OTELLO
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Verdi-Portal

Wiener Staatsoper
25.10.2006
Premiere


Dirigent:
Daniele Gatti

Inszenierung: Christine Mielitz
Ausstattung: Christian Floeren
Licht: Rudolf Fischer
Chorleitung: Ernst Dunshirn

Otello - Johan Botha
Desdemona - Krassimira Stoyanova
Jago - Falk Struckmann
Cassio - Marian Talaba
Emilia - Nadia Krasteva
Roderigo - Cosim Ifrim
Lodovico - Ain Anger

Montano - Vladimir Moroz
Ein Herold - Hacik Bayvertian

„Das Bühnenbild ist wie bei uns, da könnte man alles drin spielen.“
Zitat einer deutschen Besucherin, aufgeschnappt im Foyer.

***
„Sind das Sumo-Ringer?“
„Nein, hier geht es um Boxen.“
„Ich dachte, das spielt in Japan?!“

Gespräch zwischen mir und einem amerikanischen Besucher.
(Offenbar hatte er den Boxring und das Aussehen Otellos missdeutet.
Er war vom Orchester sehr angetan, von der Inszenierung hielt er ziemlich wenig.)

„Sportliche Neidgefühle“
(Dominik Troger)

Woran leidet Otello? Narzissmus und ein vermindertes Selbstwertgefühl als Schwarzer in einer weißen Gesellschaft gehen bei ihm Hand in Hand. Die Liebe Desdemonas gibt ihm Bewunderung und Rückhalt, sie ist der Akkumulator seines Glücks. Jago, der sich zurückgesetzt fühlt, erspürt Otellos Schwächen und zerstört ihn. So einfach ist das – oder doch nicht?

Es ist bezeichnend, dass in dem kurzen Interview mit Christine Mielitz, das im Staatsopernprogrammheft abgedruckt ist, von dieser sehr menschlichen Psychologie des „Otello“ kaum die Rede ist. Mielitz ereifert sich über die imperialen Machtansprüche Venedigs, den Missbrauch von Otello als „Kampfmaschine“ und sieht in Jago einen Menschen, der in dieser kriegerischen Umgebung nicht mehr an „Liebe, Gerechtigkeit und Harmonie“ glauben kann. Zitat: „Der plötzliche Sanftmut und die Liebe Otellos erscheinen ihm Heuchelei, die er vernichten will.“ Derart stilisiert wird Jagos perfider Neid zum Ausdruck einer systembedingten „Entmenschlichung“ – und was Shakespeare an Abgründen in der menschlichen Seele erforschte zum zwangsläufigen Produkt gesellschaftlicher Zustände. Der Konflikt, der im Inneren der Figuren rumort, wird derart nach außen gestülpt – und zu einem Boxkampf stilisiert, bei dem die rechte Gerade gegen das Kinn klotzt.

Das Resultat ist dementsprechend, die Zeichnung der Charaktere simpel, nahezu ohne Veränderung, vom Anfang bis zum Schluss. Das Geschehen tritt auf der Stelle, arbeitet sich in stereotypen Gesten ab, Runde für Runde, Akt für Akt. Jago (Falk Struckmann) sucht mit viel Energie den Infight, drängt Otello (Johan Botha) ein wenig in die Ecke ab. Aber an Botha ist nicht abzulesen, welche Runde man gerade gibt: starr hält er durch, die eiserne Maske der „Kampfmaschine“ beherrscht ihn ganz. Ein paar Schluchzer am Schluss sind das einzige Resultat seiner „menschlichen Leidenschaft“ – und die klingen verhalten, bei seinem kontrollierten, immer auf schöner Linienführung bedachten Gesang, fast frevelhaft.

Mielitz hat sonst immer eine gute Hand für Botha bewiesen, aber beim Otello ist die Ausgangslage ungleich schwieriger: man kann ihn weder ironisierend ins Rampenlicht rücken („Meistersinger“) noch auf seine natürliche Passivität vertrauen („Parsifal“) – er muss aus sich selbst heraus diesen psychischen Veränderungsprozess glaubhaft machen. (Als Zuseher wird man sich schwer mit der abstrakten Behauptung abfinden, dass „Venedig“ an allem schuld ist.) Dem arbeitet aber nicht nur der natürliche Charakter von Bothas Stimme entgegen, ist sie doch hell und zu strahlender Höhe fähig, in der Darstellung mehr dem ideellen und „göttlichen“ dienend, sondern auch seine sängerische Perfektion, die wie eine Schranke zwischen ihm und den verzweifelten Leidenschaftsausbrüchen eines Otellos zu stehen scheint.

