OTELLO
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Wiener Staatsoper
28. Oktober 2023


Dirigent: Alexander Soddy


Otello - Jonas Kaufmann
Jago - Ludovic Tézier
Cassio - Bekhzod Davronov
Roderigo - Ted Black
Lodovico - Ilja Kazakov
Montano - Leonardo Neiva
Desdemona - Rachel Willis-Sørensen
Emilia - Szlivia Vörös
Herold - Ferdinand Pfeiffer


„Otello bei Vollmond“
(Dominik Troger)

Nach der Vorstellung wurde das Publikum von einer partiellen Mondfinsternis begrüßt, einer sehr „schmächtigen“ zwar, aber immerhin. Die Luft war klar, der Erdtrabant glänzte in weißsilbrigem Licht, und ein kleines Stück Finsternis nagte an ihm wie die Eifersucht an Otellos krieggestählter Seele.

Mit solchen astronomischen Spektakeln ist eine Aufführung an der Wiener Staatsoper natürlich nicht zu vergleichen, selbst dann, wenn ein Sänger auf der Bühne steht, der unter den Opernstars unserer Epoche zu den leuchtenden „Fixsternen“ gezählt wird. Und beim Wiener Rollendebüt von Jonas Kaufmann als von Eifersucht zerfressenem venezianischem Feldherrn handelt es sich demgemäß um einen ganz wichtigen „Fixsternpunkt“ im Spielplan der aktuellen Staatsopernsaison. Vier Vorstellungen sind angesetzt, das Wiener Rollendebüt des Sängers ist bereits am Mittwoch über die Bühne gegangen, nachstehend wird von der zweiten Vorstellung berichtet.

Jonas Kaufmann scheint sich eine Interpretation des Otello angeeignet zu haben, die gängige Erwartungshaltungen unterläuft. Den löwengleichen Kämpfer hat Kaufmann unter einer tiefen Schichte an Selbstzweifeln begraben. Der Feldherr, zu dem Desdemona aufschauen sollte, ist bereits im ersten Akt ein von Kampf und Leben traumatisierter Mann, der in den Armen seiner Geliebten vor allem seelischen Trost zu suchen scheint. Aber die Deformierung von Otellos schlachtenerprobter und am militärischen Ehrenkodex ausgerichteter Persönlichkeit bedarf in dieser Sichtweise eigentlich keiner minutiös geplanten Intrige mehr.

Natürlich hat sich Kaufmann dieses „Konzept“ sehr gut zurecht gelegt, wusste er in Schlüsselmomenten wie dem Finale des zweiten Aktes mitzureißen – oder am Schluss der Oper mit einem schluchzendgestammelten „Desdemona“ zu berühren. Das Publikum spürte sehr genau die ganze Tragik eines verpfuschten Menschenlebens. Aber hat es sich bei diesem bitteren Ende auch an Otellos verlorenen Ruhm und an seine verlorene Ehre erinnert? Kaufmanns Otello tötet sich aus Verzweiflung, nicht um seine Biographie mit einem konsequenten „Statement“ abzuschließen. Damit fehlt letztlich die theatralische Überhöhung, die diesem Bühnencharakter seine „unsterbliche“ Beispielhaftigkeit verleiht.

Demgemäß erwies sich der erste Akt als der große Schwachpunkt von Kaufmanns Otello-Interpretation: Otellos legeres Auftreten, sein quasi „Schutzsuchen“ in den Armen Desdemonas minderte seine Autorität und machtbewusste Lebensgewandtheit mit der er das Kriegsvolk einschüchtern und leiten müsste, mit der er Desdemona in Venedig durch das Erzählen seiner Abenteuer einst für sich entflammt hat. Damit fehlte der Aufführung aber die Grundspannung dramaturgischer Notwendigkeit. Jago bohrte an einem zu dünnen Brett und die schicksalshafte Fallhöhe von Otellos Charakter blieb ausgespart.

Kaufmanns Stimme hält allerdings nicht diesen hellen Spintostahl bereit, mit dem sie zum Beispiel ein sieghaftes „Esultate!“ erstrahlen lassen könnte. Es erklang zwar kraftvoll, aber mehr mit der „Breitseite“ seines dunkelfülligen Tenors abgefeuert und segelte ein wenig träge ins Auditorium, ohne dabei so aufzuglühen wie es noch vor einigen Jahren wahrscheinlich der Fall gewesen wäre. Insgesamt schien mir die Stimme nach den vom Sänger in der Öffentlichkeit kommunizierten gesundheitlichen Herausforderungen der letzten Monate noch nicht ganz erfrischt und etwas glanzlos im Timbre. Bei aller Differenziertheit im Einsatz seiner Stimmmittel (so manches auf mich manieriert wirkendes, resonanzarmes Piano eingeschlossen) blieb der Gesamteindruck wegen der aufgezeigten Gründe dann doch zu „weichgespült" und eindimensional.

Ludovic Tézier ist der abgrundtiefe Nihilismus des Jago fremd, das Böse ist ihm noch nicht zur Ideologie geworden, und er scheint sich der Intrige mit spielerischem Amüsement zu stellen. Das „Credo“ wird ihm zu einem spöttisch unterlegten Monolog, die Erzählung von Cassios Traum zur köstlich ausgezierten Heuchelei. Sein Jago könnte als Figur einem Roman von Honoré de Balzac entsprungen sein (um im Kulturkreis des französischen Baritons zu bleiben) und gehört in seiner Ausformung noch einer romantischen Epoche an. Dieses Rollenbild passt sehr gut zu Téziers Bariton, der von ihm nobel und differenziert geführt wird, und der auch genug Kraftreserven bereithält, um der Partie gerecht zu werden.

Wie Ludovic Tézier den Jago so hat Rachel Willis-Sørensen die Desdemona bereits vor zwei Jahren an der Staatsoper gesungen. Ihr kräftiger, leicht metallischer Sopran besitzt ein für die Rolle passendes Timbre und immer noch genug Innigkeit und Gestaltungsgabe für den vierten Akt. Unschuldige Opferdemut hat sie keine hervorgerufen, insofern war ihre Desdemona weniger Engel, sondern mehr stattliche, selbstbestimmte Bürgersfrau (ein Eindruck, den diese in Summe ziemlich unbedeutende Inszenierung von Adrian Noble verstärkt, die die Handlung im britischen Empire des 19. Jahrhunderts ansiedelt).

Die übrigen Mitwirkenden waren gut gewählt und so ergab sich eine ansprechende Ensembleleistung, etwa der Cassio von Bekhzod Davronov als militärischer „Schöngeist“ oder Szilvia Vörös als im Finale kraftvoll Otellos Wahn entlarvende Emilia. Alexander Soddy am Pult gestaltete den Abend mit gutem Tempo und mit Gefühl für Details, im Klang etwas trocken und grell. Der Sturm am Beginn wurde wirklich zum Sturm und der Chor schonte sich nicht, was den Lautstärkepegel Richtung Schmerzgrenze trieb. Die Liebesszene im ersten Akt hätte mehr Schmelz gut vertragen, das Intrigenspiel Jagos wiederum spiegelte sich passend in manch ironischem Orchesterkommentar.

Das Publikum spendete fünfzehn Minuten langen Schlussapplaus – gegen Ende schon ausgedünnt und von Fangrüppchen wach gehalten, aber immerhin. Ein Fixstern bleibt eben ein Fixstern – um noch einmal der eingängigen Metapher wegen in astronomischen Sphären zu wandeln.