MACBETH
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Theater an der Wien
11. November 2016

Premiere

Dirigent: Bertrand de Billy
Inszenierung: Roland Geyer
Ausstattung: Johannes Leiacker
Licht: Bertrand Killy
Video: David Haneke
Choreographie: Peter Karolyi

Macbeth - Roberto Frontali
Banco - Stefan Kocan
Lady Macbeth - Adina Aaron
Kammerfrau - Natalia Kawalek
Macduff - Arturo Chacón-Cruz
Malcolm - Julian Heneao Gonzalez
Sicario, Medico - Andreas Jankowitsch
Ecate - Magdalena Bönisch, Irina Mocnik
Duncano - Anton Zabsky
Fleanzio - Fabian Rihl
Una ragazza - Leonie Brandel


Macbeth an der Wien
(Dominik Troger)

Im Theater an der Wien ist die Shakespeare-Opernsaison beim blutrünstigen „Macbeth“ angekommen. Der Direktor des Hauses selbst stieg als Regisseur in den Ring. Vor einem Jahr hat Roland Geyer dem „Hans Heiling“ zu einem respektablen Bühnenleben verholfen – beim „Macbeth“ lief es weniger gut.

Die Handlung sollte eigentlich als bekannt vorausgesetzt werden, aber wenn die Inhaltsangabe im Programmheft kundtut, Macbeth und Banco würden in einem Nachtclub (!!) mit ihrer Begleitung den Sieg in einem Krieg feiern, dann ist das doch etwas gewagt. Offenbar wird immer mehr dazu übergegangen, dem Publikum die Inszenierung als Handlung des Stücks zu verkaufen. Aber es geht noch weiter (Zitat): „Im Rahmen einer Varieténummer wird Macbeth geweissagt, dass ihm eine steile politische Karriere bevorstünde (...)“. Schülerinnen und Schüler, die dieses Programmheft für ein Referat zu Rate ziehen möchten (um sich das Lesen des Librettos zu ersparen) und naiver Weise glauben, sich auf die dort abgedruckte Inhaltsangabe verlassen zu können, seien also vorgewarnt: Bei Shakespeare heißt die Szenenbeschreibung der ersten Szene lapidar „A desert place“ und bei Verdi spielt die Szene in einem Wald (La scena rappresenta un bosco“) und die Hexen treten mit Donner und Blitz auf.

Eigentlich ist es mühsam, wenn die Beschreibung eines Opernabends dahingehend ausartet, dass man – polemisch formuliert – dem Regisseur das Stück erst erklären muss, damit er dann die Kritik versteht. Denn sonst würde sich der Kritiker ja gleich dem Verdacht aussetzen, dass er selbst keine Ahnung davon hat, was man mit dem Stück nicht inszenatorisch alles anstellen könnte. Selbiges würde sich aber rasch zu einer Seminararbeit auswachsen – und dafür ist wahrscheinlich nicht nur dem Schreiber dieser Zeilen die Zeit zu schade, sondern auch den hoffentlich geneigten Leserinnen und Lesern dieser Anmerkungen.

Mit dem Einfordern einer korrekten Inhaltsangabe im Programmheft ist freilich nicht die Absicht verknüpft, den Regisseur auf selbige festlegen zu wollen. Aber wenn die Regie sich genötigt fühlt, ihre Interpretation klammheimlich schon als Wille des Komponisten und Librettisten auszugeben, dann könnte auch der Verdacht nahe liegen, man wolle gewissen Diskussionen von vornherein aus dem Wege gehen. Dass damit das künstlerische Spannungsverhältnis zwischen Partiturwillen und theatralischer Umsetzung untergraben wird, sollte jedenfalls beachtet werden. Der schale Beigeschmack solcher Vorgangsweisen ist aber beträchtlich.

Auch wenn Regisseure für Inszenierungen die Schauplätze der Handlung und die Handlungszeit verlegen, so sollte doch der ursächliche „Gehalt“ einer Szene gewahrt bleiben. Die Hexen als Varietégirls auftreten zu lassen, ihnen zwar den Bart zu geben, den Banco an ihnen sieht, aber sie aus ihrer selbstbestimmten, naturmystischen Umgebung herauszulösen und zu fremdbestimmten Unterhaltungssubjekten (!) einer voyeuristischen Soldatenelite zu machen, ist eigentlich absurd. Mit der dramaturgischen „Vernichtung“ der Hexen in der ersten Szene hat die Regie sich gleich eines starken Protagonisten entledigt – und es verwundert insofern nicht, dass die zweite große Hexenszene nach der Pause das Publikum plötzlich in ein ganz anders Ambiente entführt hat. Dort entsprangen sie (und diese Idee ist auch nicht gerade sehr neu) den Träumen des Macbeth. Aber hier hat die Inszenierung einen beeindruckenden Rahmen gefunden, um die mythologische Tiefe der Prophezeiung, des Hexentreibens und des blutiggewaltigen „Macbeth“-Stoffes an sich darzustellen: Die Projektion von animierten Figuren aus Gemälden von Hieronymus Bosch. Auch wenn Roland Geyer eine weitere Figur, eine nackte Frau, der Bilderwelt des Hieronymus Bosch entlehnt hat, die als stumme Person etwa in der Bankettszene auftritt und von Macbeth erwürgt wird, so blieb diese Idee letztlich zu isoliert und zu schwer durchschaubar, um das in Summe szenisch sehr abgeschmackt wirkende Gesamtdesign der Produktion zu aufzubessern.

