JERUSALEM
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Wiener Staatsoper
Musikalische Neueinstudierung
16.4.2004


Dirigent:
Reynald Giovaninetti

Gaston - Keith Ikaia-Purdy
Graf - Eijiro Kai
Roger - Ferruccio Furlanetto
Hélène
- Eliane Coelho
Isaure
- Simina Ivan
Adhémar - Alexandru Moisiuc
Raymond - Arnold Bezuyen
Emir - Wolfgang Bankl
Offizier des Emirs - Cosim Ifrim
Herold - Marcus Pelz
Soldat - Johannes Gisser


Ist es ein Kreuz mit den Kreuzfahrern?
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat die französische Fassung von Verdis „Lombarden“ 1995 exhumiert, jetzt folgte ein neuerlicher Wiederbelebungsversuch.

Dem Ruf der Pariser Oper konnte sich auch Verdi – trotz enormen Zeitdrucks – nicht verschließen. Diesem Umstand verdankt die Nachwelt Verdis „Jerusalem“. Das Werk erblickte 1847 das „Licht der Opernwelt“. Der Meister hatte sich dazu seiner 1843 uraufgeführten „Lombarden“ bedient, und sie zu einer französischen Oper mutiert. Die Handlung wurde frankophil, die Instrumentation den höheren Fertigkeiten des Pariser Opernorchesters angepasst und Teile wurden neu komponiert. Ob das schon eine „ganz neue Oper“ ausmacht, das kann ich nicht beurteilten, darüber streitet die Forschung. Die Wiener Staatsoper war jedenfalls schon dieser Meinung und präsentierte 1995 die französische Originalfassung von „Jerusalem“ als österreichische Erstaufführung.

Diese Premiere fand am 10.12.1995 statt. Eliane Coelho sang die Hélène, José Carreras den Gaston, Samuel Ramey den Roger. Zubin Metha stand am Pult. Mein lapidarer Eindruck damals: „Verdi für Verdiforscher“. Ich habe dann noch eine Aufführung im Juni 1996 gesehen, mit derselben Besetzung – vorzüglich um nostalgischen Gefühlen in Sachen Carreras nachzuhängen. (Bei der Premiere hatte er sich als indisponiert ansagen lassen.) Ansonsten ist mir wenig bis nichts von diesen beiden Aufführungen in Erinnerung geblieben.

Insoferne erlebte ich „Jerusalem“ jetzt noch einmal „neu“, ohne dadurch aber zu einer grundsätzlichen Revision meiner Einschätzung dieses Werkes gelangt zu sein. „Jerusalem“ ist im selben Jahr uraufgeführt worden wie „Macbeth“ (1847) und manche Stellen klingen wie „gedragdropt“. Mit dem „Macbeth“ kann es „Jerusalem“ aber bei weitem nicht aufnehmen, auch nicht mit so manch anderer frühen Verdi-Oper. Vor diesem Hintergrund scheint eine szenische Umsetzung von „Jerusalem“ als purer Luxus. Immerhin hat man sich dazu entschlossen, es noch einmal auf die Bühne zu stellen – musikalisch ein wenig aufpoliert. (Im Spielplan der nächsten Saison scheint „Jerusalem“ schon wieder nicht mehr auf.)

Dieser wenig Renommee versprechenden, aber nichtsdestotrotz schwierigen Aufgabe, stellten sich Eliane Coelho (Hélène), Keith Ikaia-Purdy (Gaston), Ferruccio Furlanetto (Roger) sowie eine ganze Reihe an Ensemblemitgliedern der Staatsoper. Dirigent Reynald Giovaninetti brachte stellenweise die typisch rhythmische Akzentuierung des jungen Verdi gut zur Geltung, auch so manche Besonderheit in der Instrumentierung. Eine durchgehend „zündende“ Aufführung ergab sich deshalb aber noch lange nicht (was in Anbetracht des Werkes auch schwierig erscheint).

Eliane Coelho sang einen packenden dritten und vierten Akt, ihre Stärken liegen in der Attacke, im „emotionalen Forte“ – und da gibt es jede Menge davon. Kritisch bis sehr kritisch sind die lyrischeren Passagen, und nicht immer kommen die Töne sauber. Keith Ikaia-Purdy gelingt der Gaston über weite Strecken ansprechend. Aber seine Stimme klingt zu „monochrom“ und in der Höhe zu gepresst, sie entfaltet kein Bouquet und trägt sich wie ein Arbeitsanzug. Aber dafür ist er ein Sänger mit Durchhaltevermögen. Tages- oder besser Abendsieger wurde Ferruccio Furlanetto in beeindruckender Manier, der die kompletteste und gesanglich durchgeformteste Leistung bot. Eine wichtige Rolle spielen die Chöre, bei denen aber die Ohrenschmankerl fehlen. Irgendwie mangelt es dem ganzen Werk an „Individualität“.

„Jerusalem“ spielt zur Zeit des ersten Kreuzzugs. Zuerst gibt es in Frankreich noch eine Familienfehde, die die zwei Liebenden körperlich, aber nicht seelisch entzweit. Dann trifft sich alles, die umworbene Dame inklusive, im Orient. Am Schluss geht die Story gut aus. Tenor und Sopran kriegen sich, während man im Hintergrund die in der Schlacht erschlagenen Osmanen wegräumt.

Die Inszenierung von Robert Carsen ist konventionell; Kreuzritter im Plastikharnisch, die sich auch in Kreuzform aufstellen, mit Fackeln in der Hand; einige von der Perspektive her interessante, stimmungsvolle Bühnenbilder (Michael Levine) – etwa das Lager des Kreuzritterheeres mit drei flammenzügelnden Feuerstellen. Im ersten Bild stehen viele, viele kleine Kirchenmodelle auf dem Boden, von denen die Kreuzritter dann eines sogar nach Jerusalem mitnehmen – wie Häuschen einer „großspurigen“ Spielzeugeisenbahn. Eigentlich eine hübsche Idee...

Das Publikumsinteresse hielt sich – zumindest auf dem Stehplatz – in sehr engen Grenzen. Es gab Blumenwürfe für die drei Hauptbeteiligten und viel Applaus.


Peter Vujica im Standard (19.4.04) meint bezüglich des Dirigenten, dass „man sich im teilweise lähmenden, mehr als dreistündigen Ablauf mitunter etwas mehr Feuer gewünscht hätte. Coelho hätte „psychische Befindlichkeit trotz Szenendunkels fühlbar“ gemacht. Er lobt Furlanetto und meint, Ikaia-Purdy sei ein „mitunter ziemlich angestrengter Erwählter“.


Christina Mondolfo in der Wiener Zeitung (19.4.04) findet „Jerusalem“ sei ein „achtbares, aber nicht sonderlich aufregendes Werk“. Interessant sei die „thematische Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam“. Mit den Sängern ist sie, bis auf kleinere Vorbehalte, zufrieden. Ikaia-Purdy bot „eine schöne Stimme mit sicheren Höhen“, habe aber gegen Ende „arge Ermüdungserscheinungen“ gehabt. Coelho habe ihr zu selten „Dramatik“ gezeigt. Furlanetto habe die Partie „sicher und eindringlich“ gemeistert.