„Traviata-Dradiwaberl“
(Dominik Troger)
Die
Wiener Staatsoper hat Simon Stones „Traviata“-Ringelspiel wieder
angeworfen. Eine teils neue Besetzung ist angetreten, um sich dem
Clubbing des Pariser Nachtlebens zu stellen. Der Gesamteindruck blieb
unter den Erwartungen.
Die erste Vorstellung der aktuellen Aufführungsserie hat ein Polizeieinsatz
wegen eines renitenten Besuchers in die Medien gebracht, dazu gab es
an diesem Samstagabend glücklicherweise keinen Anlass. Aber was nimmt
man sonst noch von dieser Vorstellung mit nach Hause? Simon Stones Inszenierung
erwies sich bei der Zweitbegegnung als optisch aufdringliche Hülle,
die mit übergroßen Projektionen ihre schlechte Personenregie übertüncht.
Und die Drehbühnenbilder eilen so rasch dahin wie oberflächliches „Durchblättern“
von Instagram-Bildchen: Sektpyramide, Mülltonnen, Neonreklame, roter
Traktor, obszöne Kostüme, Infusionen, Spitalsbett – und
nicht einmal beim Sterben hat Violetta ihre Ruhe, sondern muss noch
die Drehbühne entlang in den „Himmel“ marschieren.
Dem Staatsoperndebüt von Kristina Mkhitaryan
ist als Violetta ein guter Ruf vorausgeeilt, den sie nur im dritten Akt
mit hauchzarten Piani einlösen konnte – fein und betörend auf Samt
gebettet. Aber über weite Strecken klang mir ihr Sopran zu wenig
füllig, bei forcierten Spitzentönen unschön gepresst und zu vage in den
Koloraturen des ersten Aktes. Auch darstellerisch konnte sie diese
„Influencerin“ nicht wirklich über die Rampe bringen. Mehr jugendliche
Unbekümmertheit hätte geholfen, gepaart mit einem guten Instinkt für
Selbstdarstellung. Bedroht von der Krankheit ergäbe sich daraus das
Spannungsfeld, in dem sich Violetta in dieser, dem „Zeitgeist“
verpflichteten Inszenierung bewegt. Pretty Yende hat das in der
Premierenserie sehr gut dargestellt, unter der schillernden Oberfläche
des Socialmedia-Stars ihr Herzblut verströmt.
Dmytro Popov hat den
Alfredo bereits vor acht Jahren in Wien gesungen. Sein Tenor ist
inzwischen über die Partie hinausgewachsen. Er füllte die Lyrismen mit
Kraft auf, so als würde er schon für den Otello trainieren. Alfredos
Auftreten als jugendlicher Liebhaber hat er dadurch mehr geschadet als
genützt. Die Inszenierung hat ihn auch nicht begünstigt: Während der
Arie im zweiten Akt muss er in einem Bottich Wein treten: Schuhe
ausziehen, in den Bottich steigen, ein paar Mal herumtreten, aus dem
Bottich steigen, Schuhe wieder anziehen – eine groteske, im
Zusammenhang mit der Handlung sinnlose Bewegungstherapie.
Sein Vater stand die meiste Zeit überhaupt nur herum und beseelte den Giorgio Germont mit dem Pathos eines Nabucco. Amartuvshin Enkhbat ist
eine ganz große Hoffnung im (Verdi-)Bariton Fach, aber er verließ sich
an diesem Abend vor allem auf seine Stimmkraft, mit der er der Figur
nur wenige charakterliche Schattierungen abgewann. Die Inszenierung war
ihm dabei keine Stütze und das unscheinbare Kostüm mit Umhängetasche,
das den alten Germont zu einem „Allerweltsbüroangestellten“ macht, hat
seine familiäre Autorität nicht gerade bekräftigt.
Weitere Mitwirkende waren u.a.: Szilvia Vörös als Flora, Monika Bohinec als Annina, Carlos Osuna (Gaston), Attila Mokus (Baron Douphol) Jack Lee (Marquis von Obigny), llja Kazakov (Doktor Grenville), sowie der im zweiten Akt buntaufmüpfig kostümierte Staatsopernchor. Am Pult scheint mir Thomas Guggeis
bis dato mehr im deutschen Fach zu reüssieren. Zumindest diese „La
traviata“ blieb Stückwerk, so als müsste sich der Dirigent emotional
erst einmal mit Verdi auf einen gemeinsamen Nenner einigen.
Stammpublikum sah man an diesem Abend wenig, viele Touristen waren im
Haus. Gab es beim Schlussapplaus den Versuch von der Galerie, den
Dirigenten noch mit einem Buhruf zu verabschieden? Akustisch war das
von meinem Platz schwer herauszuhören. Gegen den Einheitsjubel hatte
dieser aber ohnehin keine Chance. Nach nicht einmal fünf Minuten war
der Beifall vorbei.
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