NABUCCO
Aktuelle Spielpläne & Tipps
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Zurück

Wiener Staatsoper
31.05. 2001
Erstaufführung an der Wiener Staatsoper

Dirigent:Fabio Luisi
Inszenierung: Günter Krämer
Bühne: Manfred Voss, Petra Buchholz
Kostüme:Falk Bauer
Choreinstudierung: Ernst Dunshirn

Nabucco - Leo Nucci
Ismaele - Miro Dvorsky
Zaccaria - Giacomo Prestia
Abigaille - Maria Guleghina
Fenena - Marina Domashenko
Oberpriester - Goran Simic
Abdallo - Walter Pauritsch
Anna - Renate Pitscheider


Wenig erfreulich

(Dominik Troger)

Zeitgeistigkeit ist bei 160 Jahre alten Opern halt schwer anzubringen. Das Publikum weiß das, die Regisseure wissen es nicht. Wenn erstere letzeren ihr Mißfallen also schon auf fast gehässige Art und Weise zum Ausdruck bringen, kein Wunder.

Die Geduld ist schon ziemlich erschöpft. Nach der statuarischen Nicht-Inszenierung des "Roberto Devereux", geriet der "Nabucco" zu einem intellektuellen Vexierspielchen, das dem Betrachter leider nicht einmal einen lustvollen Voyeurismus an der intellektuellen Selbstbefriedigung des Ressigeurs ermöglichte. Nabucco? Was da inszeniert wurde, war nicht erkennbar: eine puppenspielartige Einlage im langsamen Teil der Ouvertüre, deren Funktion völlig rätselhaft blieb; ein Chor, der Kulisse spielte; ein Bariton in einem "parteiblauen" Anzug; eine seltsame, durchsichtige Truhe im Vordergrund (eventuell die Bundeslade???), einige spärliche Requisiten auf einem ausgebleichten Perserteppich.

Man ist ja versucht dem Direktor des Hauses zu gratulieren, dass er es schafft, dem offiziösen Sparauftrag an sein Institut derart gerecht zu werden, dass man die Choristen schon als Bühnenprospekte verwendet! Aber da wird man sich auch fragen müssen, ob man aus der Oper nicht ein zweites Konzerthaus macht, und damit auch immense Personalkosten spart, weil alles nur noch konzertant gegeben wird. In Anbetracht dieser Nabucco-Premiere, wäre das aber wirklich eine Option! Es schützte uns endlich vor den mühsamen, aus immer denselben Fingern gesogenen Aktualisierungsversuchen von Werken, die 160 Jahre alt sind und die damals wirklich nur deshalb geschrieben wurden, um zu unterhalten (oh, pfui!) und ein wenig die abgestumpften Nervenenden der Hautevolee zu kitzeln.

Nabucco? Ja natürlich, das ist so eine biblische Story, die vielleicht auch ein wenig zu Tränen gerührt haben mag. Nabucco? Ja, das ist diese Oper mit der italienischen Unabhängigkeitsbewegung als Umwegrentabilität, und dem Chor, dem berühmten. Folgt man dem, was Günter Krämer auf die Bühne gestellt hat, wird man aber nie auch nur erahnen können, worum es bei Nabucco wirklich geht. Auffallend sind die Parallelen zu Krämers Inszenierung von Luigi Nono's "Intolleranza", dass man vor vierzehn Tagen im Theater an der Wien als Festwochen Gastspiel zu sehen bekam. Krämer setzte da wie dort projizierte Schriften ein (im Nabucco natürlich hebräisches Alphabet), die dann über die bühnenweite Projektionswand sich auflösend herabregnen - wie es seit Jahren bei Bildschirmschonern für Computer funktioniert. Bei allen, die "Intolleranza" gesehen haben, hat das schon ein beinahe peinliches Aha-Erlebnis ausgelöst, wobei aber gesagt werden muss, dass der erzielte Effekt mit hebräischen Buchstaben ein besserer ist. (Deshalb kam er im Nabucco auch gleich zweimal zu Ehren.) Dazu kam dieses Transferieren des Stückes in die (inzwischen nicht mehr ganz so) zeitlose Modernität des 20. Jahrhunderts, was beim Nono zahnlos, aber passend geriet, und beim Nabucco einfach in der absoluten Inkongruenz zwischen Werk und theatralischer Umsetzung endete. (Zumal auch der letzte mögliche Rettungsanker, eine fesselnde Personenregie, versagte.)

Und jener berühmte Chor, der wird zuerst einmal im Liegen gesungen, ehe sich nach und nach die Choristen zu voller Größe erheben. Nun macht das schon einen schönen Effekt, gibt dem Ganzen zu Beginn einen ätherischen Glanz, weil der Chor - der übrigens an diesem Abend vorzüglich war! - im Dunkelblau der Bühne kaum wahrzunehmen ist. Aber dann, aufgestanden, halten die Choristen plötzlich große Schwarzweiß-Fotografien in ihren Händen, die zur Rampe getragen und niedergelegt werden - und niemand weiß, warum.

