FALSTAFF
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Premiere Staatsoper
19.10.2003


Dirigent:
Fabio Luisi
Inszenierung, Raum, Licht: Marco Arturo Marelli
Kostüme:Dagmar Niefind

Sir John Falstaff - Bryn Terfel
Ford, Alices Gemahl - Carlos Alvarez
Fenton - Cosmin Ifrim
Bardolfo
- Herwig Pecoraro
Doktor Cajus
- Michael Roider
Pistola - Alfred Sramek
Mrs. Alice Ford - Krassimira Stoyanowa
Nannetta, Ihre Tochter- Tatiana Lisnic
Mrs. Quickly - Jane Henschel
Mrs. Meg Page - Elina Garanca


Falstaff "light"
(Dominik Troger)

Falstaff-Premiere in der Staatsoper: Rund und kantenlos wie der Bauch von Sir John fand die Aufführung einhellige, wenn auch nicht euphorische Zustimmung.

Dem "Falstaff" bin ich immer aus dem Weg gegangen. Wenige Aufführungen zieren meine Karriere als unermüdlicher Opernbesucher. Warum das so sein könnte, wurde mir an diesem Abend ein wenig deutlicher. Verdis später Opernwitz bricht sich an so manchem grauen Haare in Sir Johns edelmännischer Lockenpracht, schwimmt auf so manchem Fettpölsterchen daher, dass seinem (Lotter-)Leben früherer Jahrzehnte entsprungen ist. Für die subtilen Zwischentöne und Nuancen solch einer Lebensbetrachtung kann man notwendigerweise erst mit dem steten Dahinhuschen der Jahre das nötige Sensorium entwickeln. Auch wenn man zum Abschied lächelt, ein Abschied bleibt ein Abschied.

Ob nun diese Aufführung in mir diese Erkenntnis geweckt hat? Zum Teil. Denn dass sie eigentlich eine ziemlich harmlose gewesen ist, das wird sich schwer leugnen lassen. Allerdings hat sie bei aller Harmlosigkeit den alternden Sir John durchaus ernst genommen: als „Sir“, als unverbesserlichen (?) Hedonisten, der durchaus auch zu feineren Gefühlsregungen fähig ist, als – ja, das hört sich ganz einfach an – Menschen. Falstaff darf hier träger sein, weniger boshaft. Die Leidenschaften sind sichtbar, aber nicht zügellos. Falstaff spielt Schach – und versucht auch hier zu „betrügen“, mit rascher Listigkeit verschiebt er eine Figur seines Gegenübers, der seinen Platz gerade verlassen hat, zurück auf ein anderes, wenig günstigeres Feld. Aber zugleich bedeutet das auch, dass er sich seine Tricks im Rahmen eines Systems erlaubt, an dass er sich (in groben Zügen zumindest) hält. Ich habe gerade dieses kleine Detail der Inszenierung sehr interessant gefunden, weil es, im übertragenen Sinne aufzeigt, wie Falstaff zu den Personen steht, die er „ausnehmen“ möchte, und die ihm das mit „barer Münze“ zurückzahlen. Man hat nicht das Gefühl, dass hier zwischenmenschliche „Gräben“ aufgerissen werden, die man nicht mehr zuschütten könnte. Am Schluss kann die „Stadtgemeinschaft“ wieder weitermachen, wie nach einem ausgelassenen Faschingsfest, wie nach den Wirrungen und Verirrungen einer Sommernacht.

Dass es auch darum geht, dass der alte Verdi mit dem Falstaff wohl ein wenig über den unerbittlichen Gang der Welt und des Lebens reflektiert hat, dass er das Lachen gewissermaßen als eine Art Medizin gegen graue Haare und körperliche Verfallserscheinungen empfiehlt, das hat Bryn Terfel schon rübergebracht. Es sind interessante Momente der Selbsterkentnisse, zu denen Terfel seinen Falstaff führt, wenn er nach dem Bad in der Themse sich mit einem Glühwein ins Leben zurückräsoniert. Es ist vermeintliche Fröhlichkeit, die Verdi sich auf sein letztes Banner geheftet hat, mit dem er Abschied von den Opernbühnen, aber auch vom Leben genommen hat. Der „Falstaff“ entwickelt hier eine ganze Skala schwebender Zwischentöne, die letztlich alle irgendwie mit dem Charakter der Hauptperson zusammenhängen. Terfel war für diese Aufgabe gerüstet und schon dank seiner subtilen stimmlichen Gaben lag es ihm sicher näher, Falstaff mit eben diesen verhalteneren Zwischentönen auszustatten. Terfel suchte oft diese leiseren Töne, pflegte auch in der Bewegung eine langsame Behäbigkeit, ruhte letztlich in einer Art von selbstgefälliger Gemütlichkeit, die erst mit dem Fortgang der Handlung gewisse Sprünge bekam. Man mag das natürlich mit dem Begriff „Harmlosigkeit" umschreiben – denn auch das übrige Ensemble vermied tunlichst mögliche Ecken und Kanten, ja auch das Orchester war von Fabio Luisi zu einer scharfen Akzentsetzung nicht angehalten worden. Stetig trieb er die Handlung weiter, wirklich fassen konnte man diesen Falstaff nicht. Er entschlüpfte, luftig und leicht, sobald man glaubte, etwas festmachen zu können, schwebte von einem ariosen Arrangement zum nächsten, wie ein bunter Papierblumenstrauss. Ist diese mit fröhlichem Lächeln vorgetragene Harmlosigkeit nicht vielleicht doch noch die höhere Weisheit, die Verdi in dieses Werk gepackt hat?

