OTELLO
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Wiener Staatsoper
12. & 18. März 2018

Dirigent: Graeme Jenkins


Otello - Roberto Alagna
Jago - Dalibor Jenis
Cassio - Antonio Poli
Roderigo - Leonardo Navarro
Lodovico - Alexandru Moisiuc
Montano - Orhan Yildiz
Desdemona - Aleksandra Kurzak
Emilia - Ilseyar Khayrullova
Herold - Hacik Bayvertian
am 18. März: Ion Tibrea


„Spannender Verdi-Abend“
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat nach einem Jahr Giuseppe Verdis „Otello“ wieder in den Spielplan aufgenommen. Besonderes Interesse erweckten eine ganze Reihe an Wiener Rollendebüts – u. a. mit Roberto Alagna in der Titelpartie und Aleksandra Kurzak als Desdemona.

Die erste Szene begann gleich deftig: Graeme Jenkins am Pult und das Staatsopernorchester ließen die stürmische See lautstark aufbrodeln und beschallten zusammen mit dem Chor den Zuschauerraum. Das Unwetter wütete nahezu mit „elektrahafter“ Gewalt. Doch bald wurden leisere Töne angeschlagen und als die Cellomusik mit herzschmelzender Kammermusik zur großen Szene zwischen Desdemona und Otello überleitete, dann wusste man, dass einen eine zupackende, aber auch berührende Vorstellung erwarten würde – im Vergleich zu der von mir ebenfalls besuchten ersten Aufführung der Serie am 12. März noch einmal einen deutlichen Qualitätssprung versprechend.

Die Wiener Staatsoper spielt bekanntlich das Repertoire in Blöcken von meist drei oder vier Aufführungen – und es ist inzwischen fast schon ein ungeschriebenes Gesetz, dass es die erste dieser Vorstellungen meist noch nicht vermag, das künstlerische Potenzial voll auszuschöpfen. Und gerade in diesem Fall, mit vielen Rollendebüts, war der Unterschied deutlich spürbar. Roberto Alagna hat die Titelpartie zwar bereits seit einigen Jahre im Repertoire und mit ihr 2014 beim Festival von Orange debütiert, aber – laut Operabase.com – stand der Sprung auf eine der großen „klassische Opernbühnen“ noch aus. Aleksandra Kurzak, vor einigen Jahren in Wien noch eine gefeierte Regimentstochter, hat in der letzten Zeit der Veränderung ihrer Stimme Rechnung getragen und ihr Repertoire u. a. um die Desdemona erweitert – wie man in einem Interview in der aktuellen Publikumszeitschrift der Wiener Staatsoper nachlesen kann.

Bei Aleksandra Kurzak war denn auch das Steigerungspotenzial im Vergleich zur ersten Aufführung für mich am deutlichsten spürbar: Leichte Intonationsprobleme und eine gewisse Anspannung bei Spitzentönen sowie in den dramatischen Passagen (etwa des dritten Aktes) waren neben sehr schön gesungenen Piani und einem innig gesungenen vierten Akt gestanden und hatten insgesamt einen zu zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Ganz scheint Kurzak bei der Desdemona auch nach dieser dritten Vorstellung noch nicht angekommen, wobei der zweite und vor allem der dritte Akt ihrem Sopran weniger zu behagen scheinen. Auch wenn die Sängerin diesmal die Stimme auf Linie hielt und sie bei Spitzentönen sorgsamer handhabte, irgendwie blinzelte nach wie vor ein wenig die Regimentstochter aus ihrem Sopran, der, wäre er in der Tiefe und Mittellage etwas breiter gewachsen, gerade den expressiveren Momenten der Partie mehr Gewicht hätte verleihen können. Ihre großen Vorzüge konnte man etwa im Liebesduett des ersten Aktes genießen und manches Detail, wie das mit verführerisch-gläubiger Selbsthingabe gesungene „Amen rispondi“ im Schlussteil des ersten Aktes, gelang an beiden Abenden bezaubernd. Ebenso wusste der vierte Akt zu überzeugen: das trübtraurige Lied von der Weide, und das verzweifelt ausklingende Gebet, das im Publikum einen rührenden Schauer vor der unbegreiflichen Bedrohung hervorrief.

