I DUE FOSCARI
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Theater an der Wien
15. Jänner 2014
Premiere

Dirigent: James Conlon

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schoenberg Chor

Koproduktion des Theaters an der Wien mit Los Angeles Opera, Palau de les Arts Reina Sofia, Royal Opera House Covent Garden

Francesco Foscari - Plácido Domingo
Jacopo Foscari - Arturo Chacón-Cruz
Lucrezia Contarini - Davinia Rodriguez
Jacopo Loredano - Roberto Tagliavini
Barbarigo - Andrew Owens
Pisana - Gaia Petrone
Fante del Consiglio die Dieci - Ioan Hotea
Servo del Doge - Marcell Attila Krokovay


„König
der Tenöre, Doge der Baritonisten“
(Dominik Troger)

Von Los Angeles ins Theater an der Wien: Placido Domingo tourt mit „I due Foscari“ um die Welt. Das garantiert den Erfolg – und alles andere ist dabei eigentlich schon Nebensache.

Placido Domingo sucht auch jenseits seines 70. Geburtstages Herausforderungen – und erweitert gezielt sein Repertoire als Bariton. Im Herbst 2012 hat er sich an der Los Angeles Opera als Francesco Foscari dem Publikum vorgestellt – und diese Produktion läuft jetzt im Theater an der Wien.

„I due Foscari“ scheint derzeit zwar eine „Modeausgrabung“ zu sein (das Werk wurde 2013 in Rom und Hamburg neuinszeniert), die Rolle des alten Dogen passt aber perfekt für Domingos derzeitiges Sängerleben. Den Genueser Dogen (Simon Boccanegra) hat er schon länger im Repertoire, der venezianische Amtskollege sollte da nicht fehlen. „I due Foscari“ gehört allerdings einer früheren Schaffensperiode von Giuseppe Verdi an – und beruht auf einem Libretto, dass sich vorzüglich darauf versteht, die mitwirkenden Figuren einer Tortur von Leid und Abschied zu unterwerfen.

Wie heißt es nicht so treffend im „Fidelio” bezogen auf Florestans Kerkerhaft: „Leonore: Er muss ein großer Verbrecher sein. Rocco: Oder er muss große Feinde haben, das kommt ungefähr auf eins heraus. Aber es kann nicht mehr lange mit ihm dauern.” Jacopo Foscari, Sohn des Dogen von Venedig, erleidet in zweieinhalb Opernstunden (inklusive langer Pause) ein ähnliches Schicksal. Aber er wird nicht befreit wie Florestan. Verdis Librettist Francesco Maria Piave schleift (einer Vorlage von Lord Byron folgend) Jacopo bis zum Exitus durch den venezianischen Strafvollzug. Sein Vater, der Doge Francesco Foscari, ist alt und machtlos vor dem „Gesetz”. Lucrezia, seine Gemahlin, bleibt nur die Hoffnung auf Gnade, die sich aber nicht erfüllen wird. Jacopo Loredano, ein Mitglied des Rates der Zehn, erweist sich als unüberwindbarer Gegner, rächt verbissen den angeblichen Giftmord von Francesco Foscari an seinem Vater.

Und weil der Doge seinem Sohn nicht helfen kann, wird Jacopo verschifft, um in das Exil nach Kreta zu reisen. Kaum ist er abgefahren, wird dem Dogen mitgeteilt, dass sein Sohn zwar a) kein Mörder, aber b) trotzdem auf dem Straftransport ins Exil verschieden ist. Und – der Rache nicht genug – Loredano zwingt den alten Dogen zum Abdanken, was dieser nur um wenige Minuten überlebt. Die Glocken Venedigs, die dem neuen Dogen huldigen, sind zugleich des gewesenen Grabgeläute.

Regisseur Thaddeus Strassberger hat für diese Handlung düstere Bilder gefunden, ein bisschen „trashig" wie ein schlechter Horrorfilm, ein bisschen von „Stummfilmästhetik“ angehaucht. Schon zur Orchestereinleitung wurde eine kurze Erzählung der Vorgeschichte auf einen Bühnenvorhang projiziert, in einem etwas altertümlichen Deutsch verfasst und in leicht verschnörkelter Schrift. Das Bühnenbild, dass von bunkerartigen, schäbig-ruinenhaften Kerkerwänden gerahmt wurde, die irgendwie in der Luft zu hängen schienen, packte gleichsam die ganze Oper in die unterirdischen Verliese einer brutal strafenden Staatsmacht. Die Alptraumszene von Jacopo Foscari wurde konsequenter Weise in einen Folterkeller der Serenissima verlegt, in dem fachgerecht gemartert wurde: bis zum „Abhacken” eines Fingers (aber nicht beim Tenor, sondern „nur“ bei einer Statistin).

