LA TRAVIATA
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Theater an der Wien
1. Juli 2014

Premiere

Dirigent: Sian Edwards

Inszenierung: Peter Konwitschny
Ausstattung: Johannes Leiacker
Licht: Joachim Klein

ORF Radio-Symphonieorchester Wien

Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Violetta Valéry - Marlis Petersen
Alfredo Germont - Arturo Chacón-Cruz
Giorgio Germont - Roberto Frontali
Flora - Iwona Sakowicz
Annina - Gaia Petrone
Gastone - Andrew Owens
Barone Douphol - Ben Connor
Dottore Grenvil - Igor Bakan
Marchese d´Obigny - Giulio Mastrototaro
Giuseppe - Dejan Toshev
Commissionario - Daniel Simandl



Entwurzelte Kurtisane
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien beschließt die Saison mit „La Traviata“ – nicht irgendeiner „La Traviata“, sondern Intendant Roland Geyer hat die Konwitschny-Produktion aus Graz, die 2011 Premiere hatte, nach Wien geholt. Weitere Aufführungen folgen am 3., 6., 9. und 11. Juli.

Die Produktion wurde von Peter Konwitschny für das Theater an der Wien neu einstudiert. Es handelt sich bei dieser „La Traviata“ um eine gekürzte, ohne Pause gespielte Fassung, rund 110 Minuten lang. Gekürzt wurde beispielsweise die Szene zwischen Vater und Sohn Germont im zweiten Bild, gestrichen die Balletteinlage des Maskenballs und der von der Straße in Violettas Zimmer dringende Maskenchor im Schlussbild. Konwitschny wollte dadurch den Blick auf Violetta noch stärker fokussieren, schließlich wurde auch die Bühne bis auf „gewöhnliche“ Theatervorhänge, einen Sessel und ein paar Büchern von Requisiten „befreit“.

Konwitschny setzte dabei auf sein – aus seiner Sicht – bewährtes Rezept, das Individuum als Opfer der Gesellschaft auszugeben, und vor allem den Chor in eleganter Abendkleidung und mit „hämischer Gaudi“* auf das jeweilige Opfer (in diesem Fall Violetta) los zu lassen. Dass der Regisseur von Produktion zu Produktion immer wieder zu denselben Bildern greift, dass er schlussendlich dem Arzt sogar ein Karnevalshütchen verpasste und sich dabei gleichsam selbst zitierte (der Konfetti-Triumphmarsch aus seiner „Aida“ ließ grüßen) reduzierte das, was er eigentlich mitteilen wollte, stark auf Stereotypen, die schwerlich noch ernst genommen werden konnten.

Das selbstmörderische Herumgespiele Violettas mit einer Pistole, nachdem ihr Vater Germont den Verzicht auf Alfredo abgerungen hat, arbeitete genauso unpassend und mit dem „Holzhammer" Verdis subtiler Gefühlsdramaturgie entgegen wie zum Beispiel die Idee, dass Papa Germont die Schwester Alfredos gleich zu Violetta mitnimmt – in diesem Fall ein junges Schulmädchen, das auch prompt eine väterliche Watschen einfing. Der Stunt Violettas, als sie beim „Sempre libera“ auf den einsamen Sessel klettert und dann herunterfällt, war eine weitere jener entbehrlichen Einlagen, die letztlich dazu geführt haben, dass die ganze Aufführung in veristischer, zugespitzter, manchmal geradezu hysterischer Erregung abgespult wurde, die auch die Entwicklung der Charaktere einem Schnellsiedeverfahren unterwarf.

Für die Sensibilität Violettas blieb wenig Raum: sie musste hier vor allem Opfer sein, instrumentalisiert und entwürdigt, dazu verdammt, einen indoktrinierten Lebenskampf auf der Bühne auszufechten, der sie im Finale einsam und alleine zurücklässt. Denn die anderen Protagonisten (Alfredo, sein Vater, der Arzt ...) haben sich am Schluss in den Zuschauerraum „geflüchtet“, um Violettas Abgang in den Bühnenhintergrund aus sicherer Entfernung beizuwohnen. Diese Verweigerung von Trost, die Konwitschny der sterbenden Violetta angedeihen lässt, sagt zwar viel über unsere Gesellschaft aus, über ihre Unfähigkeit, sehr persönliche Gefühle zuzulassen – aber sie steht im Widerspruch zu Verdi, der Violetta nicht alleine sterben lässt, und der ihr keinen besoffenen „Hausarzt" zumutet (wie in diesem Fall der Regisseur).

Musikalisch bot der Abend jenes Mittelmaß, das im Theater an der Wien oft zu hören ist, wenn sich das Haus um Werke des Kernrepertoires bemüht. Dirigentin Sian Edwards hat aus dem ORF Radio-Symphonieorchester einen ziemlich „handfesten“ Verdi herausgeholt, etwas trocken und eindimensional im Klang. Dem sinnlichen, emotional selbsterklärenden Fluss dieser Musik war Edwards kaum gewogen (aber er wurde auch von so mancher Bühnenaktion – wie Violettas akrobatischem Sturz vom Sessel – unterbrochen).

Marlies Petersen bildete mit ihrem selbstaufopfernden, singschauspielenden Musiktheater-Instinkt den Mittelpunkt des Abends – ihr kam nur der Arnold Schönberg Chor gleich, der in seiner schauspielerischen und musikalischen Flexibilität ein weiteres Meisterstück ablieferte. Petersen zeigte keine „Bilderbuch“-Traviata, ihr Sopran tönte etwas hell und kühl und nicht immer ganz leichtgängig in den Koloraturen. Weich und melancholisch strömende Lyrismen sind dieser Stimme eher fremd, die mehr für ein robustes Naturell steht. Petersen sang wie schon bei ihrer Staatsopern-„Traviata“ kein „hohes Es“.

Alfredo wurde von Konwitschny zum naiven, schlecht angezogenen Aussteiger und Bücherwurm umgedeutet. (Was hat dieser Alfredo auf einer Party der „Pariser-Event-Gesellschaft“* verloren?) Arturo Chacón-Cruz sang überzeugender als im Frühjahr den Jacopo in „I due Foscari“. Sein Tenor strahlte aber kaum, klang leicht belegt und oft etwas forciert. Immerhin sang er mutig beim „O mio rimorso“ hinauf, allerdings fiel der Ton etwas blass aus. Zu einförmig im Vortrag geriet das „De‘ miei bollenti spiriti“. Den naiv-linkischen Kerl, den Konwitschny wollte, hat er insgesamt sympathisch verkörpert.

Roberto Frontali war gesanglich ein forscher Vater mit eher rauem Bariton und wenig Pianokultur, aber einer rollendeckenden Bühnenpräsenz. In einigen Nebenrollen kamen noch einmal Mitglieder des Jungen Ensembles des Theaters an der Wien zum Einsatz, die mit Ende dieser Saison neuen Engagements zustreben werden – und wurden in guter Erinnerung behalten: Gaia Petrone, Ben Connor, Igor Bakan und Andrew Owens.

Der ungetrübte Schlussjubel dauerte rund zehn Minuten lang (während der Vorstellung gab es nur wenig und kurzen Szenenapplaus).

* Wörtliches Zitat aus der Inhaltsangabe von Peter Konwitschny, die im Programmheft abgedruckt ist.