DON CARLOS
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Wiener Staatsoper
2.09.2001

Dirigent:Vjekoslav Sutej

Philipp II, König von Spanien - Ferucio Furlanetto
Don Carlos, Infant von Spanien -
Neil Shicoff
Rodrigo, Marquis von Posa - Anthony Michaels-Moore
Der Großinquisitor - Eric Halfvarson
Ein Mönch (Kaiser Karl V) - Dan Paul Dumitrescu
Elisabeth de Valois - Marina Meschriakova
Eboli, Prinzessin -
Violeta Urmana


Bloßfüßiger Selbstmörder
(Dominik Troger)

Bei dieser Don Carlos-Aufführung bekam man noch ein paar Spritzer der hochschlagenden Salzburger Regie-Wogen ab, was zwar nicht sonderlich störte, aber der arme Carlos begeht am Schluss eben nicht Selbstmord - so ist das nun mal, zumindest bei Verdi.

Natürlich ist es Neil Shicoff unbenommen, sich seine Rolleninterpretation aus Salzburg gleich mitzunehmen und sich am Schluss zu erdolchen. Und er kann auch im Gefängnisbild bloßfüßig über die hoffentlich saubergefegte Staatsopernbühne spazieren. Ja, vielleicht gehört auch beides wirklich zusammen, und was da die bloßen Füße schon ankündigen, die offengelegte, den Unbillen des Schicksals ungeschützt dargebotene Seele des Infanten, führt dann zu seinem selbstzerstörischen Ende. Aber eigentlich bringt er sich ja wirklich nicht um. Verdi lässt ihn von einem Mönch, möglicherweise Karl V., taktvoll aus der unentwirrbaren Schicksalsverstrickung entfernen. Und das wird schon seinen Grund haben. Aber es soll hier nicht schon wieder über die Un-Notwendigkeiten modernen Regietheaters philosophiert werden. (Auch wenn die neudesignte Staatsopern-Zeitschrift "pro-log" 9/2001 in einem Essay uns biederen Openbesuchern wieder einmal zu erklären versucht, wie modern "verstörend" Oper zu sein hat, um erstens ihre Daseinberechtigung zu erweisen und um zweitens das biedere klein-bügerliche Denken Wiener Opernbesucher zu entlarven.)

Doch zurück zum Beginn: Unübersehbar der für die heurige Saison besonders originell ausgestaltete Eiserne Vorhang von Richard Hamilton: eine etwas angefärbelte Schwarz-Weiß-Fotografie des Innenraums der Mailänder Scala. Wer dann noch die Freude hat, das Interview mit Hamilton in jenem quadratischen Folder zu lesen, der an mehreren Ständen im Hause aufliegt, unter dem hübschen Logo "art pool", der weiß, dass diesmal wirklich ein ganz unbekümmerter Fisch aus diesem "pool" in der Staatsoper "art" machen durfte. "Ja, das Essen ist in Mailand tatsächlich ausgezeichnet, besonders im November." lesen wir hier und danken dem Meister für diesen Hinweis, auch dass es in Mailand "von den Schwarzweißpostkarten noch recht viele gibt". Nun, ich frage mich, wo da die Klein-Bürgerlichkeit anfängt - um in oben angerissener Diktion zu bleiben - und die Avantgarde aufhört. (Immerhin leistet sich Hamilton, wie man ebenfalls erfährt, einen Porsche 911S. Grad Richtig für einen "Verstörer".)

Was das Haus aber noch verändert hat, und ich würde mal locker schreiben eher zum Positiven, ist das von Alberto Vilar mäzenierte Libretto-Mitlesesystem. Aber darüber wird wohl noch bei der einen oder anderen Aufführungsbesprechung eingehender zu referieren sein.

Etwas schwerer fällt die Beurteilung der bis zu achtzehn neueingerichteten Rollstuhlplätze auf dem mittleren Galeriestehplatz. Dass man die RollstuhlfahrerInnen auf die Galerie verbannt, lässt schon tief blicken. Aus den Augen aus dem Sinn, oder so ähnlich. Außerdem gehen dadurch keine teuren Paterre- oder Logenplätze verloren. Auch eine ökonomische Entscheidung also. Und weil es natürlich den Galerie-Stehplatz betrifft, der ja von Haus aus kritischeres Besucherpotential beherbergt, dann ist das wohl ein angenehmer Nebeneffekt, nicht? Leider gibt es aber in der Sache noch ein paar weitere Ungereimtheiten, die von Seiten der Publikumsvertretung möglicherweise noch ein Nachspiel haben werden.