Mobiliar, wie des Dogen schwerer Tisch mit einem Silbertablett drapiert und stilllebenartig aufgeschnittenem Obst, oder sein altertümlich wirkendes Himmelbett, wurde vom Hintergrunde nach vorne geschoben. Holzstege deuteten Venedigs überschwappende Kanäle an, in der Volksszene am Beginn des 3. Aktes wurde sogar ein Feuerschlucker bemüht. Die Kostüme nahmen Anleihen an Renaissance-Moden, mit einem ironisch-spacigen Zug, beispielsweise die punkartig abstehenden Silber-Epauletten einer Hofdame. Die Mitglieder des „Rates der 10“ in rote Roben gehüllt, sahen mit ihren aufgeklebten weißen Bärten aus wie Weihnachtsmänner, die sich bis zum nächsten Advent ihren Lebensunterhalt als Opernstatisten verdienen müssen. Die Ausleuchtung der Bühne war sparsam und einfallslos. Der expressive und geschmacklose Schluss, den sich Strassberger hat einfallen lassen, wirkte gegenüber Domingos seriöser Sterbeszene sehr befremdlich: Lucrezia ertränkt im Finale durch überlanges „Waterboardig” ihren Sohn, nachdem sie sich zuvor minutenlang in einer Schlammlacke die Hände gesäubert hat.

Wie schon angedeutet, ohne Placido Domingo hätten sich die Zuschauer in Anbetracht der gezeigten Tatsachen wohl genauso gut mit einer konzertanten Aufführung begnügt. Wobei Domingo in einem altertümlichen Dogengewand, das hat natürlich Stil. Aber bewundernswerter ist, dass sich Domingo nach wie vor stimmlich dermaßen präsent zeigt, dass er in keiner Sekunde Gefahr läuft, seinen in langen Karrierejahren errungenen Ruf als sängerische Ausnahmeerscheinung zu beschädigen. Im Gegenteil: Mit seiner klugen Rollenauswahl, solange sie väterliche, lebensgeprüfte Figuren im Auge hat, nährt Domingo seinen Mythos als „Jahrhundert-“ oder „Zweijahrhundertsänger“ – und der Jubel des Publikums darf hier nicht nur der Erinnerung danken, sondern sich nach wie vor auf die Gegenwart beziehen.

Die weitere Besetzung von Los Angeles – Francesco Meli als Jacopo Foscari und Marina Poplavskaya als Lucrezia – stand für Wien nicht zur Verfügung. Arturo Chacón-Cruz (2012 Hoffmann im Theater an der Wien) und Davinia Rodriguez steuerten Sohn und Schwiegertochter bei. Beide hatten mit ihren Auftrittskavatinen etwas Mühe, Rodriguez wohl auch Intonationsprobleme. Und beide sangen in Folge sehr „offensiv“ und mit zuviel Kraft. Chacón-Cruz gelang es nicht, seiner lautstark vorgetragenen Leidenspose zu entfliehen, zu differenziert vorgetragenen Zwischentönen fand er kaum. Rodriguez schlug sich gut, stellt man die Anforderungen der Partie in Rechnung. Laut Programmheft reüssierte sie in ihrer jungen Karriere bis jetzt vor allem als lyrischer (Koloratur-) Sopran, die Lucrezia ist da schon ein „anderes Kaliber“. Leider hat Verdi den Bösewicht Jacopo Loredano mit recht wenigen Noten bedacht: Denn Roberto Tagliavini ließ eine ansprechende Bassstimme hören.

Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien spielte unter James Conlon laut und zu undifferenziert. Conlon zeigte sich aber darin versiert, im Fortlauf des Abends einige Spannung aus der Partitur herauszuholen – und die große Ratszene im zweiten Akt und das Finale machten einen zwar etwas groben, aber durchaus guten Effekt.

Der starke Schlussapplaus konzentrierte sich vor allem auf Domingo und überging das Regieteam mit lauem Weiterklatschen (bei wenigen Bravorufen). Der Applaus hielt rund 20 Minuten lang an – und natürlich gab es wieder (wie immer bei Domingo) diese rot-weiß-rot-gebundenen Blumensträußchen.

Fazit: Es wird hierzulande mittelfristig wahrscheinlich kaum eine Gelegenheit geben, diesem Werk szenisch zu begegnen (2008 gab es eine konzertante Aufführung im Konzerthaus).