Beim Design des Jago hat Mielitz ausgepackt, was die Regieschatulle für Opernbösewichte bereithält (eine dieser „billigen“ Szenen war auch die überdeutlich herausgestrichene „Blutsbrüderschaft“ zwischen Otello und Jago am Schluss des zweiten Aktes). Falk Struckmann ist natürlich ein herausragender Fighter, und er übte sein Handwerk mit der verbissenen Grobheit eines deutschen Landsknechts aus, der in venezianischen Diensten steht. Insofern passte der stilisierte Boxring, der einen von Anfang bis Ende als ödes Bühnenambiete „beglückte“, wie die Jago Faust aufs Otello Kinn. Boxer sind eben harte Kerle, die Finten, die da geboten werden, gröberer Natur.

Ganz anders Desdemona: Krassimira Stoyanova bringt im vierten Akt ein differenziertes Gefühlsleben auf die Bühne. Inniges Lied und Gebet, diese ungewisse Situation der Angst, werden schauspielerisch und gesanglich berührend umgesetzt. Bei Desdemonas Verletzlichkeit hat viel zu spät das Regierecycling von Mielitz endlich ihr Ende gefunden: mit sensibler Körpersprache und Behutsamkeit baut sie die finale Tragödie auf. Dabei bleibt Desdemona nicht nur passiv und in verdischem Sinne „engelhaft“, ein menschliches Schicksal wird greifbar, ein Aufbegehren und ein verzweifeltes Sich-fallen-lassen... Im vierten Akt zeigten sich endlich die Konturen einer szenischen Vision, die drei Akte lang im schwärzlichen Halbdunkel des Bühnenraums verborgen geblieben waren.

Das Bühnenbild wird – wie erwähnt – von einem Boxring beherrscht (ohne Seile, warum eigentlich?). Einige Beleuchtungseffekte versuchen Akzente zu setzen. Es gibt Projektionen im Hintergrund, die stark an den zweiten Aufzug der aktuellen „Tristan“-Produktion gemahnen. Vieles erinnert stilistisch an die Mielitz-Arbeit des „Fliegenden Holländer“, es gab da so manches Déjà-vu. Die dazu passenden Klamotten, das übliche schwarze Mantel/Kittel- und Stiefelambiente mit ein paar Verfeinerungen (goldener Box/Fecht-Handschuh für Otello) könnte man sich genauso von älteren Mielitz-Arbeiten ausgeliehen haben. Die Austauschbarkeit solcher Bühnenraum- und Kostümgestaltung bei Neuinszenierungen nimmt an der Staatsoper langsam erschreckende Züge an. (Die Financial Times tauchte auch wieder auf, diesmal blätterten Otello und Jago darin...)

Daniele Gatti scheint nicht viel von einem seelenabgründigen Kammerspiel gehalten zu haben – auch bei ihm wagnerte es, mit leicht trockenem, überhitzt spielendem Orchester, das gerne auch mal mit festem Deckweiß die sängerischen Farbtupfen übermalte. Drei Akte lang fehlte die Balance zwischen Vorwärtstreiben und jenem Innehalten, aus dem sich die eigentliche dramatische Energie gebiert. So blieb vieles Stückwerk und zog wie Treibgut an einem vorüber, brillant im Detail etwa das Liebesduett im ersten Aufzug oder Jagos schroffer Offenbarungseid. Im dritten Akt, beim „Concertato“, schien eine schreckliche Flaute eingesetzt zu haben, und ich hatte die Vision von starken Flottenverbänden, die mangels Wind mühsam in den zypriotischen Hafen rudern. Erst im vierten Akt schloss sich alles zu einem runden Bild. Das Orchester spielte vortrefflich, vertiefte sich ins Detail, wo es verlangt wurde, wäre wohl gerne noch viel stärker mit emotionaler Wärme dem sängerischen Atem gefolgt.

Die Publikumsreaktionen brachten ein starkes Für- und Wider bei Mielitz (aber keine wirklich breite Ablehnungsfront), sehr starker Applaus für Stoyanova und Struckmann, etwas weniger für Botha und Gatti, viel Applaus für den Chor, sehr objektiv freundliches Klatschen für die übrigen Beteiligten.