OTELLO
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Wiener Staatsoper
16. Februar 2017

Dirigent: Marco Armiliato


Otello - Kristian Benedikt
Jago - Carlos Àlvarez
Cassio - Jinxu Xiahou
Roderigo - Peter Jelosits
Lodovico - Alexandru Moisiuc
Montano - Orhan Yildiz
Desdemona - Olga Bezsmertna
Emilia - Monika Bohinec
Herold - Ion Tibrea


„Licht und Schatten“
(Dominik Troger)

Mit wesentlichen Umbesetzungen war die aktuelle „Otello“-Serie an der Wiener Staatsoper konfrontiert: Olga Bezsmertna übernahm die Desdemona von Veronique Gens und der Otello wurde von Peter Seiffert über Aleksandrs Antonenko an Kristian Benedikt „weitergereicht“.

Kristian Benedikt musste für die erste Vorstellung am 6. Februar sogar kurzfristig eingeflogen werden, um als Einspringer für den Einspringer den „Ritt über die Staatsopernbühne“ zu wagen. Benedikt schlug sich in dieser Vorstellung „tapfer“ wie man in der Tageszeitung Presse vom 8. Februar nachlesen konnte. Es wurden ihm einige „beachtliche Töne“ zugestanden, aber auch „manche Blessur“ wurde vermerkt.

Das Schicksal wollte es offenbar, dass Benedikt sein notgedrungenes Einspringen gleich auf alle vier Aufführungen „ausdehnen“ durfte. Der Sänger ist kein unerfahrener Otello. Er hat die Partie beispielsweise bereits 2013 in München und 2015 in Graz gesungen. Zu seinem Grazer Auftritt ist in der Kleinen Zeitung am 12. Februar 2015 online eine „Nachtkritik" erschienen in der Benedikt ein „baritonal grundierter Heldentenor" zugesprochen wird, „der seinen "Esultate!"-Auftritt nicht mit sieghaftem Glanz schmettert, sondern schon den gequälten Schmerzensmann erkennen lässt“. Er habe außerdem „enorme Durchschlagskraft" bewiesen und „dunkel glühende Töne von hoher Intensität" versprüht.

In diesem letzten der laufenden Serie und zugleich laut Programmzettel 39. Staatsopern-Otello in der Inszenierung von Christine Mielitz hat sich das für mich etwas anders angehört: ein Tenor mit wenig Volumen, der in der Mittellage eng und rau, ja manchmal fast kratzig klang (wie beim „Vien" im Finale des ersten Aktes). Die Stimme entwickelte kaum Glanz, erzielte ihre beste Wirkung in der kraftvoll attackierenden, aber für einen Otello zu schmalspurig auftragenden Höhe (an einem kleineren Haus ist die Wirkung sicher besser). Für schwelgerischen Ausdruck bot die Stimme kaum Ressourcen. (Insofern war es wenig überraschend, dass sich nach dem ersten Akt keine Hand zum Applaus rührte – trotz der betörenden Sinnlichkeit, mit der Olga Bezsmertna ihre Desdemona hat erglühen lassen.)

Als Bühnenerscheinung stellte er mehr den Kämpfer in den Vordergrund. Effektvoll warf er den goldener Handschuh, ein Erbstück der von Christine Mielitz Otello angedichteten Boxer-Karriere, Cassio vor die Füße – oder er insultierte Jago derart, dass dieser gleich stuntgemäß aus dem „Ring“ flog. Im vierten Akt erzielte Benedikt einigen Effekt, und der Schmerz Otellos und seine Verzweiflung waren schon zu spüren – und dieser Schmerz (siehe Kleine Zeitung oben) ist ja schon anlässlich seines Grazer Auftritts als (für meinen Geschmack wenig attraktiver) Bestandteil seiner stimmlichen Eigenart begriffen worden.

Olga Bezsmertnas Desdemona war eine bemerkenswerte Leistung. Ihr leicht dunkler Sopran trug nicht nur Engelsunschuld mit sich, sondern verlieh dem Engel eine zart knospende Leidenschaft: nicht nur Zärtlichkeit, sondern auch ein latentes Begehren in sich tragend. Bezsmertna gelangen gefühlvolle Piani, gehüllt in diesen umschleiernden Eros in dem Sinnlichkeit und Religiosität zusammenfinden. Dass mir das Vibrato einige Male zu stark aufwogte, sei angemerkt, weil es mir den klaren Seelenspiegel von Desdemonas Gemüt ein wenig trübte.

Carlos Álvarez hat in dieser Serie sein Wiener Jago-Debüt gegeben. Dieser Jago war mehr ein gewitzter „Fourageur“, der sich die besten Happen erplündert, während andere für ihn die Drecksarbeit machen: geschickt, heuchlerisch, Vertrauensseligkeit vortäuschend, ein psychologisch intuitiv agierender Intrigant. Dementsprechend geriet nicht das „Credo“ zum Höhepunkt, sondern die Erzählung von Cassios Traum, in der er Otello kunstgerecht und mit wendiger Stimme genüsslich sein böses Gift ins Ohr träufelte – während die rechte Hand im Schritt liegend, Otello gestisch deutlich anzeigte, was Cassio sich dabei gedacht haben könnte. Das war sehr überzeugend. Seine für das „Credo“ wohl zu weich timbrierter und zu wenig dramatisch fokussierter Bariton ließ in mir die Frage aufkommen, ob man diesen Jago nicht als negative Kehrseite eines Sulpice bezeichnen könnte?

Jinxu Xiahou sang einen guten Cassio, Monika Bohinez sorgte im Finale für die von Emilia geforderte Bühnenpräsenz. Der Rodgrigo von Peter Jelosits klang nicht gerade betörend. Der Chor sorgte bewährt für seinen Anteil. Das Orchester unter Marco Armiliato entfesselte am Beginn einen orchestralen Sturm und peitschte (etwas zu laut) die Spannung hoch. Die Balance zwischen Dramatik und Sensibilität lag bei Armiliato aber wieder in guten Händen, mit sinnlichen Streichern und genug Gestaltungsraum für die Sänger. Alvarez und vor allem Bezsmertna im vierten Akt wussten dies auch zu nützen. Das Publikum spendete sechs bis sieben Minuten langen Beifall.

PS: Falls es schon aufgefallen sein sollte: Die Schwingtüren zu den beiden ehemaligen Rauchersalons am Balkon sind seit einigen Wochen verschwunden. Wohin fragt der Stammgast? Standen dort früher nicht auch große Aschenbecher auf Kandelabern, die im mondänen Goldglanz der 1950er-Jahre erstrahlten? Rechtfertigt ein „Rauchverbot“ solche Eingriffe in die kunsthistorische Zeitzeugenschaft der Staatsopernarchitektur? Fragen über Fragen ...