MACBETH
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Wiener Staatsoper
21.12.09



Dirigent: Guillermo García Calvo

Inszenierung: Vera Nemirova
Ausstattung: Johannes Leiacker
Licht: Manfred Voss
Choreinstudierung: Thomas Lang

Macbeth - Simon Keenlyside
Banquo - Stefan Kocán
Lady Macbeth - Erika Sunnegårdh
Kammerfrau - Donna Ellen
Macduff - Dimitri Pittas
Malcolm - Gergely Németi
Diener - Ion Tibrea
Arzt - Alfred Šramek
Mörder - Dragoljub Bajic
Herold - Hermann Thyringer


Lady Macbeth wieder mit Kinderwagen!
(Dominik Troger)

Es wäre unfair gewesen, den neuen Staatsopern-„Macbeth“ nur nach der Premiere zu beurteilen. Vor allem den Sängerinnen und Sängern musste die eisige Atmosphäre im Haus plus der nervlichen Anspannung schwer auf der Kehle liegen. Die fünfte Aufführung der Premierenserie zeigte allerdings kein wesentlich verändertes Bild.

Es beginnt schon mit diesen Hexen, die mit ihren weißen Bademänteln und Handtuchturbanen, mit ihren schwarzen Unterkleidern, mit ihren zickigen Bewegungen und dieser peinlichen Krawattenvernichtung, ein dramaturgisch ganz wichtiges Element der Lächerlichkeit preisgeben.

Es scheint wichtig, hier einmal Verdi selbst zu befragen, der in einem Brief anlässlich der Pariser Neufassung des „Macbeth“ von 1865 die Rolle des Hexenchores besonders herausgestrichen hat. Er schreibt: „Die Hexen beherrschen das Drama; alles kommt von ihnen; sie sind grob und geschwätzig im ersten Akt, erhaben und prophetisch im dritten. Sie sind eine eigene Figur, und zwar eine von allergrößter Bedeutung.“ (1)

Nun versagt in diesem Punkt diese Neuinszenierung völlig, weil sie die Hexen viel zu inhomogen und flapsig agieren lässt. Sie vermitteln den Charme eines Rudels aufgescheuchter Hühner statt eines ernst zu nehmenden „personalen Kollektivs“, das einen geheimnisvollen, schicksalsfadenknüpfenden Widerpart zu Macbeth abgibt. Das „Ballett“ am Beginn des dritten Aktes verstärkt diesen Eindruck noch. Hier hätte man wirklich „Ballett“ tanzen sollen, für das die Musik auch komponiert wurde. Die durchwachsene Tanzpantomime, die stattdessen aufgeführt wird, verstärkt nur die Spannungslosigkeit und wirkte bei dieser „Reprise“ noch langatmiger und nichtssagender als in der Premiere. Das Publikum schien dabei wie gelähmt und nahe daran einzuschlafen. Nicht einmal die läppischen „Aerobikübungen“ erzeugten noch eine Reaktion. Auf die Clownnasen und Luftballons der Mörder im zweiten Akt hatte ein „Witzbold“ aus dem Stehparterre immerhin noch mit lautem „Haha“ geantwortet und ein paar Lacher evoziert...

Im Sinne der Dramaturgie des Werkes ist auch die Zeichnung der Lady völlig verfehlt: man muss nur die Musik hören, die sie charakterisiert, um festzustellen, welche starken Energien von dieser Frau ausgehen. Schon am Beginn des zweiten Bildes wird sie von einer verhaltenen Spannung beherrscht, die sich immer wieder in kraftvollen Ausbrüchen entlädt. Zugleich braucht es für diese Rolle eine tragfähige Mittellage und eine gewisse „untergründliche“ Tiefe, aus der gleichsam Erotisch-triebhaftes herauswachsen kann.

Die Lady hat einen starken Zug ins „Dämonische“ – und es kann natürlich sein, dass einen das Frauenbild, das sich dahinter verbirgt, nicht gefällt. Dann sollte man aber die Finger davon lassen. Es bringt auch wenig, wenn man die Rolle mit zu leichter Stimme besetzt, um „emanzipatorisch“ nachzuhelfen, weil man als aufmerksamer Zuhörer die Diskrepanz zu den von Verdi intendierten Ausdrucksmöglichkeiten als schmerzhaftes Manko empfindet. So hatte ich nicht nur einmal das Gefühl, Vera Nemirova würde hier eine „Opera buffa“ von Rossini oder Donizetti inszenieren – und die Sängerin der Lady hätte sich dort wohl auch leichter getan?!

