„Rigolettos seelische Qualen“
(Dominik
Troger)
Hofnarr
und Gilda in Premierenbesetzung: Die Wiener Staatsoper spielt wieder
„Rigoletto“. Leider nach wie vor in der Inszenierung
von Pierre Audi aus dem Jahr 2014.
Für
den Anblick dieses schäbigen Bühnenbilds (garniert mit schwarzen
(„Regie-“)Müllsäcken als abrundendem „dekorativem“ Element) und für
Pierre Audis düstere, eindimensionale Regie, würde man keinen Cent
ausgeben wollen, verlockte einen nicht Verdis geniales Werk und die
Hoffnung auf eine musikalisch fesselnde Aufführung zu einem Besuch. Wie
hat es nicht Philippe Jordan, (noch) Musikdirektor der Wiener
Staatsoper, unlängst in einem Interview zusammengefasst? Ein großer
Teil des Publikums gehe inzwischen trotz und nicht wegen der
Inszenierungen in die Oper.
Dieser Befund wird auch durch eine wie immer geartete Motivation, die
Jordans Interview in der Tageszeitung „Kurier“ vom 2. Oktober angeregt
haben mag, nicht (!) in Frage gestellt – und die Staatsoperndirektion
würde sich wundern, wie viel Zustimmung Jordan mit seinen Aussagen
unter dem Stammpublikum ausgelöst hat. Geht man nicht selbst viel zu
oft unter schweigendem Protest in eine Opernaufführung, weil einem die
szenischen, von Dramaturgen, Regisseuren und Intendanten weitschweifig
begründeten „Verschwurbelungen“ einfachster Opernhandlungen nur mehr
auf die Nerven gehen?
Aber zurück zu dieser Vorstellung, der zweiten der aktuellen Aufführungsserie: Simon Keenlyside,
während der Premiere aus gesundheitlichen Gründen zur Aufgabe
gezwungen, konnte von misslichen äußeren Einflüssen ungetrübt dem
Wiener Publikum jetzt endlich seine Rigoletto-Interpretation nahe
bringen. Keenlysides Rigoletto ist vor allem eines: gequälte Kreatur.
Den Hofnarren sucht man bei ihm vergeblich, Buckel hat er keinen, er
hinkt dann und wann, er scheint vor allem psychisch deformiert. (Bei
der Premiere hat Keenlyside mit nacktem Oberkörper gespielt und
gesungen, das ist nicht mehr der Fall.)
Keenlysides Rigoletto leidet stark, seine Anmaßung gegen über dem
Grafen Monterone klingt wie Notwehr, selbst in seinen väterlichen
Gefühlen findet er keinen Trost: Es ist ein Leben voller Angst und
Schrecken, das diesen Mann beherrscht. Keenlysides darstellerischer
„Existentialismus“ planiert die Doppelbödigkeit des Charakters,
lässt nur mehr menschliche Ausbeutung gelten, wo man als Publikum in
Rigolettos Wesen auch einen anpassungsgenährten Sadismus wittern könnte
oder – im Gegensatz zur Mördergrube des Hofstaates – echt herzlich
empfundene, überbordende väterliche Gefühle: Die Gefahr einer gewissen
Eindimensionalität stellt sich ein.
Auch gesanglich vermag Keenlyside den Charakter kaum zu variieren.
Seine Stimme klingt sehr trocken, hält zum Beispiel für die
angesprochenen väterlichen Gefühle keinen Schmelz mehr bereit, besitzt
kaum Reserven, um mit dem packenden Fortschreiten der Handlung noch
zulegen zu können. Natürlich fasziniert, wie schonungslos sich der
Sänger seine Rollen aneignet, wie kompromisslos er sie auf die Bühne
stellt, aber ein wenig schert er sie dann doch alle über einen Kamm:
Und wo sein Rigoletto vorübergeht, steht bereits der Wozzeck hinter der
nächsten Mauerecke.
An Tochter Gilda, gesungen von Erin Morley,
sind die acht Jahre seit der Premiere relativ spurlos vorübergegangen.
Ihr Sopran ist nach wie vor hell und leicht, manchmal ein wenig unstet,
in der Höhe ein wenig ungeschmeidig. Ihre Gilda erwies sich im
Wesentlichen als das hübsch-naive, unspektakuläre Opfer all dieser
Umtriebe. Benjamin Bernheim
sang einen stimmkräftigen Herzog. Seine Tenor hat Metall und Volumen,
strebt über die Partie bereits hinaus. Seine Verführungskünste
versteckten sich demgemäß weniger hinter lyrischer Erotik, sondern
zeigten bereits deutlich das triebhafte Begehren. Der „Student“, der
sich bei Gilda einschmeichelt, ging stimmlich „brunftig“ zur Sache,
eroberte ihr Herz mehr mit unnachgiebigen Drängen als über die
Mitleidsmasche. Gegenüber Keenlysides aufopfernder Rollengestaltung
wirkte er blass, dafür überstrahlte er mit seinem Tenor alle anderen
auf der Bühne (wobei er sicheren Pfaden folgte und auf „extravagante“
Spitzentöne verzichtete).
Evgeny Solodovnikov war
mir als Sparafucile zu wenig nachdrücklich und unheimlich, Monica
Bohinec auch in stimmlicher Hinsicht der interessantere Teil dieses
Geschwisterpaares. Attila Mokus sandte Rigoletto eine soliden Fluch, und als weitere Mitglieder des Ensembles seien genannt – Daria Sushkova (Giovanna), Michael Arivony (Marullo), Agustín Gomez (Borsa), Jusung Gabriel Park (Graf von Ceprano), Jenni Hietala (Gräfin von Ceprano) Ileana Tonca (Page), Michael Wilder (Huissier). Dazu gesellte sich noch der, den Fürstenhof mit Gesangeslust erweiternde Staatsopernchor. Pier Giorgo Morandi
sorgte im Orchestergraben für einen Verdi in bester
„kapellmeisterlicher“ Aufmachung, mit Schwung und gutem Gespür für
emotionale und dramatische Höhepunkte. Der Schlussapplaus dauerte rund
sieben Minuten lang. Es gab reichlich Bravorufe für die
wichtigsten Protagonisten und den Dirigenten. .
Die
Besprechung ist in leicht veränderter Form zuerst auf der Website
des Onlinemerker erschienen.