LA TRAVIATA
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Wiener Staatsoper
3. September 2013

Dirigent: Marco Armiliato

Violetta Valery - Aleksandra Kurzak
Alfredo Germont - Massimo Giordano
Giorgio Germont - Simon Keenlyside
Flora Bervoix -
Zoryana Kushpler
Annina -
Donna Ellen
Gastone - Jinxu Xiahou
Baron Douphol -
Gabriel Bermúdez
Marquis d'Obigny - Hans Peter Kammerer
Dottore Grenvil - Dan Paul Dumitrescu
Giuseppe - Dritan Luca
Kommissionär - Wataru Sano
Domestico - Roman Lauder



Saisoneröffnung an der Staatsoper
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper startete mit dem Dauerbrenner „La Traviata“ in die neue Saison. Das Haus war ausverkauft – eine „gute Ansage“ für die kommenden zehn Monate.

Die Aufführung bot aber nicht nur „Altbekanntes“ (wozu man inzwischen leider auch die Inszenierung von Jean-Francois Sivadier zählen muss), sondern ganz im Gegenteil viel „Neues“: Aleksandra Kurzak stellte sich dem Wiener Publikum zum ersten Mal als Violetta vor, Massimo Giordano als Alfredo. Und der dritte im Bunde, Simon Keenlyside, hat den Giorgio Germont auch erst einmal an der Staatsoper gesungen. Man durfte also gespannt sein.

Aleksandra Kurzak hat letzte Saison als „Regimentstochter“-Marie an der Staatsoper einen großen Erfolg gefeiert und ihre Violetta teilte im ersten Akt noch deutlich deren Lebenslust. Mit Champagnerlaune stürzte sie sich in das Fest, führte ihren Sopran sicher und wendig durch die Koloraturen und hielt sich nur bei den Spitzentönen merklich zurück, die insgesamt Gefahr liefen, aus der „Spur“ zu geraten und anzuschärfen. Kurzaks Sopran war wie erwartet ein wenig kühl timbriert und klang ein bisschen „resch“. Das Porträt einer üppig und raffiniert in Samt und Seide gewickelten „Edel-Kurtisane“ hat die Sängerin weder darstellerisch noch gesanglich gemalt.

Kurzak versah die Rolle hingegen mit einer natürlich wirkenden, fast schlicht zu nennenden mädchenhaften Unbekümmertheit, die vom großen Glück träumt, und dann überrascht ist, dass das Leben nicht so funktioniert wie sie es sich ausgedacht hat. Dieser „natürliche“ Rollenzugang hat bis zu einem gewissen Grad die uninspirierte Inszenierung ausgetrickst – und Violetta mit einem lebendigen, leicht sektprickelnden Charme versehen. Manch zart gesungene Passage vermochte starke Emotionen zu wecken. Im Finale ging Kurzak nicht bis zur Rampe vor, um dort vom Operntod ereilt zu werden, sondern sie ließ sich schon früher und bühnenmittiger zu Boden sinken: eine Lösung, die viel besser zu den Schlusstakten passt. (Violettas Tod erfolgt in dieser Inszenierung auf einer fast leeren Bühne. Nicht einmal ein Bett steht herum.)

Dass sich der Alfredo von Massimo Giordano zu keinem einheitlichen Ganzen fügte, ist zu einem Teil auch der Produktion anzulasten, die einen als Zuschauer bei der charakterlichen Einschätzung und Zuordnung der Figuren ziemlich alleine lässt. Gerade bei einem „Gesellschaftsroman“ wie der „Traviata“ muss für die Zuseher das soziale Gefüge eindeutig identifizierbar bleiben. Jean-Francois Sivadier hat aber alles zu einer „Probensituation“ vermantscht, die solche Unterschiede kaum mehr kennt. Deshalb „identifiziert“ sich Alfredo in dieser Inszenierung vor allem über sein Aussehen: ein fescher Kerl in einem weißen, legeren Anzug.

Massimo Giordano ist ein fescher Kerl, aber recht viel mehr hat er aus dieser Figur nicht herausgeholt. Vor der Pause wirkte er im Gehabe fast naiv, nach der Pause gab er der Figur plötzlich veristisch anmutende Konturen. Zudem hat Giordanos Tenor den ganzen Abend lang zu keiner einheitlichen Linie gefunden: Im ersten Akt oft mit nasalem Beiklang (mich schon ein bisschen an „Nemorino“-Lyrik erinnernd), tauchte die Stimme später in sattere, virilere Farben. Giordano arbeitete zudem viel mit Kraft, vor allem in den letzten beiden Bildern. Mit Alfredos „Renommeestück“ „De‘ miei bollenti spiriti“ konnte er beim Publikum nur wenig punkten, auch dessen feuriges „Anhängsel“ brachte ihm kaum Applaus ein (der Schlusston in der Sicherheitsvariante). So blieb für mich nach der Erstbegegnung mit Giordanos Alfredo ein unausgegorener Gesamteindruck zurück, in dem die Reize eines lyrischen Tenors mit zu deutlich artikulierten Verismoambitionen im Widerstreit lagen.

„Vater“ Simon Keenlyside hat in seinem psychologisierenden Spiel nicht zum Auftreten seines Sohnes gepasst. Der Hang zum psychologischen Ausreizen der Charaktere stößt für meinen Geschmack bei Verdi prinzipiell an gewisse Grenzen: Keenlysides etwas „gedrückte“ und defensive Körperhaltung, die zwängliche Art wie er den Mantel über den Sessel legte, seine Stirnschweißabtupfen im Gespräch mit Violetta. Auffallend war, wie wenig Keenlyside den selbstsicheren Patriarchen hervorkehrte und wie er in den Auseinandersetzungen mit seinem Sohn schon neurotisch anmutende Berührungsängste zeigte. Nachdem Alfredo auf dem Maskenball bei Flora Violetta heruntergemacht hat, setzte es vom Papà nur einen „Klaps“ auf den Rücken. Wenn man sich daran erinnert, welch kraftvoll ausgeführte „Watschen“ Thomas Hampson unlängst an der Staatsoper „seinem Sohn“ gesteckt hat, dann darf man als Zuseher schon nach den unterschiedlichen Erziehungsmethoden fragen. Kann es sein, das Keenlysides Germont tief in Selbstvorwürfen verstrickt war oder dass er von einen verklemmten Puritanismus gepeinigt wurde? Gesanglich scheint der Giorgio Germont dem Sänger zu liegen – aus meiner Sicht war es Keenlysides bis dato überzeugendste Verdi-Leistung am Haus (und den stärksten Szenenapplaus erhielt er außerdem). Sein Bariton strömte kernig, aber nicht zu rauh, immer unter Kontrolle des Sängers, die lyrischen Momente ebenso zur Geltung bringend wie die großen Gefühlsaufwallungen.

Bei der Besetzung der „Nebenrollen“ fühlte man sich schon wieder ganz „zu Hause“ – im positiven wie im negativen Sinne. Marco Armiliato hat die „Traviata“ schon oft an der Staatsoper dirigiert. Er besitzt die Gabe, Verdi in einer gut abgestimmten Dosis von Konturgebung und Gespür für die Sänger zu einem schlüssigen Bühnendrama zu verschmelzen. Allein dadurch werden solche Abende schon über ganz „gewöhnliche“ Repertoirevorstellungen hinausgehoben.

Fazit: Diese „La Traviata“ war keine „Galavorstellung“, aber der animierte und animierende Start in eine neue Staatsopernsaison. Er wurde vom Publikum rund fünf Minuten lang freudig beklatscht.