RIGOLETTO
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Theater an der Wien
Premiere
29. Mai 2011

Dirigent: Omer Meir Wellber
Inszenierung: Luc Bondy
Bühne: Erich Wonder
Kostüme: Moidele Bickel
Licht: Alexander Koppelmann

Herzog - Francesco Demuro
Rigoletto -
George Gagnidze
Gilda - Chen Reiss
Sparafucile - Gábor Bretz
Maddalena - Ieva Prudnikovaite
Giovanna - Susan Rigvava-Dumas
Monterone - Vladimir Braun
Marullo - Sokolin Asllani
Borsa - Alexander Kaimbacher
Graf Ceprano - Tijl Faveyts
Gräfin Ceprano - Mara Mastalir
Huissier - Nenad Marinkovic
Page - Orsolya Sáfár


Enttäuschender Rigoletto
(Dominik Troger)

Mit einer enttäuschenden „Rigoletto“-Produktion starteten die Wiener Festwochen im Theater an der Wien ihren Verdi-Zyklus zum Jubiläumsjahr 2013. „La Traviata“ und der „Troubadur“ sollen in den beiden kommenden Jahren folgen.

Ein müde wirkender Regisseur, ein möglicherweise nervöser „Shootingstar“ am Pult und ein mittelprächtiges Ensemble sind zu wenig Würze für einen gelungenen Opernabend – noch dazu wenn der Veranstalter Wiener Festwochen heißt und es gilt, Giuseppe Verdis 200stes Geburtstagsfest mit langer künstlerischer Vorlaufzeit in Angriff zu nehmen.

Beginnen wir mit dem „Shootingstar“ am Pult: Omer Meir Wellber. Solche Attribute werden heutzutage bekanntlich sehr rasch und unreflektiert von den Medien zugewiesen. Wie auch immer: Das erste Bild huschte ziemlich rasch und ohne Linie vorüber, erst im zweiten trat eine „Konsolidierungsphase“ ein. Wellber verwechselte forciertes Tempo mit Dramatik und ging zwischendurch in der Begleitung auch mal einem geruhsameren Verdi'schen „Um-ta-ta“ auf den Leim. Das wirkte ein bischen zufällig und nicht sehr homogen. So konnte sich keine durchgehende Spannung aufbauen und der Abend hinterließ einen merkwürdig unberührt. Das RSO Wien klang in den Streichern zwar feinfühlig, oft aber einfach zu laut und undifferenziert.

George Gagnidze ließ einen kräftigen, dann wieder sehr zurückgenommenen Bariton hören, der etwas fahl und monochrom gefärbt war – sozusagen ein Rigoletto ohne gesangliche „Seele“, zu nüchtern und zweckorientiert. Sein Spiel kann man in Anbetracht der plakativ-simplen Personenregie kaum würdigen. Sein Auftreten war buckellos und undämonisch, in der Gesamtanlage des Charakters eher ungustiös, tiefere Seelenregungen brachte er bei mir nicht ins Schwingen. Das Besondere an „Rigoletto“ ist doch, dass er auf das Publikum zuerst abstoßend wirken soll, er durch sein schreckliches Schicksal schlussendlich aber Mitleid erweckt. Schon seine körperliche Missgestalt ist ein starkes äußeres Symbol seines Außenseitertums. Lässt man den versinnbildlichenden Buckel weg, kann dieser in seiner für das Werk tieferen Wirkung kaum ersetzt werden.

Seine Tochter Gilda, Chen Reiss, zeigte eine gute Bühnenpräsenz. Ihr Sopran klang mir zu kühl und zu wenig mädchenhaft, in der Höhe schon sehr forciert und angeschärft. Die Verzierungen wurden zu deutlich „erarbeitet“ anstatt wie von selbst in virtuoser Natürlichkeit Gildas naives Liebesträumen zu umschmeicheln. Hier bot sich nicht viel Platz für Sinnlichkeit, obwohl Reiss mit schlanker Statur und körperlichen Reizen optisch zu überzeugen wusste. In ihrem Gesang regierte schon die Härte des Lebens. Wohl eine Folge der häuslichen Umgebung, die von einer mit haarsträhniger, gesichtverdeckender Trinkerfrisur gezierten Aufpasserin (Giovanna) geprägt, emotional verwahrlost schien?!

