OTELLO
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Wiener Staatsoper
26. September 2021


Dirigent: Bertrand de Billy


Otello - Gregory Kunde
Jago - Ludovic Tézier
Cassio - Freddie De Tommaso
Roderigo - Carlos Osuna
Lodovico - Artyom Wasnetsov
Montano - Attila Mokus
Desdemona - Rachel Willis-Sørensen
Emilia - Monika Bohinec
Herold - Ion Tibrea


„Im Auge des Orkans“
(Dominik Troger)

Gewaltig tobte der Sturm und die Meeresgischt spritzte aus dem Orchestergraben bis auf die Galerie. Orchester und Chor legten sich so ins Zeug, als müssten sie sich gegen Windstärke 12 behaupten. Wird die venezianische Flotte von den tosenden Urgewalten verschlungen werden? Natürlich nicht. Schon dringt das strahlende „Esulate“ wie die Sonne durch Gewitterdunst.

Die forsche Gangart des Staatsopernorchesters unter der Stabführung von Bertrand de Billy war eine Grundkonstante dieser zweiten Aufführung der aktuellen „Otello“-Serie im Haus am Ring. Diese Aufführungsserie kann mit einigen spannenden Rollendebüts aufwarten: Gergory Kunde als Otello, Ludovic Tézier als Jago, Rachel Willis-Sørensen als Desdemona, Freddie De Tommaso als Cassio.

Viele Tenöre wird es derzeit nicht geben, die den Otello von Verdi und den von Rossini gesungen haben. Gergory Kunde ist inzwischen eindeutig bei der Version von Giuseppe Verdi angekommen. Er legte sich am Beginn mächtig ins Zeug: ein strahlender Feldherr, der von der Heerfahrt zurückkehrt, Feinde und Naturgewalten haben ihm nichts anhaben können, er ist sich seines Glückes gewiss. Kunde hat die stärksten Momente dort, wo die Stimme attackieren kann: ein metallisch-funkelnder, hell gefärbter Tenor, der in den ruhigeren Passagen etwas verflacht und dem da und dort – etwa im Liebesduett des ersten Aktes – eine etwas breitere Mittellage gut anstehen würde. Kunde hat bereits eine erstaunlich lange Bühnenlaufbahn hinter sich, und der Verdi-Otello ist für ihn die gelungene Krönung dieser Karriere.

Weniger überzeugt hat mich das darstellerische Porträt des eifersuchtgequälten Mannes, wobei die Inszenierung dem jeweiligen Sänger der Titelpartie nicht weiter hilft. Mohr darf Otello nach der aktuellen Mode keiner mehr sein, aber was ist er dann? Regisseur Adrian Noble ist nichts „Adäquateres“ eingefallen, als Otello in ein langes helles, kleidartiges Gewand zu stecken. Otello wird dadurch optisch in seiner soziokulturellen Differenz vom venezianischen Background der Handlung nicht mehr deutlich genug markiert. Und Gregory Kunde hatte nach meinem Eindruck keine wirkungsvolle Antwort parat. Vielleicht zielte er auf ein gestörtes „Ego“ ab, auf die Diskrepanz zwischen hierarchisch strukturiertem Krieger und sozialer Beziehungsunfähigkeit. Desdemona soll gehorchen, muss gehorchen, je mehr er in Zorn gerät. Ihr Todesurteil erwächst aus seinem überspannten Militarismus und Ehrbegriff.

Es ist möglicherweise das Charakteristikum dieser Aufführungsserie, dass Bertrand de Billy im Orchestergraben schroff nach Abgründen und Gegensätzen forscht, die sich auf der Bühne dem Publikum aber nur mehr abgemildert darbieten. Ludovic Tézier etwa präsentierte das „Credo“ fast ein wenig „süffisant“ und war bei der glänzend vorgetragenen Traumerzählung ganz „Mephistopheles“. Fast könnte man meinen, dass sich dieser Jago beim Ränkeschmieden amüsiert. Tézier sang mit dem Adel eines Posa, ohne dem Jago einen zupackenden nihilistischen Zuschnitt zu verpassen. Das nahm die Schärfe aus der Darstellung, auch wenn es sehr den Ohren des Publikums schmeichelte.

Rachel Willis-Sørensen sang die Desdemona mit leicht „abgeblättertem“, leicht metallischem Sopran, der in Summe einen guten Eindruck hinterließ, im vierten Akt auch zu feinfühliger Innigkeit fand. Die Stimme hat das Timbre für eine Desdemona, aber sie ist schon eine Spur zu schwer, als dass sie noch eine engelsgleiche Unschuld heraufbeschwören könnte. Ihr haftete etwas Irdisches an, eine Art von „Bürgerlichkeit“, die der Partie ein wenig von ihrem naiven, unerschüttlichen Nimbus nahm mit dem Desdemona Otello treu bleibt. Der Cassio ist eine Partie, die Freddie De Tommaso derzeit angemessen ist – und auch sonst hielt sich das Ensemble auf gutem Niveau. Das Orchester hätte es neben dem zupackenden Zugriff im Klang etwas Schwelgerischer geben können.

Das Publikum spendete starken Beifall, rund acht Minuten lang. Der Versuch von einigen Besuchern, nach dem „Credo“ einen Zwischenapplaus anzubringen, wurde vom Dirigenten übergangen. Sogar der „Stehplatz“ (derzeit mit Sesseln bestückt) dürfte ziemlich gut besucht gewesen sein. Langsam stellt sich im Haus zudem wieder touristische Unruhe ein – und man denkt an Zeiten zurück, wo der Sitzplatz neben einem aufgrund gesundheitsbehördlicher Auflagen leer geblieben ist. So hat eben alles im Leben seine Vor- und Nachteile.