Später - als die Chordamen in jungmädchenhafter Freude handgefasst im großen Kreis um die männlichen Choristen hüpften, singende Balletteusen, die Ringelreia tanzten - meldete sich ein Zwischenrufer von der Galerie, um das bis dahin Gesehene unter dem Begriff "Kindergarten" zu subsummieren. Treffend oder nicht - die Stimmung im Haus war gespannt, ohne Zweifel, und das Regieteam musste sich schlussendlich beim Solovorhang eine zornentbrannte Missfallenskundgebung abholen. Und dieses Missfallen war kein Resultat spitzfindiger Provokation, sondern die Antwort auf ein erschreckend hilfloses Herumvernüfteln, dessen Modernisierungsneurose im inszenatorischen Nirwana endete. Ja, und wenn dann der Zwischenvorhang einmal im Sängernacken, statt daneben landete, dann war das auch für die gesamte künstlerische Ausbeute des Abends symptomatisch.

Aber Schwamm drüber, ist man geneigt zu resümieren. Den Nabucco spielte man zuletzt 1849 (!) an der Hofoper, und danach gab es nur mehr zwei Produktionen an der Volksoper (1957 und 1992). Im vorigen Sommer lockte der Steinbruch im burgenländischen St. Margarethen die Opernfans aus Wien mit Nabucco - und das dortige Spektakel sorgte für ein volles Haus. In der Staatsoper hingegen wird der Nabucco einem trübseligen Repertoirealltag entgegengehen...

Die musikalische Umsetzung war auch nicht vom Feinsten - Fabio Luisi brauchte fast den ganzen ersten Teil, um wirklich Verdi zu spielen. Die Ouvertüre wurde im Stil eines Rossini musiziert, was ungewohnt war, und die Gier nach jugendlich-hitzigem Verdi nur noch steigerte. (Ach ja, die Attila-Premiere im Dezember 1980, die wird lebenslang ein Maßstab dafür sein, wie mitreißend junge Verdi-Opern klingen können. Aber die Erinnerung daran ist ja inzwischen zu einem Nachruf geworden, denn damals stand Guiseppe Sinopoli am Pult, und damals wühlte er noch so richtig in der Partitur.) Luisi bekam das Werk'l dann doch auf die Bahn und ließ schwungvoll und pragmatisch musizieren. Klangberauschend war es nicht, und nur im Repertoire wäre man mit dieser Darbietung hochzufrieden gewesen.

Die trennscheibenscharfen Höhen der Maria Guleghina (Abigaille) teilten das Publikum schnell in zwei Lager, die sich dann auch heftig mit Bravo und Buh duellierten. Frau Guleghina hat eine sehr unkultivierte Stimme, das darf man so sicher schreiben, ohne dafür gleich gelyncht zu werden. Koloraturen sind kaum vorhanden, dafür eine imposante Lautstärke. Kraftvolle Spitzentöne neigen zu einer metallischen Schärfe, die schon mehr als unangenehm ist. Man wird aber nicht umhinkönnen, ihr Bühnenpräsenz und jenes diva-angehauchte Auftreten zuzugestehen, das sozusagen von selbst eine gewisse Fangemeinde erzeugt. Es überrascht nur, eine solche Sängerin in tragender Rolle auf dem Premierenzettel der Wiener Staatsoper zu finden.

Leo Nucci war als Nabucco ein totsicherer Tip, aber sein bester Abend war das trotzdem nicht. Man vermisste die Attacke, jenen dramatischen Impact, mit dem der junge Verdi so gerne seinen "Schöngesang" verbrämt hat - und aus dem sich der eigentlich dramatische Effekt speist. Wird das nicht nachvollzogen, beginnt es rasch ein wenig langweilig zu werden. Nucci geriet da schon in ein bedenkliches Fahrwasser.

Positiv aufhorchen durfte man noch beim Zaccaria von Giacomo Prestia; ansonsten herrschte biedere Anständigkeit auf der Bühne (etwa Miro Dvorsky als Ismaele), die man in einem allgemein befriedigenden Umfeld gerne in Kauf genommen hätte, die so aber das Niveau des Abends weiter nach unten drücken musste.

Bleibt nur, am Schluss noch einmal den Chor zu würdigen, der, und das merkte man, in dem Nabucco eine Prestigeangelegenheit sah, die auch wirklich mit viel Bravour gelöst wurde. Dankbar wird man sich noch lange an die schon fast manieristische Ausgestaltung des "Va pensiero..." im dritten Akt erinnern. Das alleine war diese Aufführung wert.

