SIMON BOCCANEGRA
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Wiener Staatsoper
6.9.2011

Dirigent: Paolo Carignani

Simon Boccanegra - Plácido Domingo
Jacopo Fiesco - Ferruccio Furlanetto
Amelia - Barbara Frittoli
Paolo - Eijiro Kai
Pietro - Dan Paul Dumitrescu
Gabriele Adorno - Massimiliano Pisapia
Hauptmann - Carlos Osuna
Dienerin Amelias - Simina Ivan


„Domingo-Boccanegra, 2. Vorstellung“
(Dominik Troger)

Die zweite Vorstellung des „Domingo-Boccanegras“ wurde von der Wiener Staatsoper dem Gedenken an den tags zuvor verstorbenen Tenor Salvatore Licitra gewidmet. Direktor Meyer sprach vor Beginn der Aufführung würdigende Worte über den Sänger, der seit 2001 an insgesamt 36 Abenden an der Staatsoper zu hören gewesen war.

Von solch traurigem Anlass betroffen, spürte man an diesem Abend vielleicht stärker als sonst „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. Verstärkend kam hinzu, dass Placido Domingo der Boccanegra sehr gut liegt, musikalisch wie emotional. Seine Stimme hat naturgemäß nicht mehr die Frische eines 40-jährigen, aber für einen 70-jährigen ist sie von erstaunlich guter Konsistenz und entbehrt weitgehend typischer „Alterserscheinungen“. Im Zusammenwirken mit Domingos starker Persönlichkeit ergab das für den Boccanegra ein überzeugendes „Rollenmodell“. (Dass dem nicht immer so sein muss, konnte man an seinem „Ausflug“ zum „Rigoletto“ sehen. Aber darüber ist ohnehin schon viel geschrieben worden.)

Puristen könnten sich neben der Klangfarbe bei seinem Boccanegra daran stoßen, dass ihm ein wenig der baritonale Nachdruck fehlt. Beim Auftritt des Dogen im Senatssaal trug die Energie des Sängers meiner Meinung nach nicht durch die gesamte Szene. Aber stimm- und wortgewaltig „inszenierte“ Domingo die „indirekte“ Verfluchung Paolos, so dass sich rechtzeitig vor der Pause einige markerschütternde Momente einstellten, an denen man sich leidenschaftlich laben konnte.

Und „sterben“ konnte Domingo schon immer ganz vorzüglich – wie als Othello so auch als Simon Boccanegra: seinen Ausdruck erwärmt dann ein melancholischer Zug, der nie ins weinerliche umschlägt. Domingos Helden bleiben im Kern von den barbarischen Schicksalsschlägen unangetastet, denen sie zum Opfer fallen. Sie bewähren sich als Archetypen, die ihr Leben auch im Tode zu meistern verstehen. Das könnte neben dem unverwechselbaren, breiten Timbre seiner Stimme einer der Gründe für seinen Erfolg sein, der sich ohne tenorale „Spitzentonakrobatik“ über Jahrzehnte ungebrochen erhalten hat.

Aber letztlich läuft es wohl darauf hinaus, was ein Artikel in der New York Times erst vor wenigen Wochen ganz allgemein unter dem Begriff „Charisma“ subsumiert hat: Das Publikum fühlt, wenn ein Künstler authentisch ist. Als ich nach der Aufführung mit einem langjährigen Stehplatzbesucher noch ein kurzes Gespräch über Domingos Karriere und Bühnenwirkung führte, brachte er den Begriff der „Wahrhaftigkeit“ ins Spiel. Nun sind das mehr emotionale Zuschreibungen, die sich mit allerlei Inhalten verknüpfen lassen. Aber wenn man einen 70-jährigen nach Ende der Vorstellung über eine halbe Stunde lang beklatscht, dann beweist die Praxis, woran der Intellekt mit Berechtigung seine Zweifel knüpft.

Orchester und Bühne fanden an diesem Abend besser zusammen – davon profitierte die ganze Aufführung, die einen geschlosseneren Eindruck hinterließ. Barbara Frittoli hatte es mit ihrer Arie am Beginn des ersten Aktes leichter und nahm ihren Sopran stärker „an die Zügel“. Ihre Bühnenerscheinung stattete die Amelia wie schon drei Tage zuvor mit edler Gestik aus.

Der Tenor von Massimiliano Pisapia klang in dieser zweiten Vorstellung von Beginn an freier. Sein Gabriele zeigte sich als etwas trotziger Bursche, der Liebe sucht und in der Politik landet. Die Stimme schwankte zwischen etwas forciertem Spintoklang und einem jugendlichen „Nemorino-Touch“. Was man sich als Zuhörer in einem solchen Falle immer wünscht: noch mehr tenoralen Wohlklang und/oder noch mehr Höhenmetall.

Ferrucio Furlanettos Fiesco tauchte ebenfalls wieder tief in diese düstere Geschichte ein – und weitestgehend alle Mitwirkenden zeigten bezogen auf Verdis Musik und auf die dargestellten Charaktere höheren Standes das passende Empfinden für einen „gehobenen Stil“. Selbiges korrelierte gut mit der Inszenierung von Peter Stein.

Der Schlussapplaus erschallte gestoppte 33 Minuten lang. Nach Herablassen des „Eisernen“ kamen Domingo, Frittoli und Furlanetto noch an dem schmalen Eingang neben der Bühne heraus – seitlich über dem Orchestergraben.

Fazit: Die beiden Aufführungen sind sicher schon im „Historienbuch“ der Staatsoper vermerkt.