DON CARLOS (frz. Fassung)
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Wiener Staatsoper
2.9.2005
(5-aktige französische Fassung von 1867 inkl. bereits für die Uraufführung gestrichener Teile)

Dirigent:Bertrand de Billy

Philipp II, König von Spanien - Ain Anger
Don Carlos, Infant von Spanien -
Ramón Vargas
Rodrigo, Marquis von Posa - Bo Skovhus
Der Großinquisitor - Wolfgang Bankl
Ein Mönch (Kaiser Karl V) - Dan Paul Dumitrescu
Elisabeth de Valois - Iano Tamar
Eboli, Prinzessin - Nadja Michael
Tebaldo - Cornelia Salje
Herold - Cosim Ifrim
Le Comte de Lerme - Benedikt Kobel
Stimme vom Himmel - Inna Los
Coryphée - Johannes Gisser


Ur-Don Carlos - Dritter Durchgang
(Dominik Troger)

Die französische Urfassung des „Don Carlos“ ist übers Jahr zu einem musikalischen Leckerbissen gereift. Die Aufregung über die Inszenierung hat sich verlaufen. Die Vorstellung war mäßig besucht. Der zustimmende Applaus am Schluss war stark, aber unverdient kurz.

So schnell geht das. Der große „Skandal“ der letzten Saison regt nach einem knappen Jahr niemanden mehr auf – zumindest an diesem Abend. Die Staatsoper war mäßig besucht. Einige Logen waren ganz leer geblieben, genauso wie die Plätze auf der Seite von Balkon und Galerie. Auch sonst gab es deutliche Lücken, das Stehparterre war nur bis zur dritten oder vierten Reihe locker befüllt. Das letzte Ferienwochenende und das Prachtwetter haben den Verkauf sicher nicht gefördert. Dazu kommt die Länge: fünf Stunden werden bei Wagner akzeptiert, aber bei einem französischen Verdi? Das erklärt vielleicht auch den kurzen, wenn auch sehr positiven Schlussapplaus (es gab nur einen Durchgang mit Solovorhängen).

Mit der Inszenierung hat das weniger zu tun. Ich halte es für ein grundsätzliches Problem der „grand opéra“, die nur mehr sehr entfernt am Wahrnehmungshorizont „normaler Opernbesucher“ auftaucht – und die in diesem Fall noch gegen eine kompaktere italienische Fassung antreten muss, mit der sich Verdi selbst Konkurrenz macht. Der Coup des Direktors, Aufreger Konwitschny nach Wien zu holen, war für den Kartenverkauf wahrscheinlich ein Vorteil. Fraglich ist, wie lange sich diese Fassung im Spielplan halten kann. Diese Saison sind insgesamt sechs Vorstellungen angesetzt: drei im September und drei im Juni.

Musikalisch hat diese Produktion sehr gewonnen. Sie bietet jetzt französische Oper in bestem Sinne. Der äußere Effekt wurde zugunsten eines verstärkten Sentiments etwas zurückgenommen, wobei vom Sängerteam Ramón Vargas diese nuancierte Verfeinerung am besten trifft. Ensemble und Orchester bieten durchgehend eine Leistung von hoher Qualität. Die verkrampfte Anspannung der Premierenserie hat sich verloren. Das Resultat ist eine homogene Aufführung, in die sich auch die „Neuzugänge“ wie Ain Anger (Philipp) und Wolfgang Bankl (Großinquisitor) sehr gut einfügen.

„Ebolis Traum“ wurde relativ heftig, aber nur kurz beklatscht – das stand in keinem Verhältnis zu den eruptiven Emotionen, die diese „Slapstick-Pantomime“ in den ersten Vorstellungen ausgelöst hatte. Der Vorteil: man konnte die Ballettmusik völlig ungestört hören, die de Billy zu einer witzigen musikalischen Einlage formte. Die bühnengerechte Umsetzung dieser tänzerischen „Gebrauchsmusik“ hat einen erheblichen Spassfaktor. Sie führt auch zu keinem Handlungsbruch, sondern erfüllt nur die Unterhaltungsfunktion, die sonst dem herkömmlichen Ballett zugewiesen worden wäre. Ballettfans mögen bedauern, dass man dieser Konvention auf der Bühne immer öfter aus dem Weg geht – und dass schon die Sänger selbst für das „Ballett“ sorgen müssen. In diesem Fall möchte ich aber weder den wirr salzstreuenden Carlos missen noch die gansschwenkende Eboli, weder den gitterbettschiebenden Philipp noch Schwiegermutter Elisabeth und natürlich auch nicht „Posas Pizza“!

Während „Ebolis Traum“ auch bei mehrmaligem Ansehen seine „Frische“ behält, hat die eventgemäß inszenierte „Autodafé“ viel an Spannung verloren. Die Nachteile treten immer offensichtlicher zu Tage. Die Kritik an einer selbstgefälligen Spassgesellschaft, die in völliger weltanschaulicher Relativität vor sich hinfeiert – und so nebenbei ein paar Tote zurücklässt – zieht den bei Verdi deutlich problematisierten Machtverhältnissen alle Zähne. In dieser Inszenierung ist der König ein Frackträger von vielen. Die Gesellschaft, die auf der Bühne gezeigt wird, ist eine egalitäre. Die sozialen Hierarchien und ihre Spannungen sind ebensowenig greifbar wie der religiöse Charakter der Autodafé. Was übrig bleibt, ist ein lauwarmer Sektempfang.

Der zweite für mich eindeutige Schwachpunkt ist die Charakterisierung des Posa als intellektuellen Schreiberling. Das ist viel zu schematisch und ironisiert an der falschen Stelle. Außerdem gehen bei ihm Körperausdruck und Musik nur schwer zusammen. Wenn sich Posa im Sterben seltsam über Carlos wälzt, merkt man deutlich, wie die Regie hier in eine interpretative Perspektive wechselt und der Intellekt gegen den Fluss der Musik auf sein Durchsetzungsrecht pocht. Es gibt ein paar Stellen, wo so ein Bruch passiert, wo die auf der Bühne gezeigten Bewegungen plötzlich aus dem Kopf kommen – und wo der Zuseher deutlich merkt, wie die Sänger jetzt dem Konzept folgen und nicht einer natürlichen körperlichen Gestik.

Trotzdem: In dieser Verfassung zählt die fünfaktige französische Version zu den derzeit besten Staatsopern-Produktionen.