Roberto Alagna verortete dem Aussehen nach (mit Rastazöpfchen) die Figur mehr im Bereich karibischen Seeräubertums und weniger im mediterranen Umfeld afrikanischer Mauren. (Aber im Grunde genommen ist das egal, solange die Fremdheit des Charakters gegenüber der venezianischen Gesellschaft optisch herausgestrichen wird.) Alagnas Tenor ist immer auch ein Spielball von Tagesverfassungen, aber trotzdem scheint ihm der Otello viel besser zu liegen als der Manrico, den er 2017 in der Premierenserie des neuen Staatsopern-„Il trovatore“ verkörpert hat. Alagnas Stimme ist keine jener schwer baritonalen Kriegshelden, von Wetter, Wind und Pulverdampf gegerbt, deren „naive“ Vitalität und Brutalität einem schon aus dem Timbre „entgegendampft“. Alagnas Otello ist sehniger gebaut und kein Schwergewichtsweltmeister, er führt aber viel Metall in der Stimme und konnte damit einige herrliche Paraden anbringen.

In der ersten Aufführung war Alagna vor allem am Ende des zweiten Aktes zu starkem Forcieren genötigt gewesen, in der dritten Aufführung hatte ich nicht mehr Eindruck, dass er hier schon zu viel Energie in die „Materialschlacht“ mit Jago werfen musste. Doch ganz ohne „Materialschlacht“ geht es bei Alagnas Otello nicht ab, wobei in der dritten Vorstellung die Vorzüge solche Bedenken leicht hinwegzufegen vermochten. Ein Vorzug Alagnas ist zum Beispiel seine starke sängerische Komponente, die es ihm ermöglicht, auch als Otello „kantabel“ und differenziert zu agieren. Beeindruckend wurden von ihm „Otellos“ letzte Worte“ über die Rampe gebracht, solche Momente der emotionalen Erschütterung sind die Butter auf das gerade im Verdi-Repertoire oft zu karg bemessene „Opernbrot“. Allerdings könnte je nach Gusto der Gesamteindruck zurückgeblieben sein, dass dieser Otello zwar wirkungsvoll reüssiert hat, aber dass er in seiner gesamten Ausstrahlung in Summe etwas „schlank“ gebaut war.

Dalibor Jenis ist zuletzt 2015 an der Wiener Staatsoper aufgetreten und hat sich dem Wiener Publikum nun erstmals als Jago vorgestellt. Jenis hat die Partie seit einigen Jahren im Repertoire. Sein griffiger, nicht wirklich dunkler Bariton wusste die Partie mit psychologischem Raffinement umzusetzen (sehr gut war zum Beispiel die Traumerzählung „getimt“, in der man zu spüren schien, wie Jagos genau gewählte Worte Stück für Stück Otellos Denken vergiften) – allerdings blieb für mich Jenis den ganzen Abend über mehr Intrigant als „Dämon”. Entscheidend für diesen Eindruck war das „Credo“, bei dem er den Schluss ein wenig verschenkt hat, und Jagos Gott und die Welt herausfordernde „Philosophie“ in ihrer Ungeheuerlichkeit nicht so recht „monströs” spürbar wurde. So war denn dieser Jago ein überaus geschickter „Strippenzieher“, dem an entscheidenden Punkten und in der Tiefe aber ein bisschen die diabolische Durchsetzungskraft gefehlt hat. (Ursprünglich war noch Dmitri Hvorostovsky für diese vier „Otello“-Vorstellungen angesetzt gewesen, sein tragischer Tod im November 2017 hat eine Umbesetzung notwendig gemacht.) Als Cassio gab in dieser Aufführungsserie Antonio Poli, mit einer angenehmen lyrischen Tenorstimme ausgestattet sein gelungenes Staatsoperndebüt. Das übrige „Personal“ und der Chor entrichteten den ihnen gemäßen Anteil zur Zufriedenheit.

Die Inszenierung von Christine Mielitz vermochte auch in ihrer – laut Programmzettel – 42. Vorstellung (nicht nur bei mir) keine Begeisterung auszulösen. Wenn der Chor Cassio mit Pappbechern bewirft oder Otello Zeitung liest, dann wirkt das inzwischen so abgeschmackt wie die Wolkenprojektionen auf grauem Hintergrund. Auch der vierte Akt, der beste Teil dieser Produktion, hat inzwischen viel an szenischer Spannung verloren. Die offene Bühne mit dem „Boxring“ macht es zudem für die Mitwirkenden schwer, sie sind in der Gestaltung stark auf sich selbst angewiesen, können von diesem Bühnengrau kaum auf eine emotionale Wirkungsverstärkung hoffen.

Es war eine spannende Aufführung, von Grame Jenkins mit kompaktem, aber nicht grellem Klang, flüssig am Laufen gehalten, auch im Tempo nicht nur vorwärtstreibend wie am Beginn, sondern den großen Gefühlen und dem Bühnenpersonal Entfaltungsräume bereitstellend. Der Schlussapplaus dauerte sieben Minuten lang, und ist – gemessen am Bravo-Anteil – nach der dritten Vorstellung merklich stärker ausgefallen als nach der ersten Aufführung.