LA TRAVIATA
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Wiener Staatsoper
5.4.2003

Dirigent: Marco Armiliato

Violetta Valery- Anna Netrebko
Alfredo Germont - Tito Beltrán
Giorgio Germont - Dalibor Jenis
Flora Bervoix - Corbelia Salje
Annina - Waltraud Winsauer

Gastone - Arnold Bezuyen
Baron Douphol - Peter Köves
Marquis d'Obigny - Markus Nieminnen

Dottore Grenvil - Dan Paul Dumitrescu


Eine Liebeserklärung
(Dominik Troger)

Sie kam mit viel Vorschusslorbeeren ausgestattet nach Wien: Anna Netrebko – und spätestens nach dem zweiten Akt macht man ihrer Violetta eine vorbehaltlose Liebeserklärung.

Kann es eine „ideale“ Violetta geben? Sängerinnen, die den ersten Akt mit koloratur-bravouröser Attacke bestehen, haben oft Schwierigkeiten, die sich ständig zuspitzende Emotionalität der dahinjagenden Schwindsucht zu vermitteln, die Violetta in den Tod treibt. Sängerinnen, die im vierten Akt mit tuberkulösen Lungen ihre Lebens-Töne lyrisch verhauchen, machen oft im ersten Akt keine allzugute Figur und haben zwar viel „Leiden“, aber zu wenig Energie für wahre „Leiden-Schaft“.

Netrebko liegt da irgendwo in der Mitte. Sie ist zwar keine von den brillanten Koloratur-Fädlerinnen, die sich Noten wie Perlenketten aus der Kehle ziehen, aber sie hat auch diese technisch anspruchsvollen Passagen jederzeit im Griff, begleitet von einer kräftig gesungenen und getroffenen Höhe. Nun, das alleine wäre zwar schon vielversprechend, aber noch nicht so besonders aufregend. Netrebko gelingt es jedoch, von diesen technischen Klippen aus, zu emotionalen Höhenflügen aufzubrechen, in denen die Koloraturen fast zu einem Wortgestammel werden, zu einer dahintaumelnden „Liebes-Leidenschaft“ verschmelzen, die den großen Raum der Staatsoper mit ihren Herzensregungen elektrisierend durchströmt. Es ist eine Art von „Mesmerimus“, der hier einsetzt, ein Magnetismus, der einen fest und unwiederbringlich an diese zarte, mädchenhafte Sängerin bindet. Ja, dieses mädchenhafte Aufgehen im Spiel, verbunden mit ihrem sehr ansprechenden Äußeren schafft nahezu ein Violetta-Gesamtkunstwerk, wie man es sich nicht besser vorstellen kann.

So richtig zum Tragen kommt das alles dann im zweiten Akt, wenn Violetta ihren „Abschieds"-Tod stirbt, am Schluss des Duetts mit diesem fiesen Papa-Germont. Das war wirklich ein vorweggenommener, schon mehr als geahnter Tod, der einen betroffen zurücklässt. Dabei hat sie ihrer von wehmütiger Erotik durchzogenen, wohlausgebildeten Stimme eine Palette an Farbschattierungen entlockt, modelliert zu einer schon fast körperlich spürbaren Gestenhaftigkeit des musikalischen Ausdrucks, die sich verbunden mit ihrer naiv-natürlichen Schauspielkunst zu einem mitreißenden Seelendrama auswächst. Dazu kommt diese Stimme, die schon eine gewisse Gesetztheit hat und ein ganz bisschen ölig wirkt, wenn ich das von meiner bescheidenen Weinkenntnis ausgehend so assoziieren darf – wie eine Farbe, die ein sattes, aber nicht zu dunkles und auch wieder nicht zu sattes Rot in sich birgt. Ich weiß nicht, ob man das mit „russischer Schwermütigkeit“ übersetzten kann, weil es ihre Stimme wahrscheinlich als zu schwermütig charakterisieren würde – und weil mir diese volksmäßige Zuschreibung auch ein wenig banal erscheint.

Im vierten Akt verschiebt sich dann die Perspektive ein wenig. Obwohl sie mit realistischen Hustenanfällen ihr Ende ankündigt, macht Netrebko hier der so angenehm halbdunkel-eingesättigte Klang ihrer Stimme einen Strich durch die Rechnung. Und was ihr in den ersten beiden Akten nur zum Vorteil gereicht, wehrt sich jetzt gegen die Auflösung in todesnaher Transzendenz. Oder, anders ausgedrückt, da war mir einfach noch zuviel „Leben“ in diesem „Sterben“. Aber das ändert nichts Wesentliches an dem aufregenden Gesamteindruck. Denn dieser Gesamteindruck ist wirklich das Besondere an dieser Sängerin: Stimme, Spiel, ihre rührende, bezaubernde Jugendhaftigkeit vermischen sich zu einem einheitlichen Gemälde, dessen Farben durch Gesang, Mimik, Gestik perfekt abschattiert werden. Daran ist aber nichts, was künstlich oder erlernt wirkt. Ihre Violetta lebt einen naiven, von Krankheit mehr und mehr gezeichneten und durchdrungenen Liebestraum, fern jeglicher Manierismen oder outrierter Effekthascherei.

Michael Schade, ursprünglich als Alfredo angesetzt, musste kurzfristig absagen wie die Rosa-Zettel auf den Ankündigungsplakaten den in die Oper eilenden Besuchern schon am Eingang verkündeten. Tito Beltrán warf sich in die Bresche, erlitt mit der Stretta fast Schiffbruch, und bewegte sich meist an der Grenze noch einigermaßen ansprechender Mittelmäßigkeit. Die Mittellage ist ein wenig eng geführt und die Stimme wirkt über die Register nicht wirklich austariert. Das alles vorbehaltlich der stressigen Bedingungen, die Einspringer meistern müssen.

Den „bösen“ Vater sang Dalibor Jenis. Er sang ihn ein wenig lautstark und ein bisschen ungehobelt. Zu sonderlichem psychologischem Raffinement war dieser Giorgio Germont nicht fähig. Aber abgesehen von diesen nicht ganz unwichtigen Nuancen bot er eine gute Leistung.

Das Orchester unter Marco Armiliato agierte wenig auffällig, stellenweise etwas träge, aber handwerklich solide.

Viel Applaus für Netrebko von prallgefüllten Rängen, aber noch steigerungsfähig. Das war ja hoffentlich erst der Beginn ihrer Wiener Karriere – und wenn sie so weitermacht, wird ihr bald das Publikum tosend zu Füßen liegen. Dalibor Jenis wurde ebenfalls sehr freundlich mit Applaus bedacht, bei Beltrán war es dann hörbar weniger. Gegen Ende der Vorhang-Serie machten sich sogar Ansätze von rhythmischem Klatschen bemerkbar. Und Netrebko kam dann auch noch einmal zum Einzelvorhang, die großen Strahlscheinwerfer flammten wieder auf, und sie konnte den verbliebenen starken Rest-Applaus genießen.