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Wiener Staatsoper
30. Juni 2019


Dirigent: Myung-Whun Chung


Otello - Aleksandrs Antonenko
Jago - Vladislav Sulimsky
Cassio - Jinxu Xiahou
Roderigo - Leonardo Navarro
Lodovico - Jongmin Park
Montano - Manual Walder
Desdemona - Olga Bezsmertna
Emilia - Margarita Gritskova
Herold - Ferdinand Pfeiffer


„Von Memphis nach Zypern“
(Dominik Troger)

Die Abendplakate, mit jeweils einem rosa Zettel gespickt, erregten gleich großes Interesse: Hat der Tenor abgesagt? Nein, es betraf den Sopran. Die Aida des Vortags sprang kurzfristig als Desdemona ein. Elena Guseva ersetzte Olga Bezsmertna.

Die letzte Staatsopernaufführung der Saison 2018/19 (es folgt noch ein Gastspiel des Tokyo Ballet) begann mit einer Ansage: Direktor Dominique Meyer informierte am Beginn der Vorstellung das Publikum über eine kurzfristig notwendig gewordene Umbesetzung. Olga Bezsmertna sei erkrankt, Elena Guseva sei bereits auf dem Weg zum Flughafen gewesen, aber sie habe sich, von ihm telefonisch angefragt, trotzdem bereit erklärt, kurzfristig die Partie zu übernehmen. Guseva hat 2017 als Polina („Der Spieler“ von Sergei Prokofjew) an der Wiener Staatsoper debütiert. Am 29. Juni gab sie die letzte Vorstellung ihres Wiener Aida-Debüts.

Elena Guseva ist rund drei Jahre jünger als Olga Bezsmertna (wenn die von mir ergoogelten Jahreszahlen stimmen), das Repertoire der beiden Sängerinnen überschneidet sich teilweise. Guseva hat im Vergleich mehr „spinto“ in der Stimme – und offenbar ein (für mich störendes) metallisch unterlegtes Flackern, das in dieser Vorstellung nicht von ihrer „Seite“ wich. Olga Bezsmertna hat Desdemona eine weichere, leicht abgedunkelte Stimme geliehen, die in den zupackenden Momenten schon etwas forciert klang. Sie hat den Rollencharakter mehr „passiv-erleidend“ vermittelt. Elena Guseva, innerhalb weniger Stunden in diese Neuproduktion implantiert, zeigte nach meinem Eindruck eine stärkere Bühnenpräsenz – und der dramatischere „Zuschnitt“ ihres Soprans war insofern kein Nachteil, auch wenn er Desdemona mit weniger „keuschen“ Piani ausstaffiert hat. Der starke Schlussbeifall war nicht nur ihrem Einspringerbonus anzurechnen.

Bezieht man die erste und die letzte Vorstellung dieser Premierenserie in die Kalkulation mit ein – und „interpoliert“ die übrigen Abende – dann hat Vladislav Sulimsky wahrscheinlich den stimmlich besten Eindruck hinterlassen. Er wirkte in dieser letzten Vorstellung fast noch frischer als in der ersten, auch wenn er mich in der Darstellung dieser dämonischen Persönlichkeit, im Verschmelzen von interpretatorischer Reife und stimmlicher Ausdrucksskala, weniger überzeugte.

Insgesamt bleibt Jago in dieser Inszenierung ein zu biederer Charakter, um den nihilistischen Weltentwurf seines „Glaubensbekenntnisses“ für das Publikum erfahrbar zu machen. Dieser Jago bewegte sich auf der Ebene einer von Neid und Sadismus angeregten Intrige, die von keinem großen philosophischen Ringen angetrieben wird. Aber Sulimsky alias Jago wusste zumindest im Finale des dritten Aktes seinen Triumph über den gefällten Löwen Otello wirkungsvoll und ein bisschen plakativ auszukosten, wenn er genussvoll und provokativ seine klebrigen Intriganten-Finger in Desdemonas Tuch abwischt. Das ist Jagos großer Moment, das ist sein Sieg, das sind jene Sekunden, in denen er sich jubelnd an seinem Zerstörungswerk delektiert.

An Aleksandrs Antonenkos Otello haben sich im Laufe dieser Premierenserie die Gemüter des Stammpublikums immer stärker „erhitzt“. In der zweiten Vorstellung wurde er, wie nachzulesen war, nach der Pause angesagt. Aber Antonenko hat das Handtuch nicht geworfen und seinen stählernen Tenor auch noch in der letzten Vorstellung pflichtbewusst in die „Schlacht“ geführt. Man mag seine metallische Stimme an sich nicht goutieren und ihre auf „Dauerdruck” eingestellte, im Ausdruck einförmige Tonproduktion, aber vor allem das Liebesduett des ersten Aktes erwies sich für seinen Tenor als besonders „glattes Pflaster“. Sobald er nicht „forte“ singen konnte, wirkte die Stimme fragil und gefährdet, wovon dann auch einige verrutschte Töne beredtes Zeugnis ablegten. 

Immerhin hat seine stimmlich martialische Herangehensweise gut zum grell und lautstark aufspielenden Orchester gepasst, das von Myung Whun Chung straff durch den Abend geführt wurde. Ungewohnte Unsicherheiten bei den Holzbläsern im Vorspiel des vierten Aktes waren an diesem Abend vielleicht einer wetterbedingten Unkonzentriertheit zuzuschreiben: Bei der Saharahitze, unter der die Stadt an diesem 30. Juni brütete, hätte man auf der Opernterrasse ein Spiegelei braten können.

Dass die Inszenierung von Adrian Noble repertoiretauglich ist, hat das kurzfristige Einspringen von Elena Guseva bewiesen – und an die Otello-untypischen Tropenhelme und Zylinderhüte wird man sich gewöhnen (müssen). Starke und ausdifferenziertere Sängerpersönlichkeiten werden in diesem Ambiente trotzdem reüssieren. Die Staatsopernsaison 2018/19 schloss mit einem rund sieben Minuten langen Schlussapplaus ihre Pforten. Der erlösende, abkühlende Wetterumschwung kam erst einen Tag später.