OTELLO
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Verdi-Portal

Wiener Staatsoper
14. September 2013

Dirigent: Dan Ettinger


Otello - José Cura
Jago - Dmitri Hvorostovsky
Cassio - Marian Talaba
Roderigo - Jinxu Xiahou
Lodovico - Alexandru Moisiuc
Montano - Mihail Dogotari
Desdemona - Anja Harteros
Emilia - Monika Bohinec
Herold - Hiro Ijichi


„Machiavelli auf Zypern“
(Dominik Troger)

Nach zwei Wochen „La Traviata“, „Carmen“ und „Tosca“ wurde der Staatsopernspielplan jetzt um „Otello“ bereichert. José Cura trat nach zwölf Jahren wieder als venezianischer Feldherr vor das Staatsopernpublikum, Anja Harteros (Desdemona) und Dmitri Hvorostovsky (Jago) steuerten ihre Wiener Rollendebüts bei.

2001 hat José Cura einen noch recht jugendlich und ein wenig selbstverliebt wirkenden Titelhelden an der Staatsoper gegeben – 2013 zeigte sich sein Otello gereifter – was nicht nur graues Haar und Bart schon deutlich anzeigten. Cura zeichnete die Figur als etwas müden Krieger, ausgelaugt von der Schlacht, im ersten Akt offenbar getrieben von der Sehnsucht nach einem genussvollen „Feierabend“ in Desdemonas Armen. Sein Auftreten war überraschend unmilitärisch – ein Punkt, bei man schon darüber diskutieren könnte, wie weit Otello sich dieses militärische Gehabe nicht verinnerlicht haben müsste, macht es doch seinen gesellschaftlichen Status aus.

Vielleicht wurde deshalb von ihm das „Esultate!“ nicht so leuchtkräftig ausgereizt, sondern eher düster klingend zu Gehör gebracht, so als wollte sich der Held um den Jubel herumdrücken: Ein Otello, in dessen Seele schon die Schwermut nagt, der die Festung unterminiert, damit sie Jago dann schnell erobern kann? Aber wenn Otello nicht als der „siegreiche Löwe“ erscheint, dann macht er es Jago zu leicht, ihn zu fällen – und der Vorgang der Intrige stellt sich weniger facettenreich dar, als möglich. Insofern konnte sich Otello darstellerisch vor der Pause wenig profilieren – wobei die Inszenierung (eigentlich schon nach sieben Jahren im Repertoire ablösereif), deren karges Bühnenbild von einer Art „Boxring“ beherrscht wird, es den Sängerinnen und Sängern nicht leicht macht, Akzente zu setzen. Recht stimmig gelang die Liebeszene mit Desdemona im ersten Akt – und auch das „Si, per ciel marmoreo giuro!“ im Finale des zweiten hatte viel Feuer – Cura und Hvorostovsky ergänzten sich hier mit Leidenschaft. (Der Schlusston fiel allerdings etwas knapp aus.)

Im vierten Akt zeigte Cura einen Titelhelden, der weniger aus Eifersucht oder wegen eines überhitzen Ehrgefühls Desdemona ums Leben bringt – sondern vielleicht im Rahmen eines letzten, absurden Versuches, die Kommunikation mit diesem geliebten Menschen aufrechtzuerhalten: sinnlich strich er Desdemona noch durchs Haar, fast naiv fragend, ob sie schon gebetet habe – um dann mit traurigem Selbstverständnis zur Tat zu schreiten. Nach dem Aufdecken der Intrige traf ihn der Schmerz wie ein mit Widerhaken versehener Speer (und natürlich musste hier von Otello ein wenig geschluchzt werden), aber Cura fand zu einem sehr menschlichen Abschied, ohne Attitüden, in dem Otello, sich in seinen letzten Atemzügen noch nach den Küssen Desdemonas verzehrend, halb auf ihr halb neben ihr zu Boden sank. Cura fing mit seinem handfesten „Realismus“ die Dramatik und Leidenschaft dieser Momente zwingend ein. Sein leicht rauer und kräftig „naturalistisch“ geführter Tenor mischte zudem in dieses Bühnenleiden einen starken Schuss Testosteron – und das zündete – ähnlich wie bei seinem Canio – und riss das Publikum mit.

Anja Harteros Desdemona war nicht das „naive“, „engelsgleiche“ Geschöpf, das sich wie ein blasser Mond um die in Löwengelb erstrahlende Sonne Otellos dreht. Das traurigen Lied von der Weide, das Gebet, da loderte gezähmte Leidenschaft, und existentielle Furcht machte sich in einem kurzen erschütternden Aufschrei beim Abschied von Emilia Luft. Harteros Desdemona zeigte sich sensibel, aber nicht fragil, mehr fraulich, als mädchenhaft – und durchaus standes- und selbstbewusst. Sie sang schöne, satt gefärbte Piani, aber die Stimme klang insgesamt schon mehr „dramatisch“, manchmal etwas flackrig, in den Spitzentönen nicht scharf, aber schon etwas metallisch timbriert. Im Zusammenklang mit Cura – etwa im Liebesduett des ersten Aktes – ergab sich eine sinnliche und passende Abmischung.

Den „ersten Preis“ ersang sich an diesem Abend aber Dmitri Hvorostovsky: Jago als Machiavellist, der das gesanglich ausgefeilt dargebrachte „Credo“ als zynischer „Philosoph“ präsentierte, beim Nachdenken über Gott und die Welt fast schon in „Denkerpose“ verfallend. Insofern schien dieser Jago an Otello ein Exempel zu statuieren, ein Rationalist der Gefühle, ein glatter und analytischer Mephisto, ein Kalkulator des Bösen wie aus dem Hochglanzprospekt eines „Spin-Doctors“. Das war kein Jago seelischer Missgestalt, kein dämonischer Unterteufel, sondern das „Böse“ persönlich, in aller Aristokratie dem Feldherrn als Feldherr gegenübertretend. Hvorostovskys Bariton zeigte sich flexibel, mit festem Kern, durchschlagskräftigen Höhen und klangvoller Tiefe, immer zu Nuancen fähig, etwa in seinem Bericht vom träumenden Cassio: eine insgesamt vorzügliche Darbietung des russischen Sängers.

Der Cassio von Marian Talaba konnte da bei weitem nicht mithalten - und aus der übrigen Besetzung stach noch Monika Bohinec als Emilia heraus, mit starker Bühnenpräsenz, stimmlich im Finale aber schon ein bisschen angestrengt klingend.

Dan Ettinger dirigierte nicht seinen ersten „Otello“ am Haus, also wusste man schon, was einen erwarten würde: eine (zu) knallige, teils spannende und gut auf Höhepunkte abgestimmte Orchesterbegleitung, aber mir persönlich mit zu trockenem Klang und in den Details zu flach. Der Beginn des ersten Aktes flog einem förmlich „um die Ohren“, es besserte sich dann etwas.

Der Schlussapplaus dauerte rund zehn Minuten lang. Harteros, Cura und Hvorostovsky erhielten natürlich viel Applaus und viele Bravorufe, Cura auch einen Blumenstrauß.