OTELLO
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Verdi-Portal

Wiener Staatsoper
16.5.2024


Dirigent: Giampaolo Bisanti


Otello - Andreas Schager
Jago - Igor Golovatenko
Cassio - Alessandro Liberatore
Roderigo - Carlos Osuna
Lodovico - Stephano Park
Montano - Leonardo Neiva
Desdemona - Nicole Car
Emilia - Margaret Plummer
Herold - Ion Tibrea


„Furor der Eifersucht

Der Otello lockt Heldentenöre wie Siegfried der loheumwaberte Brünnhildenfelsen. Jetzt macht Andreas Schager an der Wiener Staatsoper einen „Ausflug“ zu Verdi. Mit Windstärke 12 tost Otellos Eifersuchtsorkan durchs Haus.

Wenn Andreas Schager den Sprung von den „Nordlanden“ ins venezianische Zypern wagt, wird er erwartungsgemäß den Wagner-Helden schwer verleugnen können. Zulange schon sammelt er seine Siegfriede und Tristane, als dass sein Tenor sich in diesem Fach nicht bereits „verfestigt“ hätte. Noch dazu singt Schager mit viel Freude am Totaleinsatz, überzeugt mit Durchhaltevermögen und Lautstärke. Die feinsinnigeren Gefühlsäußerungen der italienischen Oper haben es unter diesen Voraussetzungen schwer, würde man sich doch auch bei einem Otello etwas mehr an tenoraler Fülle, Geschmeidigkeit und Stil erhofft haben.

Im Gesamteindruck lebt seine Darbietung von beeindruckenden Spitzentönen, von Zornausbrüchen, die wie ein Gewitter aufziehen und sich entladen, die Stimme in der Attacke leicht grell getönt und teils von langwelligem Vibrato begleitet. Schager stellt sich der Herausforderung ohne Rücksicht auf Verluste. Im Finale des zweiten Aktes gehen zwei, drei Töne daneben, aber das ist nur ein „Kollateralschaden“ auf dem Siedepunkt tenoraler Rachegefühle. Jago muss bei diesem reizbaren Zeitgenossen keine dicken Bretter bohren, um ihn zu vernichten. Eine psychologische Entwicklung des Bühnencharakters ist kaum auszumachen und durch die Inszenierung von Adrian Noble wird diese etwas schablonenhafte „Otello-Aneignung“ eher noch verstärkt.

Vor vier Jahren hat mit Stephen Gould ein ähnliches Heldentenorkaliber in dieser Produktion den Otello gegeben (auch nicht auf Mohr geschminkt), hat aber nach meinem Eindruck die Zeichnung des Charakters als naiv-bigotten Menschen schlüssiger getroffen. Insofern hatte Gould mehr anzubieten als den reinen Furor der Eifersucht, dem Schager in dieser Aufführung ein bisschen „überdeutlich“ verfallen ist.

Igor Golovatenko blieb mit seinem ansprechenden Bariton als Jago ein zu ungefährlicher Gegenspieler: war vor allem ein Offizier, der sich zurückgesetzt fühlt. Die von der Figur bemühte Kreativität des Bösen und ihre philosophischen Überlegungen im „Credo“ beschworen keinen „gänsehauterzeugenden“ Nihilismus. Nicole Cars große Stunde schlug im vierten Akt, von Schagers stimmlicher Otello-Präsenz enthoben, erklangen Weidelied und Gebet Desdemonas mit gebotener, das Publikum rührender Schicksalsergebenheit. Im dritten Akt ließ sie  selbstbewusst Otellos Demütigung über sich entgehen, die innere Verzweiflung und Abscheu über die erzwungene Erniedrigung hat sie überzeugend vermittelt, blasser gerieten der erste und der zweite Akt. Gegenüber den Genannten und dem übrigen Ensemble fiel nur der Cassio von Alessandro Liberatore im Verhältnis zur Bedeutung seiner Partie deutlich ab.

Am Pult entfachte Giampaolo Bisanto einen mächtigen Sturm am Beginn der Oper, aber was folgte war kaum mehr als eine routiniert abgespulte Repertoirevorstellung. Der Applaus war nach fünf Minuten vorbei und auch die Bravorufe hielten sich in Grenzen.

Die Inszenierung verlegt die Handlung ins britische Empire, was nicht so recht überzeugt, aber zumindest das kerzenerhellte Schlussbild erfüllt Desdemonas Klagen mit optischer Wärme und Melancholie. Die letzte der drei Vorstellungen folgt am Pfingstmontag. Nächste Saison ist kein „Otello“ angesetzt.