„Otello im Repertoire“
Nach
dem Open-Air-Konzert im Burggarten ist die Staatsoper wieder in ihre
angestammten Räumlichkeiten zurückgekehrt – und der Starglanz des
Vortages hat sich innerhalb von 24 Stunden ziemlich verflüchtigt.
Die aktuelle „Otello“-Serie präsentiert dem Wiener Publikum einen neuen Otello und eine neue Desdemona. Dazu gesellte sich Ludovic Tézier als
mehr „süffisanter“ denn abgrundtief „böser“ Jago, was den
nihilistischen Zuschnitt der Figur nach meinem Eindruck zu stark
verwässerte. Aber er hat den Jago inzwischen schon mehrmals in Wien
gesungen und sein Rollenbild war keine Überraschung. Téziers Bariton,
der auch seinen Platz im gestrigen Staraufgebot gefunden hätte, klang
an diesem Abend allerdings etwas „trocken“ und nicht so geschmeidig wie
mir erinnerlich – und vielleicht ist er nach längerer
kankheitsbedingter Auftrittspause noch dabei, zu seiner Bestform
zurückzufinden.
Der armenische Tenor Arsen Soghomonyan
gab sein Staatsopern-Debüt in der Titelpartie. Im Jänner im Haus am
Ring als Turridu eingesprungen, ein dreiviertel Jahr später Otello: So
macht man Karriere. Soghomonyan entpuppte sich allerdings als zu
hausbackener Anwalt von Verdis Shakespeare Vertonung – noch dazu mit
einem recht einfarbig timbrierten Organ bestückt, das zwar über ein
gute Höhe verfügte, die aber kaum zum Leuchten kam. Die glanzlose
Mittellage tönte wenig aufmerksamkeitsheischend, die schauspielerischen
Qualitäten waren begrenzt. Sein etwas einstudiert wirkendes Pathos
füllte sich nicht mit einer menschlichen Wärme auf, die einen als
Zuschauer besonders berührt hätte. Das Resultat war
einigermaßen respektabel, aber wenig fesselnd.
Malin Byströms Desdemona
war schon von Ansätzen eines „veristischen” Aufbegehrens durchdrungen,
das zum „Schwarz-Weiß-Antagonismus“ des Werkes (Jago vs. Desdemona)
nicht so recht passen wollte. Zudem sparte ihr Sopran an sich ebenmäßig
verinnerlichenden Piani, weshalb etwa das Lied von der Weide oder das
Gebet in eine leicht expressive „Beunruhigung“ getaucht wurden. Das
Einschwingen auf Desdemonas Lyrik im ersten Akt bedurfte schon eines
gewissen „Aufwands“, die Stimme kontrolliert zu halten, was dann auch
zu deutlich ihren weiteren Vortrag bestimmte. Dergleichen, sowie manch
heikler Tonansatz, störten den Gesamteindruck, und ließen die Vermutung
aufkommen, dass die Sängerin als Desdemona nicht ideal eingesetzt war.
Cassio (Carlos Osuna) kam darstellerisch besser zur Wirkung als gesanglich – und wenn sich Emilia (Daria Sushkova) im Finale ansprechend Gehör verschafft, hat sie im Wesentlichen ihre Aufgabe erfüllt. Dan Paul Dumitrescu
gab einen sehr geruhsamen venezianischen Gesandten und passte damit ins
Gesamtbild dieser Inszenierung von Adrian Noble, die statt eines
venezianischen Zypern ein bereits etwas museal anmutendes britisches
Kolonialreich zitiert.
Am Beginn traten Orchester und Chor wieder zum Laustärkenwettbewerb an und der Sturm fegte markerschütternd durchs Haus. Bertrand de Billy am
Pult hatte wieder die musikalischen Kanten geschärft und für eine
orchestral recht forsche Gangart gesorgt, die die Aufführung zumindest
phasenweise emotional zu befeuern vermochte. Der Schlussapplaus für
diese auf mich mehr „zweckmäßig“ als begeisternd wirkende Vorstellung
dauerte rund fünf Minuten.
PS:
Die Toiletten am bühnenseitigen Ende des Marmorsaals wurden im Sommer
umgebaut und modernisiert. Zumindest die Herrentoilette wurde dabei
verkleinert, eine der drei Kabinen eingespart.