Das interessanteste szenische Detail des Abends (neben Duncans Bad, das es wohl unter die Bühnenlächerlichkeiten bringen wird, auf die man bei zukünftigen Aufführungen schon wartet wie auf ein „hohes C“) war die Auferstehung des berüchtigten Kinderwagens, der sich in der Premiere auf die Lady oder gar in den Orchestergraben hatte stürzen wollen. Er wird jetzt quer (!) zum Orchestergraben geführt und von der Lady nach erfüllter Maschinenpistolenspende mit einem Tritt gestürzt, um ihm jede Widerspenstigkeit zu nehmen. In den Aufführungen zwei bis vier hatte man ihn – laut Berichten – aus dem Verkehr gezogen und durch einen Komparsen ersetzt – es wäre besser, das auch bei den Aufführungen 6ff zu tun.

Musikalisch bleibt anzumerken, dass Guillermo Garcia Calvo, kaum Akzente setzt, dass er aus Verdis Musik keine Spannung herausholt, dass die Sängerinnen und Sänger – vermuteter Weise – ein Problem mit teils eher trägen Tempi haben. (Wobei unbedingt angemerkt werden muss, dass Calvo die Produktion relativ kurzfristig übernommen hat.)

Simon Keenlyside schien mir immer wieder schon ein wenig ausgereizt mit seinem aufgerauht und phasenweise angestrengt klingenden Bariton – und beim „Perfidi! All'Anglo contro me v'unite“ nicht mehr ganz so sicher unterwegs. Der finale Abgesang – jenem von 1847 mit Macbeth’s Tod – war ihm schon in der Premiere sehr gut gelungen. Für mich ist Keenlyside mit dem „Macbeth“ nicht gut bedient, das liegt an der Stimme, die ein Spur zu lyrisch ist, das Timbre scheint eine Spur zu wenig „satt“, und letztlich liegt es wohl an seiner Art, Bühnenfiguren mehr intellektuell zu gestalten. Den „Macbeth“ muss man nehmen wie er ist, den frühen Verdi darf man meiner Meinung nach nicht mit psychologischen Expertisen überfrachten, die dämpfen nur das Feuer aus, das in ihm liegt.

Enttäuschend kamen alle Duettszenen mit der Lady über die Rampe – wie schon in der Premiere. Auch wenn hier szenisch in der Personenführung manches gut gelöst ist (die Duschszene einmal ausgenommen) bleibt die sängerisch vermittelte Emotion ziemlich blass. Es fehlt diesem „Pärchen“ die treibende Kraft und wohl auch der inszenatorisch verordnete Wille an jene „gruselig-dämonischen“ Schauer zu rühren, denen beispielsweise das ganze zweite Bild rund um den Königsmord eigentlich anhaftet. Keenlyside gibt sich mehr verhalten, erinnert im Spiel an einen neurotisch verklemmten Massenmörder und der Lady fehlt es an stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten – beziehungsweise wurde sie von der Regie in die Rolle eines weiblichen Opfers gedrängt. So kann ein „Macbeth“ nicht funktionieren.

Die Stimme von Erika Sunnegardh klang an diesem Abend freier und kräftiger, vor allem in den Höhen, die sich als durchaus tragfähig erwiesen, wenn sie kraftvoll ausgesungen wurden. Ein gewisses Vibrato war dabei nicht zu überhören. In den Ensembles hat sie die Spitzentöne schon sehr stark forciert. Die Nachtwandelszene ging diesmal ohne „Unfall“ über die Bühne. Die Stimme wurde aber nicht immer ganz sicher beherrscht, die Intonation war manchmal zweifelhaft, der erreichte emotionale Ausdruck hielt sich in engen Grenzen. Der Buhrufer, der sie vor der Pause „stalkte“, verließ in selbiger offenbar das Haus – und das war das beste, was er hatte machen können. Beim finalen Vorhang gingen sich für Sunnegardh sogar ein paar Bravo-Rufe aus. Letztlich bleibt aber als Resümee, dass schwer zu erklären ist, warum diese Sängerin gerade als Lady Macbeth Karriere macht.

Auffallend war, dass Agioteure vor dem Haus schon eine dreiviertel Stunde vor Vorstellungsbeginn auf teurere Karten erhebliche Preisnachlässe anboten. Der Markt ist mit „Macbeth“-Karten offenbar übersättigt, weil viele Stammbesucher, die sich in treuem Glauben im Vorverkauf für zumindest zwei Vorstellungen Sitzplatzkarten besorgt hatten, mit einer Vorstellung ihr ausreichendes Auslangen gefunden haben.

Der Schlussapplaus war freundlich, auch Bravo-Rufe, und dauerte um die sechs Minuten. Der Stehplatz war sehr schlecht besucht.

(1) Christian Springer: „Verdi und die Interpreten seiner Zeit“. Wien 2000. S. 131f.