LA TRAVIATA
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Volksoper

9.10.2002

Dirigent: Marc Piollet

Inszenierung Bühnenbild: Hans Gratzer
Kostüme: Barbara Naujok

Violetta Valery- Akiko Nakajima
Alfredo Germont - Felipe Rojas
Giorgio Germont - Morten Frank Larsen
Flora Bervoix - Karine Ohanyan
Annina - Maida Karisik
Giuseppe - Franz Ambros
Gastone - Lemuel Cuento
Baron Douphol - Noé Colin
Marquis d'Obigny - Bruce Brown
Dottore Grenvil - Rudolf Katzböck
Un Servo - Stefan Tanzer
Un Commissionario - Dmitrij Kostov


Ein Hauch von großer Oper
(Dominik Troger)

Keine Frage, Akiko Nakajima hat als Darstellerin der Traviata diesen Abend wesentlich geprägt. Und weil das nun mal die wichtigste Person in dieser Oper ist, konnte dann schon insgesamt nicht mehr viel schiefgehen.

Selbstverständlich gelten in der Volksoper andere Gesetze als in der Staatsoper – aber im Wesentlichen kommt es immer darauf an, wie weit eine Vorstellung das Publikum in ihren Bann zu ziehen vermag. Niemand weiß, wie oft „La Traviata“ auf diesem Planeten schon seit der Uraufführung gespielt worden ist, und trotzdem kann einen die „hunderttausendste“ Aufführung immer noch mitreißen und berühren. Zwar entwickelt sich aus der x-ten Wiederholung eines Werkes leicht jene Lustlosigkeit, die auch so manche „Traviata“-Aufführung an der Staatsoper schon zu einem langatmigen „Einerlei“ hat verkommen lassen. Aber genau dieser Vorwurf kann man der Volksoper nicht machen, obwohl das Werk seit der Premiere vor rund eineinhalb Jahren schon sehr, sehr oft am Spielplan gestanden ist.

Natürlich wird man jenes samtig ausgelegte Boudoir vermissen – davon ist nur noch ein Restbestand auf der Bühne erhalten, rechts vorne, eine weiße Liegestatt, Zwitter aus Bett und Kanapee – in das, aus den Streichern duftig strömend, schon das lohengrinhaft anstimmende Vorspiel in wohlige Gemütsschwere eintauchen könnte. Aber wichtig ist in jedem Fall, dass das Orchester „auf Zug“ bleibt und ein bisschen dem Verdi‘schen Pathos nachzuspüren vermag, damit Emotionen und Dramatik zumindest gewahrt bleiben. In diesem Sinne hat Marc Piollet durchaus zweckmäßig dirigiert und musizieren lassen, und nur manchmal hatte man das Gefühl, dass die musikalische Darbietung ein wenig „ins Leiern“ kommt, wie eine etwas gewellte, altmodische Schallplatte.

Trotzdem, hätte man den Abend nicht an Akiko Nakajima „aufhängen“ können, es wäre weit weniger spannend gewesen. Nakajima zwang einem zum Zuhören. Und wenn das jetzt auch sehr banal klingt, es ist wahrscheinlich das Geheimnis aller SängerInnen, die wirklich Erfolg haben. Nakajima hat eine sehr interessant klingende Stimme mit einer melancholisch-dunklen Beimischung; eine Stimme, die bereits gut abgerundet und entwickelt ist (und die Eigendefinition: „lyrischen Koloratur-Sopran“ vielleicht schon ein wenig hinter sich gelassen hat; sie debütierte Anfang der 90er Jahre in Australien). Die Koloraturen waren ein wenig verschliffen, die Höhen wirkten etwas exponiert, wenn auch sicher erklommen. Nakajima kann „große Oper“ glaubhaft singen, Emotionen darstellen. In ein weißes, knielanges Kleid gehüllt hat sie viel von jener morbiden, divahaften Traviata-Erotik anklingen lassen, an der man auch die „zweihunderttausendste" Aufführung dieses Werkes nicht besser festmachen könnte (und die sich auch Hans Gratzers Inszenierung zu Herzen genommen hat).