Trotz der markanten Erscheinung von Brian Terfel, der Dreh- und Angelpunkt dieser Aufführung gewesen ist, wehte ein erfrischender Ensemblegeist über die Staatsopernbühne, der mit viel von der Regie gefördertem Schwung, agierte. Man wird sich wahrscheinlich eine bösartigere Mrs. Quickly vorstellen können oder einen mit mehr Schmelz die Liebe beschwörenden Fenton, aber der Gesamteindruck war angenehm, „softig“, der eines unterhaltsamen, unbeschwert und niveauvoll musizierten Opernabends.

Es gibt bei der ganzen Produktion eigentlich nur eine kritische Szene. Da gelingt der Übergang zum nächtlichen Park mit poetisch, romantischer Geste. Der Mond steht am Himmel, die Bühne ist weit geöffnet, im Hintergrund die schwarzen Silhouetten der Bäume. Falstaff kommt aus diesem Hintergrund, zuerst sieht man nur sein Hirschgeweih (ein 7-Ender, wenn ich mich nicht verzählt habe). Die Spannung steigt, die Damen erscheinen zum Rendevous. Doch sie entziehen sich dem geprellten Falstaff: Geisterstunde. Es wird noch düsterer, ein seltsam bläulich-violettes Licht strahlt über die Bühne. Nannetta als Feenkönigin erscheint, von Tatiana Lisnic mit viel Schwung und jugendlichem Elan verkörpert. Falstaff krümmt sich irgendwie zusammen, scheint sich, nur mehr ein Schatten, in einen Hirschen zu verwandeln. Es war von der Optik einer der verzauberndsten Bühnenmomente seit langem– und dann tauchen plötzlich die anderen „Windsorianer“ auf mit spitzen, weißen Ku-Klux-Clan-Mützen auf dem Kopf und Taschenlampen. Die Stimmung verpufft sofort, desillusioniert völlig, ein kaum zu erklären Fauxpas, ein absoluter Stilbruch im Vergleich zum bisherigen Fortgang der Inszenierung. Da hängt plötzlich alles wieder am seidenen Faden, der dann doch nicht reißt. Und am Schluss, wenn sich die versammelte Gesellschaft auf der Bühne an der Hochzeitstafel niederlässt und dort auch den Applaus entgegennimmt, da ist dann auch die Opernwelt dieses Falstaff wieder heil.

Schade um dieses einigermaßen missglückte Stelldichein im Park von Windsor, denn ansonsten haben Bühnenbild und Kostüme (auch in der Farbgebung), den softig-luftigen Eindruck des Ganzen durchaus gestützt. Zuerst ist die Bühne frei und nur ein langestreckter Holzaufbau, wie eine zweite Ebene, ist sichtbar. Der klappt dann auf und zeigt das Gasthaus zum Hosenbande. In der Farbgebung der 70er-Jahre gehalten, in pastellösen Rot-Organge-Gelb-Tönen, besteht es seltsamer Weise aus Wänden von bemalten Ölfässern und einem riesigen Kanalrohr. Das ist auch einer der wenigen Punkte, die ich nicht verstanden habe, diese Assoziation mit einem „Hafengelände an der Themse“. Aber wie auch immer, durch die Treppe, die links auf die „höhere Bühnenebene“ zwei oder drei Meter hinaufführt, ergeben sich auch einige „Spielmöglichkeiten“ und das ganze entwickelte sogar ein wenig Charme. Diese freie Fläche ist sozusagen die Welt der „Windsorianer“. Sie nimmt der Szene Falstaff – Alice einiges an Intimität, trotz Paravent, eine paar Sesseln und Wäschekorb. Marco Arturo Marelli nutzt aber diesen weiten Spielraum ganz gut. (Er weiß mit den SängerInnen durchaus etwas anzufangen. Die Personenregie ist okay, die Witzkiste, aus der Marelli seine Pointen holt, ein bisschen verstaubt, aber das Publikum – und man selbst – lacht trotzdem.) Diese große, über den Bühnenboden erhobene Fläche, stellt dann auch den Park dar.

