LA TRAVIATA
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Premiere - Livestream
Staatsoper
7. März 2021

Musikalische Leitung: Giacomo Sagripanti

Inszenierung: Simon Stone
Bühne: Bob Cousins
Kostüme: Alice Babidge
Licht: James Farncombe
Video: Zakk Hein



Violetta Valery - Pretty Yende
Alfredo Germont - Juan Diego Flórez
Giorgio Germont - Igor Golovatenko
Flora Bervoix - Margaret Plummer
Annina -
Donna Ellen
Gastone - Robert Bartneck
Baron Douphol -
Attila Mokus
Marquis d'Obigny - Erik Van Heynigen
Dottore Grenvil - Ilja Kazakov



Violetta digital vernetzt
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat ihr Premierenprogramm für die Saison 2020/21 mit einem Livestream und zeitversetzter Fernsehübertragung von Giuseppe Verdis „La traviata“ fortgesetzt. In der Inszenierung von Simon Stone wurde Violetta zur „Influencerin“.

Werbebasierte Geschäftsmodelle in sozialen Netzwerken haben seit den 2000er-Jahren die „Influencer“ zu einer neuen, allerdings etwas scheel beäugten Meinungsmacht heranwachsen lassen. Violetta ist eine von diesen, die sich auf Facebook, Twitter, Instagram oder sonst wo „produziert“, deren Follower auf das neueste Foto von ausgeflippten Partynächten warten oder vielleicht auf Make-up-Tipps für den Tag nach einer durchwachten Nacht. Das soziale Biotop dieser digitalen Meinungsmache ist stark virtuell geprägt. Violetta wird ihre Unmenge an „Freundinnen und Freunden“ kaum je zu Gesicht bekommen haben. Es handelt sich um eine „digitale Wolke“, die sich mit viel körperlichem Einsatz rund um die Uhr inszeniert. Die „Beinflussenden“ tragen im wahrsten Sinne des Wortes ihre Haut zu Markte, riskieren für möglichst viele Zugriffe auf kurze Videos manchmal sogar ihr Leben.

Die Inszenierung von Simon Stone, erstmals vor zwei Jahren in Paris gezeigt,  fängt das gut ein. Violetta ist zwar keine Kurtisane, aber ihre soziale Stellung ist ähnlich vage, der Einsatz, mit dem sie spielt, ist hoch, und der Ruhm, den die sozialen Netzwerke gewähren, ein flüchtiger. Die mit vielen großflächigen Videoeinspielungen hinterlegte Szene – von Kussfotos bis zu Chatverläufen – vermitteln gut die Doppelbödigkeit dieser Existenz: als Mensch sowie als medial gegenwärtige „Trendsetterin“ für viele jugendliche „Follower“, deren Treue sie sich nie sicher sein kann.

Die digitale „Blase“, in der sich das alles abspielt, ist stark auf optische Reize ausgerichtet. Erotik spielt eine Rolle, Übertreibung, das Ausloten von Grenzen. Das Kostüm, das Violetta im ersten Akt trägt, ist ein gutes Beispiel für eine ins sexuell-anrüchige verzerrte Geschmacklosigkeit, mit der bei den Followern gepunktet werden kann. Pretty Yende bewegte sich als Violetta mit einiger Authentizität durch diese Welt falscher Versprechungen und Erwartungen. Die Liebe zu Alfredo wird dabei immer mehr zum „haptischen“ Strohhalm, an den sie sich klammert. Letztlich stirbt sie auch als Opfer des von ihr gewählten Lebensweges. Violetta landet in einer Klinik, das Krankenbett wirkt steril, Visionen begleiten sie. Im Finale öffnet sich das Bühnenbild zu einem schmalen, hell erleuchteten Streifen. Violetta geht in dieses Licht hinein wie eine Seele in den Himmel. Die kühle Poesie des Finales passt zu diesem medial-inszenierten Violetta-Leben – an Tuberkulose ist sie offenbar nicht gestorben.

Die Sache mit dem Ansehen der Familie Germont und einem angeblich saudischen Prinzen, der die Heirat mit Alfredos Schwester aufgekündigt hat, weil ihr Bruder mit einer moralisch nicht integren Violetta Umgang pflegt, wirkte allerdings wenig überzeugend. Dieser Punkt war schlecht herausgearbeitet, die Rolle von Alfredos Vaters zu wenig motiviert. Und vor allem: Warum lässt sich eine Violetta des 21. Jahrhunderts darauf ein? Müssten hier nicht auch religiöse und/oder soziokulturelle Gründe stärker aktiviert werden?

Die starke optische Prägnanz der Inszenierung ist bei Streams von erheblichem Nachteil, die an sich schon die Optik (zu) stark in den Vordergrund rücken. Außerdem war nicht alles, was da im Hintergrund an Videos ablief, in seiner Gesamtheit zu erfassen. Die Inszenierung verwendet eine Drehbühne, der Fuhrpark der Staatsoper wurde nach der Mercedes-Orgie in der „Carmen“ um einen roten Steyr-Traktor erweitert. Aber bis auf den einen oder anderen Blickfang – wie auch „schräge“ Kostüme – blieb das Arrangement konventionell. Die stark auf die Sänger abgestimmten Videoeinspielungen werden kurzfristiges Einspringen nicht einfacher machen.

Tenor und Sopran waren ein gut zu einander passendes Paar, aber für meinen Geschmack stimmlich um eine Spur zu leicht besetzt. Pretty Yende ist keine Violetta des ersten Aktes, die Koloraturen sind zu wenig stupend, mit Unsicherheiten in der Intonation und forcierten Spitzentönen. Die im Timbre leicht dunkel unterlegte, charmante Koketterie ihres Soprans hat sich etwa bei der Adina (Wiener Staatsoper, letzten Herbst) wohler gefühlt. Juan Diego Flórez agierte pandemiebedingt als Einspringer. Die belcanteske Burschikosität seines wie immer sehr gut geführten Tenors ist nach wie vor von starker Präsenz und unterminiert sein Voranschreiten im Fachwechsel. Flórez sang die Cabaletta mit eingelegtem hohem Schlusston.

So deutlich und so sympathisch die Beziehung zwischen Violetta und Alfredo arrangiert  war, so wenig vermochte sich der Vater ins Spiel einzubringen: Mit Igor Golovatenko war die Partie auch zu jung und gesanglich zu „beiläufig“ besetzt. Zudem klang sein Bariton an diesem Abend etwas hart und ungeschmeidig. (Als Posa im französischen „Don Carlos“ im letzten Herbst hat Golovatenko einen stärkeren Eindruck hinterlassen; auch er sang die Cabalatta .) Das Orchester unter Giacomo Sagripanti vollbrachte keine Wunderdinge, dem Werk dienlich waren die Nebenrollen und der Chor.

Fazit: Die Vorgängerinszenierung los zu sein, ist kein Fehler. Für eine endgültige Beurteilung fehlt aber der räumliche Eindruck vor Ort.