"Der Rest ist gediegene deutsche Wertarbeit im guten wie im schlechten Sinn: Die Theaterjuden führen die inzwischen schon etwas abgegriffenen Insignien flüchtender Ostjuden aus dem historischen Ausstattungsfundus des 20. Jahrhunderts mit sich: zerschlissene Koffer, abgewetzte Kinderwagen, Hut und schwarze Kleider mit Gilet und Krawatte. Mit Beharrlichkeit werden hebräische Buchstaben auf den durchsichtigen Zwischenvorhang projiziert und an passender Stelle per Computervirus zum Absturz gebracht. Und nach dem «Va pensiero» legt der Chor Porträtbilder an der Rampe ab, auf denen man unter anderen Freud und Schönberg zu erkennen glaubt." Derek Weber, Neue Zürcher Zeitung, 2.6. 2001

Denn die Besetzung, die aufgeboten ist, den familiären Teil von Verdis Volks- und Familiendrama zu gestalten, wird den Anforderungen des Komponisten in keinem Moment gerecht. Selbst Publikumsliebling Leo Nucci bleibt bedauernswert unplastisch, blaß auch dort, wo das Schicksal den König der Babylonier noch gar nicht geschlagen hat und er im Vollbesitz seiner Kräfte diktatorische Gewalt ausüben sollte. Das liegt gewiß an der jämmerlich versagenden Personenführung von Regisseur Günter Krämer, dem es nicht einmal ansatzweise gelingt, Schicksale nachzuerzählen oder Charaktere von handelnden Personen sinnlich nachvollziehbar werden zu lassen." Und über Maria Guleghina: "Allzu steif, unflexibel und verkrampft klingen ihre Bemühungen um die Charakterisierung der bösen Abigaille. Dermaßen schlampig exekutierte, verschliffene Koloraturen, mit letzter Kraft herausgepreßte Höhen und fahle Tiefen sind mit Primadonnengehabe nicht annähernd zu kompensieren." Wilhelm Sinkovicz, Die Presse, 2.6.2001

"Nabucco"-Premiere in Wien gemischt aufgenommen Günter Kremer ausgebuht" titelte die Internet-Ausgabe des Kölner Stadtanzeiger am 1.6. 2001. "Während Leo Nucci in der Hauptrolle und Dirigent Fabio Luisi vom Publikum gefeiert wurden, bedachte das Publikum die Inszenierung durch Günter Kremer, der auf eine aufwendige Ausstattung verzichtet hatte, mit Buhrufen."

"Das p.t. Publikum spielte mit. Es nahm Stellung. Es ließ sich mit szenischen Kleinigkeiten provozieren. Es reagierte deutlich auf versungene Töne. Es brannte darauf, sich nach der Premiere in zwei Parteien zu spalten. Recht so, nichts Schlimmeres kann es geben, als einen leidenschaftslos angenommenen Verdi." Franz Endler im Kurier vom 2.6.2001

"Berlusconi oder nicht Berlusconi?", fragten sich viele im Publikum. Denn da trat Starbariton Leo Nucci als Despot Nabucco in der Maske des italienischen Medienzaren auf. Berechnend, smart, in einem strahlend blauen Anzug, im eleganten Mantel mit Pelzkragen. Doch das war nicht das einzige Detail, das in Krämers Regie für Aufsehen und zuletzt ein Buhkonzert sorgte. Krämer beschert mit seinem Ausstatterteam Manfred Voss, Petra Buchholz und Falk Bauer Theater der Sparsamkeit: (...)" Karlheinz Roschitz, Neue Kronen Zeitung vom 2.6.2001

"Nabucco" näherte sich der Dirigent wie ein Koch mit hochgekrempelten Ärmeln, der Angst davor hat, dass sein Essen womöglich nicht italienisch genug schmecken könnte - und deshalb zur Sicherheit eine ganze Hand voll Oregano in den brodelnden Topf wirft. Alles auch nur irgendwie Dramatische wird schnell und schneller gespielt, der Wiener Philharmoniker-Klang schnurrt zusammen wie Schweinefleisch in der Pfanne, bis nur noch die etwas schrillen Karussell-Höhen übrig sind, wie sie Verdi wohl weiland bei der Banda von Busseto vorgefunden hat. Im Gegenzug drohen alle kontemplativen Einschübe - und die gibt es genug - im Nichts zu versanden, weil Luisi sich mit der genauen Rezeptur nicht aufhalten wollte. Die Führung von Sängern und Chören ist bestenfalls angedeutet und beruht ansonsten auf der Haltung "Atme - wenn Du kannst". Ulrich Amling, Berliner Tagesspiegel 6.6. 2001