Der bravogestärkte Applaus war ziemlich einhellig, aber als die gesammelte Bühnengesellschaft von der Hochzeitstafel dann abmarschierte, marschierte auch das Publikum ab und wollte sich nicht demonstrativ noch weitere Vorhänge erklatschen. Das war immerhin ein bemerkenswerter Zug.

„Bauch voller Klischees“ findet Ljubisa Tosic im Standard vom 21.10. und meint, die Komödie wäre „solide“ aber ohne „Tiefgang“ inszeniert worden. Tosic weiter: „Dieser Falstaff ist ein Gleichgewichtskünstler aus Gewichtsnot, ein hedonistischer Ritter von der üppigen Gestalt, eine schwankende Gestalt, ein Lebensvielfraß, dessen Magen zweifellos bessere Tage erlebt hat. Also ein Klischee auf zwei überforderten Beinchen.“ Für ihn steht und fällt die Inszenierung mit Bryn Terfel. Ansonsten, auch vom Orchester „knalliger Charme“ ohne „eine Vertiefung in die Abgründe der Musikseele, nirgends ein atmosphärisches Innehalten“.


Wilhelm Sinkovicz meint in der Presse vom 21.10: „Verdis Alterswerk Falstaff wurde in der Staatsopern-Neuproduktion zum feinsinnigen Sängerfest“. Fabio Luisi sorgte, so Sinkovicz für „feinsinnige, behutsam-leise Kammermusik“, und was das Ensemble betrifft, so habe sich „in der jüngeren Vergangenheit der Wiener Oper ein so ausgewogenes, perfektes Sängerensemble auf der Bühne vereint“. Natürlich hält auch er viel Lob für mit Bryn Terfel bereit, der für ihn heutzutage der „ideale Interpret“ des Titelhelden ist. Weiters führt er aus, dass “Marco Arturo Marellis zunächst witzige, clowneske Inszenierung im dritten Akt an eklatanter Einfallslosigkeit zu leiden beginnt“.

„Giuseppe Verdis komisches Meisterwerk gefiel in einer bunten Inszenierung und vielen musikalischen Höhepunkten, vor allem aber durch Bryn Terfel in der Titelpartie.“ subsummiert Christina Mondolfo in der Wiener Zeitung vom 21.10. Sie hat eigentlich nur an der „eher kleinen Stimme“ von Cosim Ifrim als Fenton, etwas auszusetzen.

Heinz Rögl in den Salzburger Nachrichten (21.10.) diese Produktion „musikalisch prachtvoll“ und meint: „Bryn Terfel vermag persönliche Note, Modulationsfähigkeit seiner Gefühle und sogar Schlagfertigkeit einzubringen. Das ist ein Ereignis.“

Gert Korentschnig im Kurier, (21.10.) ist auch sehr zufrieden: „Diese Aufführung vermittelt durchgehend Theaterglück.“

„Verdis grandioses Alterswerk wurde unter Fabio Luisis musikalischer Leitung in vollendeter philharmonischer Feinarbeit interpretiert — jede kleinste Szene ein filigran ziseliertes Charakterstück. - Die Bühne beherrschte der walisische Bassbariton Bryn Terfel, der sich in seiner Paraderolle endlich auch in Wien vorstellte.“ Soweit Irmgard Steiner im Neue Volksblatt, (21.10.)

„An der Titelrolle vor allem zeigt sich, dass Marelli nicht von den Figuren, sondern von den Bildern her inszeniert. Dass dieser Wiener Falstaff zum Fest der Farben wird, ist allerdings auch das Verdienst des Dirigenten Fabio Luisi.“ Zu dieser Auffassung kommt Marianne Zelger-Vogt in der Neuen Züricher Zeitung (21.10.) Auch für ist der Star des Abends Bryn Terfel „ein Falstaff mit unvergleichlich warmem, sattem Timbre, dessen geschmeidiger Bassbariton auch im zartesten Piano trägt.“