Am Alfredo von Felipe Rojas konnte man gut den Unterschied feststellen. Der junge chilenische Tenor (Debut in der Saison 1995/96 am Teatro Municipal von Santiago) wirkte bei insgesamt guten Anlagen noch sehr unausgegoren und war von Spiel und Ausdruck einem bäuerlichen Nemorino viel näher als einem geschliffenen, großbürgerlichen Partytiger aus dem Paris des 19. Jahrhunderts. So fehlte seinem Vortrag auch das Raffinement etwa in Form einer stilvollen Pianokultur. Mutig stellte er sich der Stretta, die auf die Arie zu Beginn des zweiten Aktes folgt (und oft weggelassen wird) – und brachte sie zu einem gelungenen (wenn auch nur sehr kurz gehaltenem) Abschluss. Fazit: trotz der gemachten Einwände eine gelungene „Talentprobe“.

Morten Frank Larsen entfaltete auch nicht jene patriachalische Wirkungskraft, der sich eine Traviata so leicht beugen könnte. Das ist letztlich auch eine Frage des „Formats“ – und gerade der Germont, der ja nicht unbedingt eine „reißerische“ Partie ist, lebt stark von dem, was eine Stimme und ihr Darsteller an soignierter Profundität zu geben im Stande sind – und das war halt bei weitem nicht so viel, wie ich mir gewünscht hätte. Und so habe ich auch ihn als zu leichtgewichtig empfunden – wie seinen Sohn Alfredo (aber nicht ganz so stark).

Hans Gratzer, auf den Inszenierung und Bühnenbild zurückgehen, hat dieses Werk ganz gut eingefangen. Das Bühnenbild kommt – bis auf jene Liegestatt rechts vorne – im wesentlichen ohne Requisiten aus. Die Drehbühne ist um eine erhöhte, mittig gelegene, versenkbare Scheibe angeordnet, die von einem halbkreisförmigen Vorhang umspannt wird. Dieser Vorhang wird mal vor- oder weggezogen. Schwarz und weiß sind die bestimmenden Farben. Schon die tanzende Festgesellschaft zu Beginn zeigt jene weißen totenkopfähnlichen Masken, die dann im letzten Akt auch der kurz auf die Bühne gespülte Pariser Karneval tragen wird. (Eine sehr gelungene „Assoziation“, die dem Schluss eine neue scharfe Perspektive abgewinnt.) Am Beginn des Vorspiels liegt Violetta bereits auf diesem bettähnlichen Lager, und hinter dem Vorhang in der Bühnenmitte bewegt sich ihre Erinnerung an ihre Kindheit, ihr Double sozusagen, mit einem weißen Luftballon. Ganz am Schluss, in den Todessekunden, wird dieses Bild wieder auftauchen, und der Luftballon wird, wie ihre Seele, zum Himmel fahren. Alfred wird seine Traviata übrigens nicht mehr sehen. Er wird im letzten Akt hinter diesem hauchdünnen, weißlich-durchschimmernden Vorhang stehen bleiben, wie sein Vater, beide von Violetta getrennt: die Versöhnung als Vision, als Wunschbild einer Sterbenden. Wenn, dann könnte man daraus Gratzer einer Strick drehen, weil er Violetta nicht in den Armen von Alfredo sterben lässt. Aber diese zugespitzte Einsamkeit Violettas ist durchaus bühnenwirksam, und man hat als Zuschauer keine Minute das Gefühl, hier einem aufgesetzten Regiegag zum Opfer zu fallen. Auch diese Auffassung ist stimmungsvoll, und mit dem schon erwähnten Schluss, dem auffliegenden weißen Luftballon, kommt auch jener Schuss Kitsch wieder zum Tragen, der sonst aus einer sehnsuchtsvollen Umarmung Violettas durch Alfredo entsprießt und den gerührten Herzen den letzten „Kick“ verpasst.

Dem Publikum (das Haus hatte doch einiges an leeren Plätzen) hat es gefallen. Für Nakajima gab es sogar einen geworfenen Blumenstrauss.