Francesco Demuro sang einen etwas schmalstimmigen, im Gesang noch sehr jugendlich ausgeformten Herzog. Er machte auf mich im ersten Bild einen nervösen Eindruck, die Stimme festigte sich etwas im Laufe der Vorstellung. Der Beschluss der Cabaletta im zweiten Akt zielte wohl auf ein „hohes D“ und zeigte viel Beherztheit, blieb in der Ausführung aber vage und kam schwerlich übers Orchester. Viel zu oft musste er stark forcieren mit dann ins Schwanken kommendem Ton. Die Vorteile: An Italianità und natürlichem Gefühl für Verdi ermangelte es ihm nicht – und das war an diesem Abend schon eine Gunst. In der Bühnenerscheinung zeigte er sich galant-spitzbübisch, eine gute Mischung. Herzog war er aber wohl keiner, eher ein krimineller Bandenführer oder dergleichen.

Maddalena, Ieva Prudnikovaite, und Gábor Bretz (Sparafucile) machten ihre Sache gut, der Rest des Ensembles inklusive Arnold Schönberg Chor hinterließ nicht immer einen erstklassigen Eindruck.

Ein Kapitel für sich war die Inszenierung von Luc Bondy – ein trauriges Kapitel. Die Figurenzeichnung blieb stereotyp und irgendwie kraftlos. Das Finale, in dem Gilda genötigt wurde, den Sack zu verlassen, um dann teils wie eine Betrunkene wankend, wieder zu ihm zurückzufinden, zeigte eine szenische Trostlosigkeit, die sich wie ein Strohhalm an die Taschenspielertricks provinziellen Theaters zu klammern schien.

Überhaupt: Wenn man als Zuseher die Mechanik, die einer szenischen Lösung inne wohnt, so deutlich vorausahnen kann, wie in diesem Schlussbild, dann ist etwas falsch gelaufen. Man darf eine Szene nicht so konzipieren, dass man zu offensichtlicher Hilfsmittel bedarf, um sie glaubhaft umzusetzen. Wenn billig eine Plane fällt, damit niemand sehen kann, wie Gilda in den berühmten Sack kriecht, dann ist schon die ursprüngliche Konzeption fehlerhaft – oder aber eine solche Vorgangsweise müsste der Inszenierung verfremdend immanent sein. Der blutige Handschlag von Sparafucile mit Rigoletto, der letzteren dazu befähigte sich angesichts des vermeintlich toten Herzogs noch eine Kriegsbemalung zuzulegen, war nur eine Draufgabe. Die Handvoll Buhrufe für das Regieteam wurden wohl vor allem vom szenisch missglückten Finale evoziert. Und weil die Produktion bekanntlich an die Met und an die Scala weitergereicht wird, sollte man hier unbedingt verbessernd eingreifen.

Nichts ändern wird sich vermutlich an dem schäbigen Bühnenbild, der düsteren, aus dem allernotwendigsten Material errichteten Pfahlbauspelunke im dritten Akt (samt erstem Stock, Terasse und „Hühnerleiter“) und der nicht minder düsteren Szene im ersten und zweiten: eine öde Fläche mit hohen Raumteilern, durch wenige Requisiten an die Handlung angepasst. Diese spielte den Kostümen nach offenbar im frühen 19. Jahrhundert, aber wie an den Requisiten zu bemerken war, nicht konsequent. Das karge Zimmer Gildas mit den Stofftieren und dem Stahlrohrbett hätte auch in die 30er- oder 40er-Jahre des letzten Jahrhunderts gepasst.

Gilda wird bei der Entführung gleich mit dem ganzen Bett davongetragen, dadurch verliert die Szene an Dramatik und sieht stark nach einem Begräbnis aus. Sparafucile drückt bei der Erstbegegnung Rigoletto eine Visitenkarte (!) in die Hand, aber es wird in jeder Produktion Details geben, an denen man sich stößt. Die „Untertag-Verfrachtung“ Monterones in einem Quadratmeter Versenkung halte ich szenisch für ebenfalls missglückt. Zumal er dann später dort noch einmal auftaucht wie im Kasperltheater.

Für mich schwer nachvollziehbar war die Publikumsreaktion, die während der Vorstellung sehr reserviert ausgefallen, am Schluss beinahe in Enthusiasmus umschlug (bis auf die paar Buhrufe für Bondy). Das klang in Anbetracht des Gebotenen so begeistert, als hätte man in Wien seit 50 Jahren keinen „Rigoletto“ mehr gespielt.

Dass bei der Schlussverbeugung die Protagonisten – wieder einmal (!!!) – fast den schweren schwarzen Bühnenvorhang auf den Kopf bekommen hätten, könnte in der Abendinspektion langsam jemandem auffallen. Der Vorhang fällt oft schon während des Beifalls, wenn die Mitwirkenden nichts ahnend nach vor an die Rampe gehen möchten. Doch dort wartet auf sie ein heimtückisches Fallbeil.