OTELLO
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Otello
- Stephen Gould |
Im Juni 2019 hat die Wiener Staatsoper dem Publikum eine Neuproduktion des Verdi’schen „Otello“ präsentiert. Jetzt steht das Werk wieder auf dem Spielplan. Nachfolgende Eindrücke beziehen sich auf die dritte der vier angesetzten Vorstellungen. Stephen Gould hat sich mit dieser Aufführungsserie dem Wiener Publikum erstmals als Otello vorgestellt – sozusagen ein Siegfried, den es vom Rhein ans Mittelmeer verschlagen hat. Der Sänger stellt als Siegfried und als Otello sehr geradlinige Charaktere auf die Bühne, die nie gelernt haben (symbolisch gemeint und nicht moralisch wertend) mit den Grauzonen zwischen „Weiß“ und „Schwarz“ umzugehen. Gould sang den Otello ungeschminkt, sein graues Haar und das helle soutanenähnliche Kostüm gaben der Figur eine patriarchalische Würde, aber in der Seele war dieser Otello bigott und naiv wie ein Kind. Und so wie Siegfried durch Hagen gefällt wird, fällt auch dieser Otello durch die Intrige. Vor diesem Hintergrund steigerte sich Goulds etwas ungeschlachter Otello nicht in den theatralischen Furor südländischer Leidenschaft, sondern die verzweifelten Zornesausbrüche waren mehr der Ausdruck einer aus dem Gleichgewicht geratenen „Natur“. Sein mächtiger Tenor vermittelte die Kraft des Heroen, gepaart mit einer schlichten, fast ehrfürchtigen Liebe zu Desdemona. Dass ihm an diesem Abend beim „Esultate“ ein Ton schwer daneben ging, färbte zum Glück nicht weiter auf den Verlauf der Vorstellung ab. Alles in allem war es trotzdem eine bemerkenswerte Leistung, viele Jahre als gefeierter Wagnersänger haben Goulds Tenor kaum Substanz gekostet. Krassimira Stoyanova hat bereits im Jahr 2006 ihre erste Wiener Desdemona gesungen und ist in dieser Partie nach wie vor eine Klasse für sich. Ihr Sopran ist seither zwar ein bisschen metallischer und „dramatischer“ geworden, was aber seine Vorzüge nicht beeinträchtigt. Die Sängerin hat die Stimme nach wie vor fest im Griff. Sie besitzt aufblühenden Piani, klare, stressfreie Spitzentöne und die Fähigkeit zu differenziertem lyrischen Ausdruck. Der mächtige Kriegsheld und die feminine, aber konsequente und sich nicht als Opferlamm auf dem Tablett weiblicher Unterwerfung präsentierende Stoyanova ergaben schon im Liebesduett des ersten Aktes ein stimmiges Paar. Von beklemmender Spannung getragen war die Szene im dritten Akt, wenn Otello Desdemona vor dem Gesandten demütigt. Die Krönung des Abends war aber der vierte Akt, in dem Desdemona feinfühlig in Gesang und Gebet engelsgleiche Tröstung suchte – ehe sie Otello angesichtig Momente kreatürlicher Angst empfand. Carlos Álvarez war der dritte im Bunde. Sein Jago ist kein „Dämon“, sondern Mensch, den nicht nur die Aussicht auf einen guten Posten, sondern auch die Lust an der Intrige treibt. Die Stärken des Sängers liegen deshalb nicht beim „Credo“, dass kaum „Weltuntergangsstimmung“ verbreitete, sondern zum Beispiel beim genussvollen Ausmalen von Cassios Traum, den Álvarez mit dem ganzen Können eines perfekten Ränkeschmiedes präsentierte. In der Lautstärke konnte er mit Gould allerdings nicht mithalten, aber mit seinem berechnenden, genussvoll zelebrierten Zynismus brachte er unterstützt von einem Taschentuch trotzdem einen „Riesen“ zu Fall. Ein Jago ist schließlich nicht aus dem Holz eines Hagen geschnitzt. Jinxu Xiahou war ein guter Cassio, Ryan Speedo Green ein schon sehr raubeiniger Lodovico, Bongiwe Nakani eine im Finale präsente Emilia. Über das Orchester unter Jonathan Darlington sind keine Jubelhymnen anzustimmen, es war phasenweise (viel) zu laut, der Klang recht spröde, die Feinabstimmung nicht immer ideal. Die noch so junge Inszenierung von Adrian Noble ist kein „Geniestreich“ und hinterließ schon bei der Premiere einen „altbackenen“ Eindruck, erzählt aber im Wesentlichen das Stück. Unter dem Druck der gegenwärtigen Theaterverhältnisse möchte man deshalb gar nicht weiter daran herummäkeln – vor allem wenn man zwei Tage zuvor die Staatsopern-Premiere der Erstfassung des „Fidelio“ hat erleiden dürfen. Der starke Schlussapplaus währte rund sechs Minuten lang. |