MACBETH
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Wiener Staatsoper
4.10.2015

Premiere

Dirigent: Alain Altinoglu

Inszenierung: Christian Räth
Ausstattung: Gary McCann
Licht: Mark McCullough
Video: Nina Dunn

Macbeth - George Petean
Banquo - Ferruccio Furlanetto
Lady Macbeth - Tatjana Serjan
Kammerfrau - Donna Ellen
Macduff - Jorge de Leon
Malcolm - Jinxu Xiahou
Spion - Jongmin Park
Fleance - Ivan Beaufils
Stimmen der Erscheinungen -
Konrad Huber, Secil Ilker, Bernhard Sengstschmid


Macbeth im Bunker
(Dominik Troger)

Gerade mal sechs Jahre sind seit der letzten „Macbeth“-Premiere an der Wiener Staatsoper vergangen. Die damalige Produktion überlebte nur die Premierenserie und wurde nach sechs Vorstellungen abgesetzt. Ein Schicksal, dass dieser Neuinszenierung nicht drohen wird.

2009 hat „Macbeth“ in der Regie von Vera Nemirova für einen im Publikum hitzig diskutierten Premierenabend gesorgt. Die Duschszene zwischen Lady Macbeth und ihrem Gemahl ist Legende. Das Schaumbad für König Duncan, der widerspenstige Kinderwagen als Waffenversteck oder die Hexen mit ihren balletteusen Aerobicübungen waren auch nicht ohne Provokationspotential. Aber das ist Geschichte. Der neue Staatsopern-„Macbeth“ in der Inszenierung von Christian Räth bietet das Gegenteil davon: Dieser „Macbeth“ hat sich dermaßen „eingebunkert“, dass einem vor lauter Solidität schon fast langweilig werden konnte.

Die Szene zeigt bedrohliche Betonwände, die sich fugenlos und mächtig auf der Bühne wuchten. Macbeth und seine Lady leben in ihrem Schatten – ein „Dritter-Welt-Putschistengeneral“ mit seiner Frau. Beide wurden von Räth der „Banalität“ des Bösen anheim gestellt. Da rieb sich wenig zwischen der Lady und ihrem Gemahl und beide wiederum rieben sich wenig an den großen menschlichen Fragen dieses Stücks: an den Fragen nach der Schuld und nach dem freien Willen. Und der Anspruch des shakespearschen Menschendramas verlor sich zwischen einer etwas bieder ihre erotischen Qualitäten zur Schau stellenden Lady und einem Macbeth, den man schnell als zu konturlos und zu schwach empfinden konnte.

Die Hexen hat Räth in das Unterbewusstsein von Macbeth verbannt – was aber nur punktuell deutlich wurde, etwa wenn sie im dritten Akt das Schlafzimmer des offensichtlich träumenden Macbeth mit einem „Aufmarsch“ an Königen fluten. Die in weißer Unterwäsche auftretenden Knaben landeten alle in des Feldherrn Bett. Die Regiearbeit von Räth wirkte auf mich risikolos, sie enthielt sich aber auch – dankenswerter Weise – jener szenischer Lächerlichkeiten, die zeitgenössische Regisseure den Opernbesuchern so gerne unterjubeln. Sie wirkte in vielen Szenen allerdings „flach“, wie aus einem „Lehrbuch“ entwickelt. Das kann in einem Repertoirehaus wie der Wiener Staatsoper sogar ein Vorteil sein. Aber es liegt dann stark an den Sängerinnen und Sängern aus ihren Partien mehr zu machen – aus sich selbst dieses Maß an Expressivität zu entwickeln, ohne dem diese Oper schmeckt wie eine zu wenig gesalzene Speise.

In wenigen Szenen ging Räth über die „Konvention“ hinaus. Sehr guten Eindruck machte die riesige Scheibe einer verfinsterten Sonne, die den Hintergrund der Hexenszenen düster „illuminierte“. Neuartig (und leider nicht konsequent zu Ende geführt) waren die Strich-Bäumchen, die zuerst von den vertriebenen Schotten auf die Betonwände des Bunkers gezeichnet wurden und dann sogar ein kurzes, leuchtend projiziertes Eigenleben gewannen. Sie hätten im Schlussbild zu einem modernen Leben erweckt einen ganz neuen und verblüffenden Wald von Birnam abgegeben, der bekanntlich laut der Prophezeiung der Hexen in die Schlacht zieht. Räth hat das Finale – es wurde die Pariserfassung mit dem Schlusschor gespielt – dahingehend verändert, dass Macbeth nicht im Kampf fällt, sondern vom Volk, das den Bunker stürmt, gemeuchelt wird. Dieses Gemetzel war zwar gut choreographiert, aber die Pointe mit dem Wald ging verloren. Gelungen war auch die Bankett-Szene, in der es zwar kein Bankett gab (und zuerst alle etwas konzertmäßig herumstanden), Banquo sich dann aber als Schatten Macbeth bemerkbar machte, der darob schwer in Verzweiflung geriet.