Zur Introduktion zeigte sich die Lady mit einem Rattenkäfig und einem Totenkopf. Im Rattenkäfig turnten zwei aufgeregte Tiere. (Bei Ratten handelt es sich um gehörsensible Geschöpfe, denen die unter Bertrand de Billy martialisch aufspielenden Wiener Symphoniker hoffentlich nicht unnötigen Stress verursacht haben. Und wer es ganz genau wissen will: Laut Programmheft heißen die beiden Ratten Dolly Buster und Norah Jones.) In der Schlafwandlerszene fischte die Lady zwei „tote“ Plüschratten aus einem alten Kinderwagen. Lady und Macbeth als Ratten im Käfig?

Aber das zentrale Bühnenelement war ein Zylinder, der sich auch meterhoch in die Höhe schrauben konnte. Auf diesem Zylinder, der vorher noch mit einem Thron ausgerüstet worden war, sollte die Lady Macbeth von ihrem Gatten zum Beispiel einer sexuellen Stimulation (Cu***li**us genannt) unterzogen werden. Der Lady lieh Adina Aaron einen wohlgeformten Körper, da wurde Macbeth schon warm ums Herz. Macbeth selbst war ein zögernder Haudegen, der Hexen quasi beraubt, stand er ganz der Lady zu Gebote, und der eben erwähnte Sexualakt sollte wollte andeuten, dass Macbeth „keine Eier hat“?! Macbeth war schon bei der Briefszene auf der Bühne (die jetzt natürlich keine Briefszene mehr war) – die Lady musste nach ihrem Exitus in der Schlafwandlerszene (in der sie mit dem bereits erwähnten Kinderwagen mehrmals den ebenfalls bereits erwähnten „Zylinder“ umkreisen durfte) bis zum Schluss die Rampe beliegen. Im Finale schleppte sich der tödlich getroffene Macbeth noch zu ihr, um sie an sie zu kuscheln. So stirbt es sich rührend im Kino.

Den Hintergrund bildeten meist rote Vorhänge, das biedere „Varietéglück“ des Macbeth anzeigend, eine kahler Baumstamm gesellte sich später hinzu, der „Wald“ von Birnam sozusagen, mächtig, und mehr an eine „Walküre“ gemahnend. Die Platzierung der Mörder Bancos auf dunkler Bühne wäre durchaus gelungen, hätte der Sohn Bancos nicht plötzlich begonnen, wie ein Schulbub zur Jause an einer Semmel zu nagen. Den Eindruck, dass die Inszenierung stilistisch uneinheitlich und in der Konzeption unausgegoren durch ein zeitlich irgendwo im 20. Jahrhundert angesiedeltes, und nur vage verortetes Schottland geisterte, wurde ich den ganzen Abend nicht los. Gespielt wurde die Fassung von 1865.

Adina Aaron „firmiert“ als Spinto-Sopran, aber es handelt sich möglicherweise wieder um einen „übertrainierten“ lyrischen Sopran, der zumindest die „Power“ für die Lady mit viel Forcieren herbeizuzwingen vermochte, was dann auch die Attacke etwas hart und die Koloratur ungeschmeidig werden ließ. Das mag in kleineren Häusern eine Zeitlang gut gehen. Die Stimme klang im Timbre durchaus apart, die Mittellage hätte noch breiter „auftragen“ können. Roberto Frontali präsentierte sich als verlässlicher Macbeth mit etwas körnigem, nicht gerade geschmeidig timbrierten Bariton, aber mit genug Kraft und Stimmsubstanz für diese Partie (zumindest im Theater an der Wien). Frontalis Macbeth überzeugte mit soldatischer Geradlinigkeit, für die Darstellung der Skrupel einer diffizilen Psyche und eine weicher gestimmten Emotionalität schien mir sein Bariton doch zu eindimensional ausgeprägt.

Stefan Kocan sang den Banco mit „schwarzem“, kernigem Bass. Vielleicht würde man sich bei Verdi eine Spur „Samtauflage“ wünschen und einen etwas differenzierteren Ausdruck. Arturo Chacón-Cruz entledigte sich der Macduff-Arie zur Zufriedenheit des Publikums, ohne aber dabei besonders Raffinement zu zeigen. Julian Heneao Gonzalez hatte als Malcolm mit seinem lyrischen Tenor „Durchsetzungsprobleme“. Der Arnold Schönberg Chor reüssierte als Hexen und als Krieger. Musikalisch gab Bertrand de Billy nicht nur sprichwörtlich den Takt an: grell blies einem Verdis Musik um die Ohren, rasch und straff exekutiert. Für die sehnsuchtsvoll-leidenden Momente dieser Tragödie fehlten das Empfinden, die Wärme im Klang und die federnde Spannkraft.

Acht Minuten lang dauerte der Schlussapplaus, der aber in seinem Enthusiasmus an den gewohnten Premieren-Zustimmungspegel des Theaters an der Wien nicht heranreichte. Die Buhrufe gegen den Direktor alias Regisseur waren doch recht deutlich zu hören – und es gab kaum Bravorufer, die für ihn votierten. Aber wartet nicht ohnehin schon alles auf Placido Domingo, der in dieser Serie die titelgebende Partie ebenfalls drei Mal verkörpern wird?