DON CARLOS (frz. Fassung)
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Wiener Staatsoper
22.10.2004
(5-aktige französische Fassung von 1867 inkl. bereits für die Uraufführung gestrichener Teile)

Dirigent:Bertrand de Billy

Philipp II, König von Spanien - Alastair Miles
Don Carlos, Infant von Spanien -
Ramón Vargas
Rodrigo, Marquis von Posa - Bo Skovhus
Der Großinquisitor - Simon Yang
Ein Mönch (Kaiser Karl V) - Dan Paul Dumitrescu
Elisabeth de Valois - Iano Tamar
Eboli, Prinzessin - Nadja Michael
Tebaldo - Cornelia Salje
Herold - Cosim Ifrim
Le Comte de Lerme - Benedikt Kobel
Stimme vom Himmel - Inna Los
Coryphée - Ion Tibrea


Don Carlos - Zweiter Durchgang
(Dominik Troger)

Die zweite Don Carlos-Aufführung fand in geradezu entspannter Atmosphäre statt. Die paar Buhrufe nach „Ebolis Traum“, der Autodafé und deutlich stärker in den Schlussapplaus waren kein Vergleich zur Premiere. Und Gelassenheit tut auch gut, wenn man dieser Produktion ein wenig „auf den Zahn fühlen“ will.

Dass man dabei feststellt, dass sich „Ebolis Traum“ erfrischend auch ein zweites Mal träumen lässt, hat mich nicht wirklich überrascht. Diese Art von Ballettmusik kann man gut und gerne mit einem Schuss Ironie würzen und öfter spielen. Zum Genuss dieser Piece „Opern-Surrealismus“ braucht es allerdings Humor. Es ist aber kein Humor auf Kosten anderer, der hier entwickelt wird. Ertappt sich doch jeder hin und wieder beim Traum vom eigenen Lebensglück, und eine verbrannte Gans im Ofen ist noch eines von den geringeren Übeln, die bei der Umsetzung solcher Träume einen Strich durch die Rechnung machen können. Glücklich ist, wer über sich selbst zu lachen versteht.

Während in „Ebolis Traum“ aufperlender Sekt auf der Bühne verspritzt wird, müssen die Gläser der Autodafé-Gesellschaft mit den schalen, übrig gebliebenen Resten von der Premiere gefüllt worden sein. Und ich schätze, spätestens beim dritten Mal geht einem das „Blabla“ der TV-Ansagerin und das ganze Drumherum nur mehr auf die Nerven. Das Publikum war diesmal disziplinierter, ein zorniger Zwischenruf von der Galerie ging sang und klanglos unter, nach Fallen des Vorhangs gab es noch ein paar wenig durchschlagskräftige Buhrufe. Ich war diesmal im Saal geblieben, um festzustellen, dass die Autodafé musikalisch gar nicht so glänzend wirkt. Orchester und Chor sind laut und wenig differenziert. Schon zu Beginn vermittelt die Musik nichts von jenem eleganten, federnden Rhythmus, mit dem Verdi diese Szene zu einem zentralen Kulminationspunkt des Konfliktes zwischen Carlos und Philipp aufpeitscht. Alles bleibt hier knallige Propaganda und die Dramatik von Verdis Musik und der Einsatz der Sänger verpufft an der Oberfläche wie, ja wie ein TV-Event eben.

Wirklich problematisch ist aber die Länge dieser von zwei Pausen umrahmten Autodafé. Denn sobald man weiß, was passieren wird, hat man die Neugierde, auf die jeder „Event“ zählt, abgelegt. Schon diesmal kam es mir als Zeitverschwendung vor, dass für die Autodafé und die Pausen eine gute Stunde veranschlagt werden muss. Die „politische Botschaft“ kennt man schon, musikalisch ist aufgrund der Umstände offenbar nicht mehr drinnen, und man beginnt nach Alternativen zu suchen. Wie wäre es, für diese Stunde ein „Don Carlos“-Souper in einer der umliegenden Lokalitäten einzuplanen? Ein „Eboli-Gansl à la Escorial“? Jedenfalls zeigte sich schon bei der zweiten Aufführung, wie rasch ein „Event“ die Spannung verliert.

