SIMON BOCCANEGRA
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Staatsoper
12. September 2020

Dirigent: Evelino Pidò

Simon Boccanegra - Plácido Domingo
Jacopo Fiesco - Günther Groissböck
Paolo Albiani - Attila Mokus
Pietro - Dan Paul Dumitrescu
Amelia Grimaldi - Hibla Gerzmava
Gabriele Adorno - Najmiddin Mavlyanov
Ein Hauptmann - Carlos Osuna
Dienerin Amelias - Patricia Nolz



„Simon Boccanegra, 92. Aufführung in dieser Inszenierung
(Dominik Troger)

Die neue Direktion hat ihren Saisonstart gut gewählt. Die Premiere der „Madama Butterfly“ hat wohlwollende Kritiken geerntet; die Wiederaufnahme von Harry Kupfers-„Elektra“-Inszenierung ebenso; und am dritten Abend folgte der Auftritt einer Sängerlegende im „Simon Boccanegra“. Berichtet wird von der zweite Vorstellung dieser Verdi-Oper in der laufenden Serie.

Im Jahr 2011 hat sich Placido Domingo dem Wiener Publikum als „Simon Boccanegra“ vorgestellt, seinen Tenor zum Bariton gemacht, ohne seine tenorale Klangfarbe wirklich verleugnen zu können. Das wurde von einem Teil des Publikums akzeptiert und gar nicht so wenige haben es kritisiert. Aus der Sicht des Bühnenkünstlers Domingo war dieser Fachwechsel ein genialer Schachzug und hat ihm praktisch ein weiteres Jahrzehnt auf der Opernbühne und mit seinem Publikum ermöglicht. Domingo hat sich dieses Fach beharrlich erobert und oft hat er einen glaubwürdigen Kompromiss zwischen seinen stimmlichen Ressourcen und dem von ihm erwarteten künstlerischen Anspruch gefunden.

Auch den Simon Boccanegra hat er sich wieder sehr gut zu recht gelegt. Die neun Jahre seit seinem Wiener Rollendebüt sind naturgemäß nicht spurlos an ihm vorübergegangen, die Kräfte müssen noch klüger verwaltet werden und auch die Länge mancher Phrase will berücksichtigt sein. 2011 verharrte der Sänger noch nicht so deutlich in einer patriarchalen Würde, zu der auch die schlohweiße Haarpracht ihren Anteil beiträgt. Er differenzierte den Charakter stärker zwischen dem Prolog und der fünfundzwanzig Jahre später spielenden Haupthandlung. Er scheint sich auch, wenn ich mich nicht täusche, damals mehr um eine baritonale Stimmfärbung bemüht zu haben.

Wahrscheinlich sind solche Details inzwischen aber gar nicht mehr wichtig. Entscheidend ist der Gesamteindruck, bei dem Charisma und Erfahrung hinzufügen, was die immer noch überraschend vitale Stimme doch nicht mehr so selbstverständlich zu leisten vermag. Das Schonen der Kräfte kann auch dramaturgisch sinnvoll genützt werden und Spannung erzeugen: Zuerst leitet der Doge ein wenig versonnen die Ratsversammlung, um bald überraschend energiegeladen die Fäden in die Hand zu nehmen. (Ein paar Mal waren deutlich die Einflüsterungen des maestro suggeritore zu hören, der dem Dogen beim Text aushalf.)

Das voller Sehnsuchtsschmerz verzückte „figlia“ nach der Aussprache mit Amelia war ein Meisterstück emotional-gesanglicher Ausdrucksgabe, und nach der Pause konnte Domingo während des langen, durch Gift herbeigeführten Dogensterbens seinen ganzen gestalterischen Erfahrungsschatz auspacken. Die Inszenierung von Peter Stein legt Domingo zudem keine „Stolpersteine“ in den Weg. (Es lohnt sich nachzulesen, was Peter Stein im Programmheft zur Aufführung über den Begriff der „Konvention“ zu sagen hat, der heutzutage oft für negative Bewertungen herhalten muss.)

Günther Groissböck gab den Fiesco recht „geradlinig“, wirkte auf mich mehr wie ein aus nördlicheren Gegenden angereister, streitbarer Kontorinhaber. Verdi hat sich in einem Brief an Ricordi für diese Partie einen Sänger gewünscht, der etwas „Unerbittliches“ und „Prophetisches“ in der Stimme hat (siehe dazu den Beitrag im Programmheft von Christian Springer). Unerbittlichkeit ist wahrscheinlich leichter zu treffen als das Prophetische. Groissböck war mir in der ganzen Darstellung zu „geheimnislos“, um als „Prophet“ gelten zu dürfen. Dieser Fiesco ist ohnehin eine schwer fassbare Figur, versteckt seine Rachegelüste hinter einer Mönchskutte und ermöglicht dem Publikum knapp vor Schluss dann doch noch eine gefühlsstarke Versöhnungsszene. Hätte die düstere Würde dieses Charakters vielleicht von einer sonoreren Tiefe profitiert? Rollen müssen reifen – und Groissböck wird in Zukunft hoffentlich nicht nur vom deutschen Fach vereinnahmt werden.

Den Tenor stellte Najmiddin Mavlyanov als Gabriele Adorno bei – der bei mir aufgrund der leicht nasalen Stimmfärbung und des insgesamt ungeschmeidig wirkenden Gesangs einen etwas spröden Gesamteindruck hinterließ. Er und Amelia bildeten ein forsches Bühnenpaar. Hibla Gerzmava musste ihren reschen Sopran für die Lyrismen der Auftrittsarie stark zügeln (was nicht immer gelang) und setzte auf energiegeladene Präsenz. Attila Mokus sang einen etwas grellen Paolo. Er gab in dieser Aufführungsserie ebenfalls sein Staatsopern-Rollendebüt wie alle obgenannten außer Placido Domingo. Evelino Pidò leitet bewährt das Staatsopernorchester. Die Aufführung steigerte sich rasch nach einem eher verhaltenen Beginn.

Der wegen COVID-19 neugeordnete „Sitzstehplatz“ war auf der Galerie und am Balkon (sehr) schlecht besucht. „Anstellorgien“ hat Domingo an diesem Abend keine ausgelöst. Zumindest der Schlussapplaus von zweiundzwanzig, dreiundzwanzig Minuten Länge erinnerte an frühere Zeiten. Die weißroten Blumensträußchen wurden wieder aus den beiden unteren Proszeniumslogen von begeisterten „Adoranten“ mit geübtem Schwung geworfen, so wie es sich vor vielen Jahren eingebürgert hat. Ein Beifall mit ritueller Komponente, der aber genauso die Begeisterung derjenigen ausdrückt, die ihn spenden (das rhythmische Klatschen nicht zu vergessen, das plötzlich einsetzt im emotional schwingenden Gleichklang der Menge). Fazit: Eine gute Repertoireaufführung, die durch die Gegenwart von Placido Domingo „historisches“ Gewicht erhielt..

PS: Der Umschlag des Programmheftes ist beim „Simon Boccanegra“ von gelber Farbe, die Zuordnung des schwarzweißen Coverfotos zum gespielten Stück auch diesmal schwierig. Das gehört offenbar zum „Konzept”.