenrollen konnte den drei genannten nicht das Wasser reichen, verlässlich wie meist der Chor. Pier Girogio Morandi waltete mit kapellmeisterlicher Rücksicht. Es war nicht der stürmischste Verdi, der an diesem Abend aus dem Orchestergraben tönte, aber es war durchwegs emotional „stimmig“.

Über die Inszenierung wurde bereits ausreichend geschrieben, sie ist mit ihren nervenden Videoprojektionen und dem Drehbühnendrehen eine einzige optische „Ablenkung“. Die Wiener Staatsoper empfiehlt den Besuch ihrer „La traviata"-Produktion laut Homepage erst ab 14 Jahren (!) – wahrscheinlich weil sie im Ballbild des zweiten Aktes sehr stark sexualisiert. Die Lichtreklame und die Kostüme des Chores sind in ihrer erotischen Überzeichnung eher nicht jugendfrei. Aber an diesem Abend gab es einen „Milderungsgrund": Dr. Grenville dürfte sein „Peniskopfschmuck“ abhanden gekommen sein.

Der dankbare Schlussapplaus blieb unter zehn Minuten.

PS: Auf dem Galeriestehplatz wurde ein Trachtenpärchen gesichtet: Dirndl und kurze Lederhose. Ist das etwas Besonderes? Zumindest war es an diesem Orte auffällig.