Doch zurück zum musikalischen Teil. Auch wenn die Aufführung diesmal insgesamt flüssiger geriet, die Darbietung konnte sich kaum über das Niveau eines guten Repertoireabends aufschwingen. Ramón Vargas muss seiner für den Don Carlos an der Staatsoper zu kleinen Stimme immer wieder Tribut zollen und angestrengte Töne trüben seinen auch um Stil bemühten Ausdruck. Nadja Michael hat beim Volumen keine Probleme, sie hat eher zuviel davon. Sie muss stark daran halten, ihre Stimme zu zügeln. Das weitausschwingende, störende Vibrato, zu dem die Stimme neigt, hat sie inzwischen gut im Griff. Das maurische Lied im zweiten Akt ist ganzer Ausdruck dieser Selbstdisziplin, womit sie auch die schwierigen Passagen meistert. Die Höhe hat eine expressiv färbende Grellheit, die immer Gefahr läuft, stärker durchzuschlagen. Bei der bühnenwirksam und psychologisch nuanciert vorgetragenen Arie im vierten Akt bringt das jedoch dramatische Pluspunkte, auch wenn es nicht das Schönheitsideal aus stilistischer Perspektive trifft.

Dagegen verblasst für mich die Elisabeth von Iona Tamar deutlich. Es fällt mir schwerer, ihre angeschärften Höhen, die nicht immer sauber klingen, auch als expressives Ausdrucksmittel durchgehen zu lassen. Immer noch nicht klar komme ich mit dem Posa von Bo Skovhus, aber der Mönch von Dan Paul Dumitresco ist sicher auf der Habenseite dieser Produktion zu verbuchen. Was Alastair Miles betrifft, ihm muss man zugute halten, dass er nur Zweitbesetzung gewesen ist. Auf der Oktobervorschau der Staatsoper prangte noch das Bild von René Pape als Philippe. Die Darstellung des großen tragischen Konfliktes ist Miles Sache nicht, die Arie im vierten Akt wird stimmlich und gestalterisch zum Grenzgang. Vom Typus trifft er aber wahrscheinlich ganz gut, was Konwitschny beim Philippe vorgeschwebt sein könnte: ein von der Sehnsucht nach Liebe ausgezehrter Mann, bei dem sich diese Sehnsucht unter dem Druck der ihm eigenen Macht in Grausamkeit verwandelt.

Wenn mir eine Szene von diesem Don Carlos in Erinnerung bleiben wird (außer dem „Ballett“), dann ist es die Arie Ebolis im vierten Akt, und die Art, wie sie sich für ihre Schuld bestraft. Da gehen Musik und dramatischer Ausdruck symbiotisch zusammen. Und wenn Eboli sich entschließt Carlos zu helfen, dieser Umschlag, der hier stattfindet, diese ungestüme Bewegung nach vorne, das haben Michael bzw. die Personenführung sehr gut deutlich gemacht.

Bertrand de Billys Dirigat bleibt irgendwo an der Oberfläche hängen. Er dirigiert, wenn man das so umschreiben kann, das politische Drama und nicht das emotionale. Er pflegt einen zwar glänzenden, aber irgendwie spröden Klang und versagt sich jenes Sentiment, das den starken Liebesgefühlen, die dieses Werk auch durchziehen, angemessen wäre. Insoferne setzt sich im Orchestergraben fort, was Konwitschny mit seiner Opern-Philosophie vorgibt: dass er Oper als „moralische Anstalt“ begreift, mit Botschaften „die uns verändern müssten“. (pro:log 10/04).

Was noch zur Regie erwähnt werden sollte: Karl V. entzieht Don Carlos und Elisabeth den Fängen der Inquisition – ein schöner, hoffnungsvoller Schlussgedanke. Eboli wird von der Inquisition nach Erscheinen des Großinquisitors während des Volksaufruhrs getötet – da ist man wieder auf der plakativen Seite dieser janusköpfigen Inszenierung. Hin und wieder sind die SängerInnen dazu angehalten, befremdlich zu lachen. Das wird sich mit der Zeit hoffentlich abschleifen. Dramaturgisch sinnvoll und von einiger Wirkungskraft scheint nur Posas-Lachen in der großen Szene Posa – Philipp, wo es einen Stimmungsumschwung einleitet. Ansonsten ist es mir schon zu pathologisch.

Am Schluss gab es zuerst ein paar Buhs und dann Bravo und viel Jubel für die Sänger; ein, zwei Buhs für de Billy beim Solovorhang, der ansonsten auch mit Bravorufen bedacht wurde. Der Stehplatz war zumindest halbleer; nach dem Autodafé auch vereinzelte Sitzplätze. Auffallend kurzen Applaus gab es nach der Arie des Philipp im 4. Akt und nach Posas Tod.