Ja, und dann gab es doch eine Aufführung. Zuerst trat der Direktor persönlich vor den Vorhang. Der Abend wurde auf den Wiener Rathaus-Platz, nach St. Pölten und Graz übertragen - außerdem musste der Herr Direktor das Sponsoring einer kleinformatigen österreichischen Tageszeitung lobend erwähnen - und da wurde er doch gleich mal mit ein paar Buhs verärgerter Galeriebesucher konfrontiert (Rollstuhlplätze!). Holender meinte, es gelte ihm sozusagen auf Verdacht, für den Fall, dass er eine "Last-Minute-Umbesetzung" ankündigen müsse, aber beim Abgang, als es wieder ein paar Buhs gab, wird er gemerkt haben, dass das nicht der Grund gewesen sein kann.

Das erste Bild offenbarte dann gleich die Schwachstelle des Abends: das Freundschaftsduettmotiv klang aus dem Orchester wie das hohle, gleichmäßige Holpern einer schwerfällig bergauffahrenden Dampfmaschine - und das änderte sich auch im restlichen Vorstellungsverlauf nicht wirklich. Dieser hohknallige Tonfall war schon eine besondere Leistung und ergab verbunden mit dem uninspirierten Dirigat von Vjekoslav Sutej alles andere als eine glanzvolle Orchesterbegleitung. Aber man weiß ja, dass sich die Instrumente nach so langer Abwesenheit vom Haus erst wieder akklimatisieren müssen et cetera.

Zum Glück fiel das nicht so schwer ins Gewicht , weil sich das SängerInnen-Ensemble auf der Bühne und vor den Kameras durchwegs gut machte. Und Shicoff sei sein "Borderline"-Carlos verziehen, er sang sich berauschend vor allem in die Liebesduette hinein und bekniete die arme Elisabeth mit solchem Enthusiasmus, dass selbige sogar ein paar herzschmelzende Pianotöne über die Lippen brachte. Weil die dramatische Attacke sonst mehr Richtung Tremolo hin geriet, hielt sich die Verzückung über Marina Mescheriakova in Grenzen. Aber Sängerpersönlichkeiten sind so rar geworden, dass man auch dem gehobenen Durchschnitt gerne jede Hochachtung zuteil werden lässt. Während man hier also keinen Vergleich mit wirklich berühmten Vorgängerinnen anstellen darf, weil das die Perspektiven zu sehr verzerren würde, drängt sich ein Vergleich zwischen Jose Carreras und Neil Shicoff auf. Ersterer als etwas hysterischer, sensibler, mehr lyrischer Infant, zweiterer gibt sich als sehr männlicher, psychisch angeschlagener, liebeshungriger Thronfolger. Im Gegensatz zu Carreras, dessen Carlos auch aus der leichten, ständigen Überspannung der stimmlichen Ressourcen eine eigenartige Brüchigkeit bezog, die sehr intensiv unter die Haut ging, bewundert man an Shicoff seine sängerische Klugheit, seine stimmliche Präsenz, die Kunst seinen Gesang dermaßen an den dramatischen Handlungsverlauf anzuschmiegen, dass man ganz in denn Bann von selbigem gezogen wird. Und wo einstens Carreras auf Emotionen setzte, siegt bei Shicoff der untrügliche Intellekt. Wenn ich anmerken darf, dass ich Carreras damals als ursprünglicher empfunden habe, dann hat das wohl damit zu tun. Aber das ist jetzt über 20 Jahre her...

Der Philipp von Ferucio Furlanetto wurde von einigen Besuchern als etwas langatmig empfunden, war jedoch sehr gut gesungen, wenn auch hier die Tiefendimension der Rollengestaltung genausowenig ausgeleuchtet wurde, wie beim ebenfalls entsprechenden Posa des Anthony Michaels-Moore. Der Eboli wurde wieder Mal das Auftrittsg'stanzel beinahe zum Verhängnis, aber was dann von Violetta Urmana geboten wurde, war eine impulsiv und eindringlich gesungene Story von Kränkung, Rache und Reue. Imposant der Großinquisitor von Eric Halfvarson, der die überzeugenden sängerischen Leistungen des Abends abrundete.

Viel Applaus nachher für eine zeitweise packende Don Carlos Aufführung, der es diesmal an einer adäquaten orchestralen Begleitung mangelte. Und das war wirklich herb.