Ein großer Schwachpunkt der Inszenierung ist der erste Auftritt der Lady, die sich hier in Standardgesten flüchtet und große Gefahr läuft, die Wirkung der prächtig mitreißenden Kavatine zwischen öden Betonmauern zu verschenken. Über die Nachtwandlerszene kann man geteilter Meinung sein. Ich persönlich fand sie vom Charakter falsch dargestellt, die Lady viel zu aktiv, fast hysterisch: eine Lucia di Lammermoor, aber keine Frau in Agonie, die wie eine Geistererscheinung über die Bühne gleitet.

Tatjana Serjan hatte keinen guten Start, aber nach dem ersten, kritischen Spitzenton konsolidierte sich die Stimme und sie kam mit der Partie prinzipiell gut zurecht. Doch ihr Sopran klang mir insgesamt schon etwas „ausgeblutet“ – stabil in der Mittellage, in der Höhe dünner und angespannt, und dort wurde dann in einen „Kraftmodus“ gewechselt. Wenn ich mir persönlich eine expressiv-dämonische Lady wünsche, die ihre meuchelmörderische Lust wie mit blutigen Dolchen locker in das Auditorium schleudert, dann war Serjan dafür nicht die richtige Besetzung. Ein wichtiger Gradmesser ist der Zwischenapplaus, weil er ehrlicher ist und spontaner als der Schlussjubel. Wenn man nach der schon angesprochenen Kavatine der Lady die Bravorufer an einer Hand abzählen kann, dann wars wohl nicht so toll. Der Nachtwandlerszene war – wie schon angemerkt – falsch konzipiert. Die Lady befindet sich in dieser Szene bereits im „Auge des Orkans“ sprich in den Fängen des Todes. Exaltiertheit oder Hysterie sind hier Fehl am Platz.

George Petean hat sich kurzfristig nach der Absage von Ludovic Tezier die Rolle des Macbeth erarbeitet. Petean bestach durch schönen Verdigesang, der im wesentlichen seine sängerischen Ressourcen nicht überstrapazieren musste – dem aber auch nicht so viele Ressourcen zur Verfügung standen, um an den entscheidenden Momenten noch eine „Gang“ zuzulegen. Sein Bariton ist etwas weich timbriert, vielleicht für den Macbeth auch eine Spur zu hell getönt. Macbeth ist doch ein Feldherr, und er müsste in der gesanglichen Ausgestaltung farbenreicher zu Werke gehen. Die Regie hat zudem die Nachgiebigkeit von Macbeth unterstrichen, seine Ängste, seine Verwirrung, und ihm nicht einmal einen heroischen Tod gegönnt. Verdi hat im Sänger des Macbeth zudem einen exzellenten Schauspieler gefordert – denn die Aufgabe diese Rolle zu gestalten ist schwer: Erscheint Macbeth nur als Werkzeug der Lady und teilt er nicht aktiv ihren Ehrgeiz, wird die Geschichte schnell einseitig. Die Arie im vierten Akt gelang Petean gepflegt und einfühlsam. Neben Banquos Arie (Ferruccio Furlanetto) waren das für mich die musikalisch gelungensten Minuten des Abends.

Ferruccio Furlanetto war als Banquo mehr Nebenfigur – sein Auftritt mit Aktenköfferchen vor der Ermordung – szenisch nicht sehr „griffig“ gelöst. Der dramaturgische Kontext kam bei Furlanettos Arie nicht recht heraus, aber er hat schön gesungen. Bleibt noch die undankbare „Hauptrolle“ des Macduff zu erwähnen, der in Jorge de Leon einen etwas ungeschlachten Tenor fand, der mit breitwelligem Vibrato durch die bekannte Arie manövrierte und sich die Höhen erstemmte.

Lust auf viel mehr machten zwei Nebenrollen: Jongmin Park, Spion, der früher oder später sicher als schwarzgründiger Banquo antreten wird; und Jinxu Xiahou als Malcolm, der Macduff die „Schneid“ abgekauft hat. Die stimmliche Inhomogenität des Damenchores – wie schon zum „Holländer“ angemerkt (Spinnstube) – war in einigen Passagen wieder deutlich zu hören (etwa erste Hexenszene und Chor im vierten Akt).

Mit dem Dirigat von Alain Altinoglu konnte ich mich wenig anfreunden. Neben zu lauten und knalligen Aktschlüssen gab es lange Passagen, in denen das Orchester mehr in düsterer Stimmungsmalerei verharrte, anstatt zügig und mit pointiertem Effekt auf das Vorwärtstreiben der Handlung zu setzen. Der federnde Rhythmus des jungen Verdi blieb erdenschwer und die zugespitzte musikalische Charakteristik verlor sich oft in Details, ohne dass das Orchester aber eine leicht durchhörbare kammermusikalische Durchdringung der Partitur geleistet hätte. So steckte dieser Abend ein wenig in einer schwermütigeren Romantik fest, die optisch unterstützt von den schweren Bunkerwänden auf der Bühne den schnellgehenden, beinahe „expressionistischen Atem“ dieser Tragödie gedämpft hat. Der Schlussjubel war einhellig, blieb nach meinem Dafürhalten aber unter der „Enthusiasmusgrenze“.

Fazit: Für den künstlerischen Anspruch der Wiener Staatsoper ist eine gute, unspektakuläre Repertoireaufführung als Premiere schon ein bisschen „minimalistisch“ konzipiert.